Название: Kardinäle, Künstler, Kurtisanen
Автор: Arne Karsten
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783534273911
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Monti wurden seit dem Pontifikat Clemens’VII. (1523–1534) eingerichtet, und zwar in zwei verschiedenen Spielarten. Die so genannten „erlöschenden“ Berge gelten nur zu Lebzeiten des Anteilzeichners, können nicht vererbt werden und stellen daher eine Hochrisikoinvestition dar. Dementsprechend werfen sie eine fabulöse Rendite ab: bis zu 12%. Etwas für Finanzzocker also. Dieser Menschentyp aber wird zunehmend rar in Rom, in Italien, im Europa des 16. und 17. Jahrhunderts. Viel beliebter sind daher die „ewigen“ monti, die man getrost per Testament hinterlassen kann. Die einzige Gefahr, dass sie erlöschen könnten, besteht im theoretischen Rückkaufrecht der Kurie. Doch wann hatte man schon erlebt, dass ein Staat Schulden zu tilgen vermochte? Dementsprechend konnten die Konsortien die Anteile meist deutlich über dem Nennwert absetzen, manchmal sogar mit einem Aufschlag von einem Viertel. Daraus ergab sich, wie unschwer zu berechnen, eine hübsche Profitmarge. Bei standesbewussteren Geldanlegern noch höher geschätzt waren die so genannten „Kaufämter“. Noch älter als die monti, hüllten sie die schnöde Kredit-Zins-Operation in die Prunkgewänder einer öffentlichen Tätigkeit. Natürlich waren das des Kaisers neue Kleider. Der Kreditgeber durfte sich mit einem phantasievollen Titel – etwa Ritter des heiligen Petrus – schmücken, ohne damit irgendwelchen beruflichen Verpflichtungen zu unterliegen: alles Schall und Rauch, außer dem ‘Gehalt’, den Zinszahlungen also, versteht sich. Sie waren sehr real und lagen für die Lebenszeit- und Dauerämter in etwa in Höhe des „Bergorte“-Ertrags.
Anno 1676 warfen die „ewigen Berge“ fünf oder sechs Prozent ab. Hochgerechnet auf die gesamte Staatsschuld waren das jährlich mindestens zweieinhalb Millionen scudi Aufwendungen allein für Zinsen. So viel aber brachte der ganze Kirchenstaat samt seiner Hauptstadt nicht ein. Dieses Jahresbudget weist 1674 gerade einmal einen Nennwert von 2,4 Millionen auf. Davon aber mussten sämtliche öffentlichen Ausgaben bestritten werden: die Gehälter der zahlreichen Amtsträger, Kosten für Verteidigung, Subventionen aller Art, nicht zuletzt für Brot, Ausgaben für Botschafter, Straßenbau etc., summa summarum Fixkosten von mehr als zweieinhalb Millionen. Dabei waren die Zinszahlungen in ungefähr derselben Höhe nota bene nicht miteinberechnet. Man hatte ein Gegenfinanzierungsproblem. Gewiss, das Papsttum hatte noch eine andere, verschwiegenere Kasse: die Datarie. Über sie wurden die so genannten Gnadenhandelsoperationen abgewickelt. Deren große Zeit fiel in den Pontifikat Alexanders VI. Anno 1500 konnte man Kardinalate noch meistbietend verkaufen; ein roter Hut brachte je nach Kaufkraft des Interessenten zwanzig- bis dreißigtausend Dukaten (d.h. inflationsbereinigt, auf das Jahr 1676 bezogen, an die hunderttausend scudi) ein. So lukrativ diese Verkäufe waren, ihre Nachteile lagen in der damit verursachten Rufschädigung: in der Zerstörung des religiösen Kapitals, ohne welches langfristig auch kein Geld mehr fließen würde. Und unter einem so skrupulösen, tief religiösen Papst wie Innozenz XI. war selbst an weitaus unanstößigere Geschäftspraktiken dieser Art nicht mehr zu denken. Sogar Heiratsdispense – ein Verkaufsschlager des Renaissancepapsttums – gab man jetzt gratis.
Ein echtes Dilemma also: was konnte man tun? Der neue Papst setzt, wie im Zangengriff, an vier Seiten zugleich an. Und zwar zuerst bei sich. Schon nach wenigen Wochen verdient der päpstliche Hof diesen Namen nicht mehr. Die Ausgaben für Repräsentation aller Art tendieren gegen Null. Innozenz selbst sucht sich im Quirinalspalast – den überhaupt zu beziehen ihm schwere Gewissensnöte verursacht – die schäbigsten Zimmer, ohne Fenster. Die prachtvollen Gartenanlagen auch nur zu betreten, hindert ihn eine heilige Scheu. Zehn Jahre lang trägt er dieselbe Soutane, bis sie in Fetzen fällt. Und die päpstliche Tafel wird bei Feinschmeckern berüchtigt. Das alles ist natürlich vorrangig symbolisch, gewiss auch eine Frage des Images, der angestrebten Wirkung nach außen; der finanzielle Nutzeffekt fällt demgegenüber kaum ins Gewicht.
