Название: Kardinäle, Künstler, Kurtisanen
Автор: Arne Karsten
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783534273911
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Franz I. in der Gewalt Karls V., d. h. ein christlicher Fürst von einem anderen gefangen gesetzt. Das war eine Konstellation, die päpstliche Interventionen zugunsten des Unterlegenen auf den Plan rief. Offiziell wurden diese Bemühungen mit der Rolle des Pontifex maximus als gemeinsamer Vater der Christen und Tröster der Gedemütigten gerechtfertigt, 1525 waren sie de facto vom Bedürfnis Roms motiviert, einen Schutzwall gegen das unaufhaltsam expandierende Imperium Karls V. zu errichten. So stoßen die Venezianer bei Clemens auf offene Ohren mit ihrem Vorschlag, ein bewaffnetes Schutz- und Trutzbündnis gegen den Kaiser zu schließen. Der Pakt ist unterschriftsreif aufgesetzt und ein Kurier zum König von England, der ihm beitreten soll, schon unterwegs, als ein kaiserlicher Gesandter mit Gegenvorschlägen Karls eintrifft. Dadurch wird der eben vereinbarte Vertrag schlagartig hinfällig und der Bote per Eilpost gestoppt.
Natürlich ist die Markus-Republik von dieser Richtungsänderung Roms zutiefst irritiert, umso mehr, als sie viel Geld zahlen müsste, um in diese Allianz einbezogen zu werden. Dieser Ärger lässt Clemens kalt; Hauptsache er und seine Familie genießen die Gunst des Siegers. Und so werden der Papst und die Medici schon am 1. April 1525 – gerade einmal fünf Wochen nach der Schlacht von Pavia – in den umfassenden Schutz des Kaisers aufgenommen. Zusätzlich verpflichten sich beide Seiten, Francesco Sforza, den schattenhaften, vom Reichsoberhaupt abhängigen Herzog von Mailand, durch Truppen zu unterstützen. In seiner Erleichterung über dieses Abkommen, das er für die Lösung aller seiner Probleme hält, tut der Papst sogar mehr als verlangt. Aufgrund unverbindlicher Zusicherungen Karls veranlasst er das französische Heer, den geplanten Feldzug zur Eroberung Neapels abzubrechen, und entlässt einen Großteil seiner eigenen Truppen. In seiner diplomatischen Handlungsfreiheit aber fühlt sich Clemens durch den Pakt keineswegs eingeschränkt; er ist ja noch nicht einmal ratifiziert – unauflösliche, ja unfassbare Widersprüche wahnhafter Machtausübung, so lautet das Urteil Guicciardinis.
Immerhin ist da ja noch der gefangene König von Frankreich, der auf Rache sinnt. Für solche Revanchepläne sind die päpstlichen Unterhändler ideale Ansprechpartner. Die für ihren Sohn als Regentin fungierende Königinmutter Louise von Savoyen nämlich macht den alten Bundesgenossen Venedig und Rom verlockende Angebote. Sie ist zu fast allem bereit; ein Königreich mit einem König im fremden Kerker ist ein Torso. Clemens leiht ihr umso geneigter das Ohr des „gemeinsamen Vaters“, als er den politischen Zustand Italiens als immer unerträglicher empfindet, trotz aller Garantien für sich und seine Familie; zu übermächtig ist der habsburgische Universalherrscher, der den Papst zudem mit Forderungen nach einem Konzil unter Druck setzt. Eine solche, die verworrenen Glaubensverhältnisse Europas ordnende Kirchenversammlung aber fürchtet der zunehmend von Panik getriebene Pontifex maximus mehr als alles andere. Zu frisch ist der Kurie die Demütigung von Konstanz in Erinnerung; zu lebendig sind weiterhin die Theorien, wonach die Gemeinschaft der Gläubigen über dem Papst stehe. Und noch ein ganz persönlicher Makel kommt hinzu: Clemens ist unehelich geboren und daher, bei strenger Regelauslegung, als Kleriker gar nicht zugelassen.
Die Entfremdung zwischen Papst und Kaiser nimmt zu, als Clemens den Pakt mit Karl veröffentlichen lässt, Letzterer jedoch den Bündnistext nicht als Ganzen bestätigt, sondern Klauseln ausnimmt, welche den römischen Zugriff auf das lehensrechtlich dem Heiligen Stuhl unterstellte Ferrara und die dort regierende Familie Este verstärken sollen: zum Nachteil des Reichs, wie der Kaiser befindet. Auf eine effizientere Oberhoheit über Ferrara aber sind die Päpste seit Jahrzehnten bedacht, ja, sie steigern sich fast duchgehend in eine gefährliche Anti-Este-Politik hinein. Clemens ist über die einseitige Abänderung des von ihm bereits publizierten Vertrags empört und zugleich zutiefst verängstigt: Was führt Karl gegen ihn im Schilde?
