Kardinäle, Künstler, Kurtisanen. Arne Karsten
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Название: Kardinäle, Künstler, Kurtisanen

Автор: Arne Karsten

Издательство: Автор

Жанр: Историческая литература

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isbn: 9783534273911

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СКАЧАТЬ als die sbirri auch schon das gesamte Botschaftspersonal festnahmen, damit es nicht etwa den Hausherrn benachrichtigen konnte. Dann machte man sich daran, das beschriebene Versteck zu suchen, wo man den Verbrecher in ahnungslosem Schlaf antraf, ihn sich in aller Eile ankleiden ließ, fesselte und zum Quirinal abführte. Da von Seiten der völlig überraschten Franzosen keinerlei Widerstand geleistet wurde, brauchten die Soldaten nicht einzugreifen und auch der Einsatz der Feldgeschütze in den engen Straßen Roms unterblieb.

      Als der Papst die Prozession der sbirri mit dem Delinquenten in ihrer Mitte sah, rief er den Botschafter ans Fenster und machte seine Vorsätze wahr, indem er ihn ins Gesicht einen Lügner nannte, und, besonders tödlicher Vorwurf in der auf Etikette bedachten höfischen Gesellschaft, einen schlechten Edelmann. D’Étampes war tatsächlich für einen Augenblick sprachlos, erst recht als ihm bedeutet wurde, er habe drei Stunden Zeit, um Rom, sechs Stunden, um den Kirchenstaat zu verlassen. Doch war es eher ein Schweigen der Wut als der Beschämung. Kaum in der Botschaft zurück, schickte er einen Eilboten los, der die Nachricht vom Skandal nach Paris bringen sollte. Daraufhin verließ er wie befohlen Rom.

      Der Nachrichtenverkehr im 17. Jahrhundert war für unsere Begriffe äußerst langsam; selbst ein hoch bezahlter Eilbote brauchte unter günstigen Bedingungen rund zehn Tage von Rom nach Paris. Es versteht sich, dass d’Étampes der Ansicht war, die Ereignisse würden die Sendung eines solchen rechtfertigen. Die Antwort des französischen Königs kam denn auch rasch, und sie fiel aus, wie d’Étampes es erhofft und erwartet hatte. In hochoffizieller Empörung über die Verletzung der diplomatischen Immunität wurde verlangt, der Papst solle unverzüglich Genugtuung leisten, und zwar indem er zuallererst den Botschafter nach Rom zurückrufe, zweitens die am Übergriff auf die Botschaft beteiligten sbirri öffentlich hinrichten lasse und drittens den governatore der Stadt Rom nach Paris schicke, damit er dort offiziell den König um Entschuldigung bitte.

      Der Papst war erneut außer sich. Hatte er nicht mit seiner Polizeiaktion lediglich das Recht, ja die Pflicht eines verantwortungsbewussten Landesherren ausgeübt? War nicht auf dem Botschaftsgelände tatsächlich ein notorischer, steckbrieflich gesuchter Mörder gefasst worden? Und hatte d’Étampes-Valençay schließlich nicht nur mit dessen Aufnahme gegen Recht und Gesetz verstoßen, sondern ihn darüber hinaus auch noch angelogen? Der Wutausbruch war verständlich und ebenso die nächste Reaktion Innozenz’ X. Gegenüber dem Überbringer des französischen Forderungskataloges, Henri Arnauld, Abt von S. Nicola, lehnte er es kategorisch ab, über eine Rückkehr d’Étampes in die Ewige Stadt auch nur zu verhandeln. Die unerträgliche Arroganz und maßlose Unverschämtheit des Diplomaten wolle er an seinem Hof nicht mehr dulden.

      Das mochte vielleicht verständlich sein, gefiel aber den führenden Politikern in Paris, zumal dem Kardinal Mazarin, nicht im allermindesten. Die Affäre nahm nunmehr eine bedrohliche Wendung. Frankreich sandte 12000 Mann frischer Truppen zur Belagerung der südtoskanischen Hafenstadt Orbetello, um deren Besitz man sich seit längerer Zeit mit Spanien stritt. Es war bisher ein einigermaßen lustlos geführter Nebenkrieg des ganz Europa erschütternden Konfliktes zwischen den beiden Großmächten, der sich schon einige Jahre matt und ereignisarm in die Länge zog, nun aber mit einem Schlag an Interesse gewann. Denn Orbetello lag ganz in der Nähe des Kirchenstaates. Mazarin ließ dem Papst ausrichten, dass die frischen Truppen für einige Unruhe im Kirchenstaat sorgen könnten, wenn dem König nicht Genugtuung geleistet werde. Das war eine kaum noch verhüllte Kriegsdrohung. In Rom bekam man Angst. Eine Reihe von Kardinälen wies den Papst auf die kaum abschätzbaren Gefahren hin und auch Angehörige des römischen Adels drängten mit Nachdruck auf eine diplomatische Lösung.

