Название: Atemlos in Hannover
Автор: Thorsten Sueße
Издательство: Автор
Жанр: Триллеры
isbn: 9783827184146
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„Ach, jetzt wird’s aber irre“, kommentierte der dunkelhaarige Arif, ein mittelgroßer Mann um die vierzig mit türkischen Wurzeln, der schon jahrelang zum Kommissariat 1 gehörte.
„Das sieht nach einer Nachricht des tatsächlichen Täters aus“, kommentierte Jan, ein drahtiger Typ Mitte dreißig. „Die Formulierung auf dem Umschlag war ja schon ein kleiner Hinweis auf einen außergewöhnlichen Inhalt.“
Der verschlossene Umschlag war ganz regulär mit der Post verschickt worden und heute angekommen. Die aufgedruckte Adresse, vermutlich von einem Tintenstrahldrucker, lautete:
An die Mordkommission,
die sich mit Nadine Odem beschäftigt
Waterloostr. 9
30169 Hannover
Rechts oberhalb der Anschrift befand sich eine Automatenbriefmarke, die gestern mit einem Stempel des Briefzentrums Hannover entwertet worden war.
Ein Absender war nicht auf dem Umschlag vermerkt.
Thomas hatte das Kuvert vorsichtig geöffnet, das genau dieses eine in der Mitte gefaltete Blatt enthielt.
Auf die obere Blatthälfte war mit großen fetten Buchstaben ein Satz in der Schriftart Arial gedruckt worden: „Ich habe ihr den Atem genommen“.
Auf der unteren Blatthälfte dokumentierte der Verfasser unmissverständlich, um wen es ihm ging. Thomas und alle Anwesenden starrten gleichermaßen auf das gedruckte Farbfoto, welches die auf dem Bauch liegende Nadine Odem zeigte. Das Gesicht der Frau war im Profil erkennbar, wobei der Kragen der weinroten Windjacke ihren Hals verdeckte. Die Frau lag im Wald, neben ihr waren ein Kugelschreiber, ein Smartphone und eine Tupperdose mit einer kleinen Spielzeugfigur zu sehen.
„Das kann keine makabre Fotomontage sein“, äußerte Andrea mit gedämpfter Stimme. „Das ist direkt am Tatort fotografiert worden, wahrscheinlich kurz nachdem das Opfer getötet worden ist.“
„Dass jemand den Leichnam noch vor den beiden Geocachern gefunden hat und sich jetzt mit dieser geschmacklosen Nummer wichtigmachen will, kann man natürlich nicht ausschließen“, warf Arif ein.
„Das stimmt“, erklärte Raffael und hob etwas oberlehrerhaft den rechten Zeigefinger. „Aber die Chance, dass wir es hier mit einer Botschaft des Täters zu tun haben, erscheint mir sehr groß. Schließlich haben wir solche Tatortfotos nicht an die Öffentlichkeit gegeben.“
„Und was ist die Botschaft?“, grunzte Thomas.
„Der Verfasser hat Humor …“, äußerte Raffael spontan, der angesichts des irritierten Gesichtsausdruckes seiner Kollegen ergänzte: „Ich meine, er hat offenbar eine spezielle Art von schwarzem Humor. Er verknüpft in einem Wortspiel den Namen des Mordopfers, also die alte dichterische Bezeichnung für Atem, mit der vollzogenen Tötung, die Nadine Odem schließlich den Atem nimmt.“
Thomas und Arif guckten weiterhin irritiert.
„Ich bin gespannt“, meinte Andrea, „ob er dieses dürftige ‚Bekennerschreiben‘ auch an andere Stellen schickt, wie beispielsweise die Presse.“
„Wenn uns der Täter schon ein Bekennerschreiben zukommen lässt“, sagte Jan in einem gespielt klagenden Tonfall, „hätte er sich wenigstens noch die Zeit nehmen sollen, es ordnungsgemäß mit seinem Absender zu versehen.“
„Da er das aber nicht getan hat“, warf Andrea ein, „untersuchen wir eben Umschlag und Blatt auf die typischen Druckerspuren, mögliche Fingerabdrücke oder Hautpartikel.“ Ihre Stimme bekam einen optimistischen Tonfall. „Vielleicht wissen wir bald mehr über den Absender, weil der Typ der irrigen Auffassung war, dass man auf Papier keine verräterischen Spuren hinterlässt.“
Thomas zuckte mit den Schultern.
