Название: Zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts
Автор: Marco Mansdörfer
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Schriften zum Wirtschaftsstrafrecht
isbn: 9783811457072
isbn:
c) Die Bedeutung einer Übererfüllung normativer Erwartungen
225
Strafrechtliche Verantwortlichkeitsstrukturen bleiben von einer über die gesetzliche vorgeschriebene Legalität hinausreichenden ethischen Integrität grundsätzlich unberührt. Sie führen also nicht dazu, dass bestehende strafrechtliche Anforderungen wegen der Integrität einer Person oder eines Unternehmens und eines damit verbundenen positiven Rufes oder einer Marke etwa noch verschärft werden würden[498]. Anderes gilt nur, wenn im Rahmen dieser unternehmerischen Integrität spezifische rechtliche Verpflichtungen eingegangen werden, die dann Anknüpfungspunkt für eine weitergehende rechtliche Verantwortlichkeit sein können.
Teil 1 Grundlagen zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts › C › IV. Zusammenfassung
IV. Zusammenfassung
226
Die vorstehende Untersuchung der Konvergenz strafrechtlicher und ökonomischer Steuerungsmechanismen hat gezeigt, dass die Konvertibilität ökonomischer und (straf)rechtlicher Verhaltensordnung jeder hoheitlichen Entscheidung für die Zulassung freier unternehmerischer Aktivität implizit ist und damit eine der elementarsten Prämissen darstellt, die jeder Wirtschaftsordnung zugrunde liegen.
227
Dieser Gedanke ist deshalb richtig, weil Strafen verstanden als Preis der Tat unter ökonomischen Blickwinkel soziale Entscheidungsregeln in Situationen des Wettbewerbs etablieren. Sie sind eine vom Gesetzgeber festgelegte bzw. für die Konkretisierung im Einzelfall der Exekutive überantwortete Zielvorgabe für die Wirtschaftsteilnehmer. Sie reduzieren die in einer Situation gegebenen komplexen Handlungsmöglichkeiten insoweit, als sie einzelne Handlungen als normativ unzulässig aus dem Kreis möglicher Entscheidungsalternativen ausscheiden.
228
Die genauen Funktionszusammenhänge dieser Konvertibilität sind bislang zwar schon öfters behauptet worden, sie waren aber noch nie Gegenstand eingehender strafrechtstheoretischer Untersuchungen und wurden daher im Ausgangspunkt zunächst für individuelles Handeln dargelegt. Die Notwendigkeit von Gesetzgebung wurde als Reaktion auf tatsächliche oder unterstellte Zielkonflikte privater und öffentlicher bzw. individueller und genereller Interessen begründet. Die Gesetzgebung hat damit zur Aufgabe, ein Zielsystem zu etablieren, das als Kompromiss zwischen den beteiligten Instanzen (mit konkurrierenden Zielvorstellungen) verstanden werden kann. Die Sanktion ist das zentrale Instrument, dieses Zielsystem gerade auch beim grundsätzlich am Eigeninteresse ausgerichteten homo oeconomicus durchzusetzen. Der kalkulierende homo oeconomicus wird insbesondere die generalpräventive Wirkung der Strafe auch im Verkehr mit anderen in Rechnung stellen, sodass die Sanktion insgesamt dazu helfen kann, Transaktionskosten zu senken und neue Freiheitsräume – zum Beispiel den Warenaustausch im weitgehend anonymen Verkehr – zu schaffen. Strafe kann daher sowohl erwünschte Kooperationen stabilisieren als auch gezielt zur Destabilisierung unerwünschter Kooperationen eingesetzt werden. Die moderne Strafrechtsdogmatik stellt insoweit Mechanismen bereit, die es erlauben, Handlungsräume nicht nur abstrakt-generell, sondern auch konkret-generell und sogar konkret-individuell abzugrenzen.
229
Für Unternehmen wurde herausgearbeitet, dass Unternehmen aus der Perspektive eines methodologischen Individualismus als eine Vielzahl miteinander verknüpfter linearer Verantwortungsstränge verstanden werden müssen[499]. Da dabei die Folgen der Gesamttätigkeit für den Einzelnen leicht außer Blick geraten können, geben hier die strafrechtlich sanktionierten Normen einer Unternehmung ein Sollprofil vor. Gerade in Situationen besonderer Komplexität ist hier fremdgestaltendes Eingreifen der Leitungspersonen eines Unternehmens erforderlich. Die in jüngerer Zeit entwickelten managementtechnischen Methoden ermöglichen es, die ordnungsrechtlichen Vorgaben als Grundlage für die Ausbildung eines Konzepts der „organisierten Verantwortlichkeit“ einer Unternehmung in einer komplexen Gesellschaft zu nehmen. Neuere organisationspsychologische Erkenntnisse zeigen freilich zugleich die faktischen Grenzen solcher organisatorischer Maßnahmen auf und sollten daher auch die normativen Handlungserwartungen gerade an Leitungspersonen limitieren.
Teil 1 Grundlagen zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts › D. Fundierung eines individualistisch orientierten Wirtschaftsstrafrechts im Wirtschaftsverfassungsrecht
D. Fundierung eines individualistisch orientierten Wirtschaftsstrafrechts im Wirtschaftsverfassungsrecht
230
Nachdem bislang zunächst das Konzept eines vertragstheoretisch orientierten Wirtschaftsstrafrechts allgemein vorgestellt wurde[500], wurden sodann die Möglichkeiten einer wechselseitigen Angleichung strafrechtlicher und ökonomischer Steuerungsmechanismen abstrakt untersucht und die Bedeutung der beiden Subsystemen vorgelagerten rechtlichen Verhaltensordnung hervorgehoben[501]. Im Folgenden werden diese abstrakten Konzeptionen mit der konkreten Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik Deutschland verknüpft.
231
Die Ausführungen zur Wirtschaftsverfassung orientieren sich primär an der Ordnungsfunktion des Staates[502]. Das entspricht zum einen dem Ziel der gesamten Untersuchung, ein Modell für die seitens des Staates mit seinem Gewaltmonopol zu etablierende strafrechtliche Rahmenordnung für die sozialen Interaktionen bei wirtschaftlichem Handeln zu entwickeln. Zum anderen hat sich gerade die Ordnungsfunktion historisch-empirisch als Konstante und Kristallisationspunkt des Staatsbegriffs erwiesen[503], sodass damit auch die Einbindung der Gesellschaft in internationale und supranationale Organisationen berücksichtigt werden kann.
232
So werden aus einer wirtschaftstheoretischen Perspektive die positiven Vorgaben und Handlungsdeterminanten für die wirtschaftliche Betätigung entwickelt[504]. Daraus sollen die Aufgabenbereiche legitimer Staatstätigkeit konkretisiert werden. Aus wirtschaftsstrafrechtlicher Perspektive geht es dann darum aufzuzeigen, wo die von der Verfassung garantierten Handlungsfreiheiten eines strafrechtlichen Schutzes bedürfen oder umgekehrt Freiräume einfordern, die eine Strafrechtsgesetzgebung begrenzen.
Teil 1 Grundlagen zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts › D › I. Verfassungsrechtliche Determinanten für ökonomisches Individualhandeln
1. Die Wirtschaftsverfassung der Bundesrepublik Deutschland
233
СКАЧАТЬ