      Zähneknirschend gab Innozenz X. nach, erklärte sich zu neuen Verhandlungen bereit – und musste feststellen, dass die Franzosen inzwischen eine neue Forderung erhoben: die Amnestierung der Barberini-Brüder! Es war damit endgültig klar, dass die Genugtuungsforderungen für die Verletzung der Botschaftsimmunität nur ein Vorwand für die Demütigung des Papstes war, aber was nützte den Römern alle moralische Entrüstung. Die Macht in Form der stärkeren Bataillone war auf Seiten der Franzosen und hat noch selten nach Recht und Moral gefragt. Wenn der Papst glaubte, längst überholte Suprematieansprüche erheben zu können, so war es aus Sicht des Pariser Hofes höchste Zeit, ihn über die realen Machtverhältnisse aufzuklären.

      Die Lektion fiel bitter aus. Innozenz’ X. Kompromissvorschlag, den inzwischen nach Rom zurückgekehrten und weniger belasteten Kardinal Francesco Barberini wieder in seine Ämter einzusetzen, nicht jedoch den besonders frankophilen Antonio, wurde rundweg abgelehnt. Vollständige Rehabilitierung beider Kardinäle, so lautete die kategorische Forderung, und am Ende wurde sie erfüllt. Damit endete die Affäre, eine der vielen diplomatischen Niederlagen, die das Papsttum im 17. Jahrhundert erlitt und die seinen unaufhaltsamen Abstieg von einer europäischen Großmacht zu einem italienischen Kleinstaat markierten. Selbst die persönliche Demütigung blieb Innozenz X., der den Kampf so vermessen-hochgemut begonnen hatte, nicht erspart. Henry d’Étampes-Valençay, den arroganten französischen Botschafter, musste er nach Rom zurückrufen und sich weiterhin während der Audienzen über dessen Unverschämtheiten ärgern.

      VOLKER REINHARDT

      Der Sanierer

      1676 waren die guten Jahre am Tiber lange vorbei. Im Westfälischen Frieden von 1648, der den Dreißigjährigen Krieg beendete, den konfessionellen Ausgleichszustand in Deutschland und eine europäische Friedensordnung festschrieb, wurde der Papst nicht einmal erwähnt. Es war wohl auch besser so. Denn er war nicht einverstanden, im Gegenteil. Doch die römischen Proteste gegen diese dauerhafte Aufwertung der ‘Ketzer’ kümmerten die führenden Mächte nicht mehr. Aus päpstlicher Sicht noch fataler: sie betrieben Religionspolitik jetzt zunehmend in eigener Regie. Dass die Kirche ein Teil des Staates, ja dessen Behörde und daher den Anweisungen des Herrschers unterworfen sein sollte, diese Überzeugung bricht sich vor allem in Frankreich Bahn; dort regiert mit Ludwig XIV. ein König, der eine hohe Auffassung von seinem Rang und seinen Rechten hegt. Für den Papst bleibt in seiner Sicht der Dinge wenig mehr als ein formaler Ehrenvorrang. Aber auch dieser ist in Gefahr, mehr noch: die römische Ehre insgesamt. Seit zwei Jahrzehnten zirkulieren auf dem europäischen Buchmarkt anzügliche Broschüren, die dem interessierten Publikum Blicke hinter kuriale Vorhänge verheißen, Motto: toll treiben es die Nepoten.

      Vor allem aber krankt Rom ökonomisch. Im Klartext: der Kirchenstaat ist finanziell ruiniert, seine Wirtschaftskraft stark geschwächt – und die Ursache für diese Misere so simpel wie heutzutage aktuell. Man hatte über seine Verhältnisse gelebt. Sprich auf Pump. Oder um es anklagender auszudrücken: man hatte das Vermögen der nächsten Generation gleich mit ausgegeben. Und noch eine gewisse Parallele zur Gegenwart drängt sich auf: die Hoffnung auf einen Wirtschaftsboom, welcher durch ein steigendes Bruttosozialprodukt und eine diskrete Inflation die angesammelten Schulden tilgen helfen würde, erwies sich als eine Illusion. Spätestens hier ist der Punkt erreicht, um die geneigte Leserin, den geneigten Leser fairerweise zu warnen: wer den Wirtschaftsteil seiner Tageszeitung undurchblättert beiseite legt, sollte zur nächsten Geschichte übergehen. Doch nicht selten findet man auf diesen Seiten die wahren Tragödien. Oder auch Heldentaten oder wie im hier zu erzählenden Fall auch beides zusammen.

      Ende 1676 summierte sich das Defizit der öffentlichen Hand in Rom auf fünfzig Millionen scudi. Das zumindest schreiben die venezianischen Botschafter. Als gewiefte Kaufleute müssen sie es wissen. Oder zumindest einigermaßen zutreffend abschätzen können. Der Papst und seine zuständigen Amtsträger selbst haben kaum eine ungefähre Vorstellung, wie tief sie in der Kreide stehen. Sie wollen es auch gar nicht wissen – so wie der Verdammte auf Michelangelos Jüngstem Gericht halten sie sich die Hand vor die Augen, um den Abgrund nicht zu sehen, in den sie stürzen. Oder besser: in dem sie längst unsanft gelandet sind. Dass man keinen Überblick hat, liegt vor allem daran, dass es keine auch nur ansatzweise zentrale Kassenführung gibt. Jede Behörde mit eigenem Budget und eigener Gerichtsbarkeit – und es ist nirgendwo aufgelistet, wie viele das eigentlich СКАЧАТЬ