„Ich frage mich, aus welcher Motivation heraus er das Foto mit dem Einzeiler an die zuständige Mordkommission versendet“, brummte er. „Um sich aufzuspielen in dem Glauben, ihr kriegt mich doch nicht …? Ich denke, jetzt ist der richtige Moment, Mark Seifert anzurufen.“
Dr. Mark Seifert leitete als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie mit forensischer Erfahrung den Sozialpsychiatrischen Dienst der Region Hannover. Thomas Stelter hatte den Psychiater aufgrund seines kriminalistischen Spürsinns in den vergangenen Jahren öfters bei Mordermittlungen zur Erstellung eines psychologischen Täterprofils erfolgreich hinzugezogen.
Kapitel 11
Freitag, 18. Mai
Lara Klein las dieselben Textpassagen auf dem Computerbildschirm jetzt bereits zum dritten Mal.
Verdammt, ich muss mich endlich konzentrieren, sonst baue ich wieder Mist. Es sind diese blöden Gedanken, die mich immer wieder rausbringen.
Sie saß am Schreibtisch eines Doppelbüros ihrer zwanzig Jahre jüngeren Kollegin Romy Dudek gegenüber, die nach Beendigung eines Telefonats nahtlos wieder flüssig auf der Tastatur zu tippen begann.
Lara und Romy arbeiteten als Sachbearbeiterinnen für Eingliederungshilfe bei der Region Hannover, einem Kommunalverband besonderer Art, der neben der niedersächsischen Landeshauptstadt noch zwanzig weitere Gemeinden umfasste. Der Arbeitsplatz der beiden Frauen befand sich im sechsstöckigen Haus der Region am Rand der Südstadt von Hannover. Es gehörte zu ihren Aufgaben, die Anspruchsvoraussetzungen von Menschen mit Behinderung auf Eingliederungshilfe sozialhilferechtlich zu prüfen. Dabei ging es insbesondere um die Einkommens- und Vermögensprüfung sowie die Prüfung der örtlichen Zuständigkeit. Lara und Romy forderten fachärztliche Stellungnahmen an, arbeiteten regelmäßig mit Ämtern und Einrichtungen zusammen und verfassten am Ende Bescheide mit eigenem Ermessensspielraum.
So viele Vorgänge, die täglich über meinen Schreibtisch gehen. Ich kenne nicht die Menschen, nur ihre Akten. Lara tauchte schon wieder in ihre Gedankenwelt ein. Eine Behinderung ist für manche bestimmt ein schweres Schicksal. Schon verrückt, dass ich jeden Tag Behinderte unterstütze und selbst eine schlimme Behinderung hab, die ich verschweige.
Sie versuchte sich wieder auf das Schriftstück zu konzentrieren, das ihr ein rechtlicher Betreuer per E-Mail zugeschickt hatte.
Laras Behinderung hieß Alkohol. Und der hatte sie schon vor über zehn Jahren zunehmend aus der Bahn geworfen. Alle Höhen und Tiefen dieser Abhängigkeit hatte sie bereits durchlebt.
Am Anfang war das Zeug eine willkommene Abwechslung, um den Schmerz zu betäuben. Da entschied sie noch selbst, wann sie sich zuschüttete. Belastende Themen gab es genug.
Aber nach und nach verspürte sie den Zwang, ihren Körper den ganzen Tag über mit einem Alkoholpegel zufriedenzustellen. Sie konnte das Trinken nicht mehr kontrollieren und steigerte ihren Konsum immer mehr, um quälenden Entzugserscheinungen entgegenzuwirken.
Im betrunkenen Zustand kam es zu fürchterlichen Streitereien mit ihrem Mann und ihrem Sohn. Auf einmal ließ sie ihre Wut raus und beschimpfte die beiden. In dieser Phase riss der Alkohol wie eine unheilvolle Lawine sämtliche Hemmungen mit sich fort. Heute war sie froh, sich nicht mehr an alle grauenhaften Auseinandersetzungen erinnern zu können.
Damals hatte sie wiederholt versprochen, mit dem Trinken aufzuhören. Aber sie schaffte es nicht, ihre Versprechen einzuhalten, und schämte sich, wenn sie in der Wohnung und am Arbeitsplatz heimlich СКАЧАТЬ