Название: Atemlos in Hannover
Автор: Thorsten Sueße
Издательство: Автор
Жанр: Триллеры
isbn: 9783827184146
isbn:
Der größte Arbeitsaufwand bestand für ihn darin, keine Fingerabdrücke, Schweißtropfen oder Speichel auf dem Blatt, der Briefmarke oder dem Umschlag zu hinterlassen. Es durften auch keine Hautpartikel oder Textilfasern im Kuvert landen. Dazu fuhr er das volle Programm, ging absolut auf Nummer sicher.
Er arbeitete auf Einmalunterlagen durchgängig mit Mund-Nasen-Schutz, Einmalhandschuhen, -haube, -schutzkittel und -plastiktüten, ließ Umschlag und Druckerpapier bis zum Gebrauch in der Verpackung. Seinen Oberkörper hielt er beim Verschließen des Umschlags immer leicht nach hinten gebeugt. Besonders wichtig war es, diese Arbeit ohne Störung von außen durchziehen zu können. Aber das Ganze ging schneller als gedacht.
In dieser Situation fühlte er sich wie ein Wissenschaftler in einem Forschungslabor, der sich mit sämtlichen Vorsichtsmaßnahmen vor einem unsichtbaren, aber lebensgefährlichen Virus schützen musste. Eine größere Menge Briefmarken hatte er sich irgendwann spätabends aus einem Automaten vor einem Postamt besorgt und dabei Handschuhe getragen. Zwischenzeitlich war ihm der Gedanke gekommen, mit seinen Sicherheitsmaßnahmen zu übertreiben. Auf der anderen Seite hatte er gewaltigen Respekt vor den heutigen Möglichkeiten der kriminaltechnischen Untersuchung. Außerdem fand er zunehmend Gefallen an diesem Tun.
Als ihm die Szene, wie er den Brief abgeschickt hatte, wieder einfiel, musste er unwillkürlich lachen. Im Dunkeln hatte er den Umschlag in einen abgelegenen Briefkasten eingeworfen. Das Irrwitzige war der Weg dorthin. Den Umschlag hatte er, verpackt in einem Gefrierbeutel, in einer Konferenzmappe mit Schultergurt transportiert. Seine Hände steckten in Einmalhandschuhen, die er in seinen Jackentaschen verborgen hielt.
Wirklich abgefahren! Dieser Brief an die Mordkommission … einfach ein geiles Retro-Feeling … wie bei J. Adam.
Die Bestellung der Spionagebrille war gleichzeitig die Entscheidung fürs Weitermachen.
Ich weiß jetzt, wer die nächste Frau ist.
Kapitel 13
Samstag, 19. Mai
Lara Kleins Stimmung befand sich seit gestern in einem Höhenflug, wie sie ihn zuletzt am Tag der Stellenzusage bei der Region Hannover erlebt hatte. Und die Ursache dieses Glücksgefühls stand eindeutig fest. Zum ersten Mal nach der selbstzerstörerischen Trennung hatte Sven ihr versprochen, wieder etwas gemeinsam mit ihr zu unternehmen.
Das, was sich Lara in den letzten Wochen erträumt hatte, war Wirklichkeit geworden. Ihre Hoffnung, dass sich Sven im direkten Kontakt zugänglicher als am Telefon zeigte, hatte das kurze Gespräch im Auto tatsächlich bestätigt. Jetzt würde sie am Ball bleiben und sich richtig ins Zeug legen, um Sven zurückzugewinnen … und durch ihn Timo.
Dabei kalkulierte sie ein, dass sich der Prozess der Wiederannäherung über viele Monate hinziehen konnte. Aber die Zeit würde sie sich und ihrer Familie geben.
Lara steckte voller Tatendrang und hatte zunächst keine Vorstellung, wie sie ihn produktiv nutzen konnte. Spontan kam ihr der Einfall, online eine Jahresmitgliedschaft bei Fitness for all in der Südstadt zu buchen. Auf der Stelle setzte sie den Gedanken um. Damit war gewährleistet, dass ihr persönliches Band nicht gleich wieder abriss.
Wir können zusammen sein, aber jeder macht sein eigenes Training, ohne uns zu sehr auf die Pelle zu rücken.
Immer noch ganz euphorisch besuchte sie gleich am Vormittag das Fitnessstudio, um sich mit den Abläufen vertraut zu machen.
