Название: Kardinäle, Künstler, Kurtisanen
Автор: Arne Karsten
Издательство: Автор
Жанр: Историческая литература
isbn: 9783534273911
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So kommt es, wie es kommen muss. In den Morgenstunden des 6. Mai 1527 erstürmt das kaiserliche Heer unter Bourbon, der gleich zu Beginn von einem Arkebusenschuss tödlich getroffen wird, ohne allzu große Mühe die Borgomauern, strömt von dort nach Trastevere und ergießt sich über die Brücken, die einzureißen man nicht für nötig befand, in die übrigen Stadtteile. Eine monatelange Terrorherrschaft der Soldateska hebt an, der inklusive der Kampfhandlungen an die viertausend Personen zum Opfer fallen. Und jetzt stürzt auch die Macht der Medici in Florenz quasi von selbst. Eine der üblichen Plünderungen aber, wie sie viele Städte der Zeit über sich ergehen lassen müssen, ist der Sacco di Roma nicht. Zum einen wird die Anarchie zum Dauerzustand; für die Römer bricht ein Alptraum an, der ein volles Dreivierteljahr dauert. Er kann zum anderen schon deshalb nicht enden, weil die Söldner keinen Befehlshaber mehr anzuerkennen bereit sind. Selbst kaiserliche Würdenträger, in die Ewige Stadt zur Herstellung eines Minimums von Ordnung abkommandiert, müssen um ihr Leben fürchten. Vor allem aber ist die Gewaltanwendung anders als sonst motiviert und auf andere Ziele gerichtet. Ein Großteil der deutschen Söldner hat aus der reformatorischen Propaganda die Botschaft mitgenommen, dass der Papst der Antichrist, Rom die Hure Babylon sei, die Vernichtung der Stadt und ihres Hauptes also ein frommes, möglicherweise sogar die seligen tausend Jahre Christi auf Erden einleitendes Erlösungswerk bedeute. Und dieser Auftrag wird nach Vorschrift, genauer: nach Gebrauchsanweisung vollzogen. Die wirkungsvollsten der antipäpstlichen Pamphlete nämlich waren, um ein leseunkundiges Publikum anzusprechen, mit aussagekräftigen Holzschnitten versehen. Darauf verrichten Landsknechte ihre Notdurft in die päpstliche Tiara, baumeln Kardinäle am Galgen. In der virtuellen Welt der Flugblätter wie in deren getreulicher Umsetzung auf römischen Straßen und Plätzen läuft alles auf einen dauerhaften Karneval, auf eine verkehrte, von oben nach unten und von unten nach oben gekehrte Weltordnung hinaus, in der die einfachen Leute sich selbst ein ewiges Schlaraffenland bescheren.
Dessen Verwirklichung schien jetzt endlich, im Zeichen des nahenden Weltenendes, angebrochen. Alle Zeugen der bestürzenden Vorgänge, so emotional ihr Bericht im Einzelnen auch aufgeladen ist, stimmen hierin überein: dass die Stunde der Profanierung, der systematischen Entweihung geschlagen hat, dass die Riten der Kirche jetzt zu deren Verhöhnung benutzt werden. Spottumzüge mit hohen Prälaten, rückwärts auf Maultiere platziert, dienen der Belustigung, vor allem aber der Selbstrechtfertigung der johlenden Menge und der Bestätigung der zentralen Botschaft: Dieser pervertierte Palmsonntag zeigt an, dass die Zeit gekommen ist, in der die Großen klein und die Kleinen groß sind. Söldner sind jetzt Herren. Wie echte Ritter nehmen sie vornehme Feinde gefangen und verlangen Lösegeld, im Unterschied zu ihren aristokratischen Vorbildern jedoch nicht einmal, sondern immer wieder. Und auch dann gibt es keine Garantie für die Freilassung. Nicht wenige römische Adelige müssen sich bis zu viermal aus den Händen ihrer Peiniger loskaufen – um dann doch nicht heil davonzukommen.
Schließlich aber kehrt sich diese Ökonomie des Terrors gegen ihre Urheber. Nach sechs Monaten der Anarchie nämlich ist in der Ewigen Stadt mehr Gold als Getreide vorhanden; Hunger und Seuchen sind die Folge. Am Ende fällt mehr als die Hälfte der Sieger den Folgen des Sieges zum Opfer. Es gibt also doch eine göttliche Nemesis, vermerken die meisten Chronisten erleichtert. Und noch eine Schlussfolgerung ziehen sie: Das Volk ist ein Tier, es bedarf der Zügel und gegebenenfalls der Ketten, damit es nicht über die Stränge schlägt. Einmal entfesselt, ist seine Herrschaft – von Neid, Ignoranz, Aberglauben und Dummheit angefacht – der schlimmste aller politischen Zustände.