Dieser hingegen ist bei der Umstrukturierung der Staatsschuld gewaltig. Denn der neue Papst betet nicht nur reichlich, er arbeitet unaufhörlich, mindestens fünfzehn Stunden am Tag. Und bei aller Frömmigkeit studiert er pausenlos Rechnungen und Bilanzen. Hier vollzieht sich eine erste Revolution. Denn eine Brigade gut ausgebildeter Finanzprüfer (wo waren diese Leute eigentlich vorher?) hat, wiederum binnen weniger Monate, zumindest das Gros der verstreuten Schulden ausfindig gemacht, getreu dem Motto, dass man das Schreckliche kennen muss, um es zu bannen. Die dabei entdeckten Hunderte von Anleihen werden jetzt in einen einzigen riesenhaften monte eingebracht. Das klingt nicht eben umstürzend und ist doch eine im Europa der Zeit nahezu einzig dastehende Operation. Ihr Resultat ist eine übersichtliche und zugleich konsolidierte Staatsschuld. Doch das ist nur der erste Schritt. Auf den der zweite sogleich folgt. Alles Protestgeschrei der europäischen Finanzwelt hilft nichts: für sämtliche monti wird die Verzinsung jetzt einheitlich auf drei Prozent zurückgeschraubt. Das war eine kühne und weitblickende Maßnahme. Die Finanzberater des Papstes nämlich schätzen richtig ab, dass die römische Kreditwürdigkeit dennoch erhalten bleiben werde. Waren doch in den letzten zwei Jahrzehnten die Erträge aus Landbesitz und -verpachtung am Beginn einer Abschwungphase der europäischen Ökonomie, die schließlich hundert Jahre dauern sollte, kontinuierlich gesunken, und zwar um bis zu vierzig Prozent. Vor diesem düsteren Hintergrund war eine sichere Rendite von drei Prozent aus den römischen Staatstiteln nicht zu verachten.
Haarscharf am Markt, unter konsequenter Ausnutzung der von diesem gebotenen Chancen, bewegt sich zum anderen die Subventionspolitik des Papstes. Hier kommt ihm Glück zur Hilfe, dem man allerdings auch kräftig nachhilft. Denn nach den schweren Versorgungskrisen der Jahrhundertmitte fallen jetzt die Ernten wieder deutlich besser aus, ganz abgesehen davon, dass nach den Epidemien dieser Krisenzeit weniger Mägen zu füllen sind. Zudem tut die päpstliche Wirtschaftspolitik alles, um ein Überangebot an Getreide am Tiber herbeizuführen – mit überwältigendem Erfolg. Auf diese Weise sinken die Weizenpreise so tief, wie sie seit einem Menschenalter nicht mehr gelegen haben. Auch hier hagelt es natürlich Proteste. Doch der Papst bleibt fest. Ein Shareholder-Value-Pontifex war Innozenz XI. wahrlich nicht. Doch nicht nur die römischen Aristokraten mussten verzichten lernen.
Derart billiges Getreide hätte es erlaubt, Brot zu einem Traumgewicht pro Einheitspreis von einem Hundertstel scudo zu verkaufen. Doch daran dachte der Papst nicht im Traum. Jetzt, so seine Argumentation, war durch eine besondere Gnade Gottes die Gelegenheit geboten, auch diesen Etatposten zu sanieren. Und so verkauft die staatliche Getreidebehörde billig erworbenen Weizen unverändert teuer an die römischen Bäcker, die ein Jahrzehnt hindurch einer rigorosen Zwangsabnahme unterliegen. Und auch hier intensive Marktbeobachtung: die dadurch verursachte Verteuerung wird sehr genau im Auge behalten: ein Brotpreis, der den uralten Forderungen des Volks nach erschwinglicher Basisnahrung entspricht, bleibt dennoch gewährleistet. Das mögliche Schlaraffenland allerdings wird ihnen verschlossen. Würden Politiker unserer Tage eine solche Operation wagen, so würden sie diese wohl sozial ausgewogen nennen – und flugs abgewählt werden.
Rein zweckrational betrachtet aber macht dieses Vorgehen Sinn: in Zeiten des Überflusses den Verbrauchern zumutbare Kosten zu verursachen, um für die nächsten Krisen Reserven anzusammeln. Und das Vorhaben gelingt, über alle Erwartungen hinaus. Die europäischen Finanzexperten reiben sich ungläubig die Augen. 1689 sind am Ende des Pontifikats nämlich stolze fünf Millionen Staatsschulden tatsächlich getilgt. Und es gibt wieder ein ansehnliches Plus im laufenden Budget. Rom hat finanzielle Lebenskraft für ein weiteres langes Jahrhundert gewonnen. Dazu trägt entscheidend bei, dass dieser Papst keine Nepoten hat – als erster und einziger aller länger regierenden Päpste seit mehr als drei Jahrhunderten. Das ist die zweite, die moralische Revolution. Sie erzeugt gewiss auch finanzielles, vor allem aber symbolisches Kapital. Und doch ist sie wie alle Revolutionen riskant. In den endlosen Debatten der vorangehenden Jahrzehnte hatten die Befürworter des Nepotismus eines ihrer stärksten Argumente – über den Mensch gewordenen Christus hinaus – darin gefunden, dass ein Papst, der die planmäßige Verwandtenförderung beseitigt, auf diese Weise seine СКАЧАТЬ