Kein Wunder also, dass sich der Papst auf immer dubiosere Unternehmungen einlässt. Das verhängnisvollste dieser Manöver ist die Verschwörung des Geronimo Morone, seines Zeichens Chefratgeber Francesco Sforzas, der sein Schattendasein gründlich satt hat und, von der großen Vergangenheit seiner Familie berauscht, endlich eigenständige Macht ausüben möchte. Als Bundesgenosse ist der Marchese di Pescara ausersehen; der Sieger der Schlacht von Pavia nämlich fühlt sich ungenügend belohnt, ja zurückgesetzt. In Sforzas Auftrag unterbreitet Morone dem schmollenden Feldherrn ebenso verführerische wie gefährliche Angebote: Pescara soll das Königreich Neapel, Francesco die volle Herzogsherrschaft in Mailand und, propagandistisch unverzichtbar, Italien die Freiheit vom spanischen Joch gewinnen. Das schöne Komplott krankt allerdings daran, dass Pescara nur scheinbar auf diesen Vorschlag eingeht, in Wahrheit aber Karl V. auf dem Laufenden hält. Dieser staunt nicht schlecht, dass auch sein Quasi-Bundesgenosse in Rom mit von der Partie ist, dem nach erfolgreichem Coup die Rolle als oberster Schiedsrichter Italiens zugedacht ist – mit vielen weiteren Aufstiegsmöglichkeiten für die Familie Medici, versteht sich.
Seinen Zorn muss der Kaiser jedoch einstweilen noch verbergen. Karl benötigt eine Sondererlaubnis, um die verwitwete Königin von Portugal, seine Cousine, heiraten zu können. Rom glaubt, dadurch in alt bewährter Weise ein unfehlbares Druckmittel in der Hand zu haben, und zieht die Dispensverhandlungen künstlich in die Länge. Währenddessen wird intensiv über die Konditionen für die Freilassung des französischen Königs gerungen. Und auch hier ist Rom an vorderster Front aktiv. Gesandte des Papstes sollen sondieren, ob Franz I. die vorgesehenen Bedingungen – unter anderem den Verzicht auf alle mailändischen und burgundischen Ansprüche – einzuhalten gedenkt, und ihn gegebenenfalls zum Wortbruch ermächtigen. Im Folgenden von beiden Seiten, der kaiserlichen wie der französischen, umworben, schwankt und wankt Clemens wie gehabt. Und aufgrund seiner Entscheidungsunfähigkeit wiederholen sich peinliche Episoden. Wieder ist das Bündnis mit Frankreich und Venedig zu Papier gebracht, erneut fehlt nur noch die Signatur des Papstes, als wie von Zauberhand ein kaiserlicher Bote am Vatikanischen Palast Einlass begehrt – natürlich mit Bündnisangeboten im Gepäck. Guicciardini, der das alles als ohnmächtiger Ratgeber miterlebt, fühlt sich wie in einem nicht enden wollenden Albtraum befangen: und täglich grüßt die Doppeldiplomatie. Was um alles in der Welt soll man nur an den Höfen Europas von dieser Politik halten? Ihm selbst bleibt ein gutes Jahrzehnt später in der Abgeschiedenheit seines Schreibkabinetts nur das letzte Mittel stolzer Selbstbehauptung: Ich, Francesco Guicciardini, habe anders geraten, aber die blinde Gier der Mächtigen nicht bezwingen können. Im Nachhinein ist die Feder stärker als das Schwert, der unbestechlich Kausalitäten aufzeigende Historiker mächtiger als die Herrschenden, er trägt den finalen Geschichtssieg über sie davon: so und nicht anders ist es gewesen.
Die Bündnisvorschläge Karls, die jetzt im Dezember 1525 nach Rom gelangen, sind nicht weniger doppeldeutig als die Strategien der Gegenseite. Die im kaiserlichen Schreiben enthaltene Bestätigung Francesco Sforzas als Herzog von Mailand nämlich würde den Kaiser nicht daran hindern, diesem als ungetreuen Vasallen den Prozess zu machen – sofern er von dessen Verwicklung in die Verschwörung weiß. Weiß der Kaiser und tut nur so, als ob er nicht wüsste, oder weiß er wirklich nicht, das sind die Fragen, die man sich in Rom besorgt stellt. Und weiß er von der Rolle des Papstes in all diesen Intrigen? Clemens zögert und erhält zwei Monate Frist, um den Allianztext nach eigenen Vorstellungen zu modifizieren. Davon abgesehen, versichern sich beide Seiten ihres unverbrüchlichen Vertrauens – und wissen doch genau, dass der Schein triumphiert. Clemens nämlich verfasst eigenhändig einen langen Brief an den Kaiser, der die besten Wünsche zum neuen Jahr 1526 ausdrückt und zugleich von doppeldeutigen Formeln nur so wimmelt, die Verstrickung in das Komplott weder zugibt noch leugnet, vorsorglich aber alle Schuld auf den – inzwischen opportunerweise verstorbenen – Marchese di Pescara abwälzt. Was ganz und gar nicht stimmt, wie die Kaiserlichen peinlicherweise genau wissen.
Unterdessen ist sich Karl V. mit seinem illustren französischen Gefangenen über die Konditionen von dessen Freisetzung einig geworden. Die harten Auflagen sind Makulatur. Franz denkt nicht einen Augenblick daran sie einzuhalten, darin vom Papst weiterhin tatkräftig bestärkt. СКАЧАТЬ