Ihre Entscheidung erwies sich als goldrichtig. Eine Mitarbeiterin begrüßte sie freundlich, fragte nach ihren individuellen Wünschen und führte sie durch die Räumlichkeiten auf zwei Etagen.
Aber das Highlight des Tages kam erst noch. Lara wurde auf ihre positive Ausstrahlung angesprochen. Ein leitender Angestellter fragte, ob sie Lust hätte, sich „derart begeistert“ fotografieren zu lassen. Ihr strahlendes Gesicht würde sich „fantastisch“ für die geplante Onlinewerbung des Fitnessstudios, unter anderem in den Ihme News, machen. Lara verkörpere vom Alter her eine der Zielgruppen, die bewusst angesprochen werden sollten. Außer ihr hätte sich schon ein Mann für die Werbekampagne fotografieren lassen.
Lara war Feuer und Flamme. Was für eine Wertschätzung! Noch nie hatte ihr jemand eine derartige Frage gestellt. Natürlich sagte sie zu. Damit wurde sie zu einem der Gesichter von Svens Fitnessstudio. Der Umstand, dass sie noch keine langjährige Kundin war, spielte offenbar keine Rolle.
Mehrere Fotos zur Auswahl waren schnell gemacht. Neben ihrem Porträt sollten später ihr Vorname und ein Satz stehen, der ihr in den Mund gelegt wurde: „Als Frau fühle ich mich hier wohl!“
Dafür erhielt sie für ein halbes Jahr kostenlos die VIP-Mitgliedschaft.
Ein toller Tag!
Kapitel 14
Samstag, 19. Mai
Auf einmal trat eine weitere Frau in sein Leben …
Er kümmerte sich heute, am Samstag vor Pfingsten, um die Rückgabe des Leerguts.
Im vorderen Bereich des Supermarktes, außerhalb der Einkaufszone, befanden sich nebeneinander zwei Automaten zur Leergutannahme. Ausgerechnet heute war der rechte Automat defekt. Ein Techniker hantierte an dem Gerät herum. Dementsprechend hatte sich eine kleine Schlange von Kunden vor dem linken Automaten gebildet.
Mist, warum streikt das blöde Teil gerade heute?
Er stand mit seinem Einkaufswagen, darin Kisten mit leeren Bier- und Wasserflaschen, auf Platz drei der Schlange. Direkt hinter ihm wartete eine Blondine, in deren Wagen sich das Leergut stapelte. Zwei Kistentürme mit leeren Plastikflaschen ragten nebeneinander in die Höhe.
Meine Güte, was für ’ne Sammlung. Wahrscheinlich ist Blondie zu faul, häufiger ihr Leergut wegzubringen.
Zum ersten Mal trug er die Brille außerhalb seiner vier Wände, um sie für den Einsatz zu testen.
Gute Entscheidung von mir, den Zeitstempel für alle Aufnahmen auszuschalten. Der verunziert nur die Ästhetik des Bildes. Ich will die Videos später in ihrer zeitlosen Schönheit betrachten.
Unauffällig betätigte er den Aufnahmeknopf, dann blickte er in die Runde, wie zufällig auch zu Blondie, gab sich bewusst geistesabwesend.
Ein Mann hatte seine gesammelten Werke dem Automaten anvertraut. Den Leergutbon in der Hand, räumte er mit seinem Einkaufswagen das Feld.
Platz zwei. Die Alte vor mir ist auch nicht die Schnellste. Das kann dauern.
Er filmte die Frau um die siebzig, wie sie einzelne kleine Plastikflaschen in die Maschine einführte.
Dadurch bekam er nicht rechtzeitig mit, dass der Techniker seine Arbeit beendet und den rechten Rückgabeautomaten wieder freigegeben hatte. Aus dem Augenwinkel sah er, wie die Blondine mit ihrem Einkaufswagen neben ihm auftauchte und auf den rechten Automaten zustrebte.
He, erst bin ich dran!
Er packte den Griff seines Wagens und versuchte mit einer blitzschnellen Bewegung noch vor der Frau am rechten Leergutautomaten zu sein.
Oh, Scheiße!
Die Frau war bereits an ihm vorbei, und sein Wagen rammte ihren von der Seite mit voller Wucht. Der Schwung brachte die Zwillingstürme СКАЧАТЬ