Der Papst, im letzten Moment in die Engelsburg geflüchtet, verhandelt selbst in dieser äußersten Bedrängnis weiterhin mit Feind und Freund. Und am Ende hat er damit – so Guicciardinis ebenso resigniertes wie empörtes Fazit – sogar noch Erfolg. Schon bald nämlich gebärden sich Kaiser und Papst wie die engsten Freunde, das Malheur von 1527 ist schnell vergessen. Kein Wort mehr von dieser Peinlichkeit, als Clemens Karl an dessen dreißigstem Geburtstag in Bologna zum Kaiser krönt. Ein halbes Jahr danach, im August 1530, wäscht die eine Hand die andere, ein spanisches Heer macht der endzeitlich fanatisierten Republik in Florenz ein blutiges Ende. Die Medici sind wieder die Herrn ihrer Stadt. Und als i-Tüpfelchen auf der schönen dynastischen Freundschaft heiratet der neue Herzog von Florenz, Alessandro de’Medici, die ‘natürliche’ Tochter Karls V., Margarethe. Ihre sechsjährige Ehe wird ein Alptraum, dem erst die Ermordung ihres gewalttätigen Gatten durch einen eifersüchtigen Verwandten im Januar 1537 ein Ende setzt. Zu diesem Zeitpunkt liegt Clemens VII. schon über zwei Jahre im Grab. Er starb mit sich und der Welt zufrieden. Schließlich war es ihm gelungen, seine Familie auch mit dem Königshaus von Frankreich zu verschwägern; in Marseille hatte er höchstselbst den zweiten Sohn Franz’ I. mit Caterina de’Medici vermählt. Ihr wird viel später als Königin und Mutter von drei Königen eine bedeutende Rolle in der französischen Geschichte sowie ein lang anhaltender schlechter Ruf als Giftmischerin und Hugenotten-Mörderin beschieden sein – überwiegend zu Unrecht, wie die heutige Forschung befindet.
Überhaupt ist der Sacco di Roma kein tiefer Einschnitt, geschweige denn das brüske Ende einer Epoche. Nicht einmal das Papsttum verzeichnet die geringsten Sofortwirkungen. Nepotismus, Amtsverständnis, Selbstdarstellung, alles bleibt erst einmal unverändert. Langfristig aber stellt sich dann doch ein Memento ein. Die Herrschaft des Pontifex maximus ist auf Religion gegründet; übernatürliche, überzeitliche Einsetzung allein verleiht seiner Macht Weihe und Dauer. Dieser Unterschied zu weltlicher Macht bedarf der dauerhaften Umsetzung: in Propagandakunstwerken, aber auch in der praktischen Politik. Wenn der Papst jedoch dieselbe Staatsräson betreibt wie Kaiser und Könige, geht diese Differenz verloren. Das aber hat zur Folge, dass man mit Rom nicht zimperlicher umspringt als mit anderen Gegnern – und sich sein Machtanspruch definitiv verschleißt. Aus dieser Lektion von 1527 werden langfristig Lehren gezogen, verhüllter, indirekter, vorsichtiger zu agieren. Mit einem Schlüsselwort gesagt: es geht darum, prudenza zu praktizieren, sich vielfältig abzusichern, keine zu großen Risiken mehr einzugehen, Hintertüren offen zu lassen und vor allem in Worten, Bauten und Bildern die Andersartigkeit des Papsttums, seine religiöse Fundierung, zu verkünden. Um etwa 1600 ist diese Wende und Neuausrichtung definitiv vollzogen.
Zu diesem Zeitpunkt ruht Francesco Guicciardini seit mehr als einem halben Jahrhundert in der Familiengruft von S. Felicità in Florenz. Er hat den Wettlauf mit dem Tod knapp gewonnen – sein Werk ist fertig, er kann sterben. Auch er hat seine Schlüsse aus dem Schicksalsjahr 1527 gezogen. Alle Macht ist de facto Unvernunft, ihre Ausübung von der Verblendung der Mächtigen irregeleitet. Alle Macht ist daher böse. Die Geschichte gehorcht nicht der ordnenden Ratio, sondern wird vom verworrenen Kräftediagramm der Gier, der Expansion, des Betrugs getrieben. Vor allem aber bedeutet Geschichte umfassenden Wandel, der Mensch selbst bleibt in der Zeit nicht gleich; seine Vorlieben, seine Vorurteile, seine Glaubenswelten – alles ändert sich, und zwar fundamental. Man kann aus Vergangenheit nicht lernen, sondern sie nur im Rückblick verstehen. So erwächst aus der Katastrophe von 1527 eine große Erkenntnis und ein neuer Beruf: der des Historikers.
ARNE KARSTEN
Der Botschafter und der Mörder
Innozenz X. schäumte vor Wut. Selbst seinen engsten Mitarbeitern, jenen Angehörigen der famiglia, die täglich mit ihm zu tun haben und deshalb an die cholerischen Zornesausbrüche des Papstes nachgerade gewöhnt sind, hatte das heutige Schauspiel die Sprache verschlagen. Dabei war der Tagesbeginn zunächst scheinbar friedlich und formvollendet gewesen. Der französische Botschafter Henry d’Étampes-Valençay hatte sich zur Audienz im Quirinalspalast eingefunden, mit jenem pompösen Gefolge, das ein Vertreter der französischen Krone sich und seinem Herrn schuldig zu sein glaubte, und vielleicht sogar noch ein wenig mehr. Denn die Beziehungen zwischen dem regierenden Papst Innozenz X. Pamphili und Frankreich waren schlecht. In Paris warf man ihm die einseitige Begünstigung der Spanier vor, mit denen die Franzosen um die Vorherrschaft in Europa kämpften, wie auch um den größeren Einfluss an der römischen Kurie. Innozenz X. seinerseits betrachtete die französischen Versuche, die Politik des Papsttums zu beeinflussen, als unerträgliche СКАЧАТЬ