Название: Atemlos in Hannover
Автор: Thorsten Sueße
Издательство: Автор
Жанр: Триллеры
isbn: 9783827184146
isbn:
In ihrer Wohnung, die im nördlichen Teil von Hannover lag, fiel ihr Blick im Flur als Erstes auf die leeren Pappkartons, die sich schon wieder angesammelt hatten. Lauter Verpackungen ihrer Bestellungen bei diversen Online-Shops.
Alles Frustkäufe, weil ich seit Ewigkeiten ziemlich isoliert bin und fast immer alleine in meiner Bude hocke. Und als Highlight meiner Kaufwut bekomme ich zusätzlich diese sinnlosen Prämiengeschenke zugesandt.
Die einzige regelmäßige Besucherin ihrer Wohnung war Petra, die jeden Sonntagvormittag zum Frühstück kam. Für Lara ein willkommener Anreiz, ihre Wohnung nicht wie früher komplett vermüllen zu lassen. Die beiden Frauen hatten vereinbart, dass Petra immer Laras Wohnungsschlüssel mitnahm, damit sie im Zweifelsfall die Tür aufschließen konnte, wenn Lara wegen eines Alkoholrückfalls dazu nicht mehr in der Lage sein sollte. Darüber hinaus hielt Lara regelmäßigen Kontakt zur Selbsthilfegruppe.
Sven wollte sich am Telefon nicht auf ein Treffen mit mir einlassen. Es funktioniert nur, wenn ich ihn vor vollendete Tatsachen stelle. Ich hoffe, dass er mir persönlich nichts abschlagen wird. Um sechzehn Uhr ist er freitags immer zu Hause, hat er erzählt. Ich hab ihn geschickt ausgehorcht. Er ahnt nicht, dass ich heute vor seiner Tür stehe.
Laras Anspannung wuchs.
Hoffentlich krieg ich vor Aufregung keinen Durchfall. Ich tu unschuldig und sage, ich war zufällig in der Nähe und hab mir gedacht, einfach mal zu klingeln.
Sie zog sich im Badezimmer um, entschied sich für ein sportliches Outfit mit Pulli, Jacke und Sneakers. Danach nahm sie sich ausreichend Zeit für ihr Make-up.
Richtig geschminkt hab ich mich zuletzt bei meiner unsäglichen Sause mit Romy.
Mit ihrem Hyundai i10 fuhr sie zurück in die Südstadt, wo Sven mit Timo in einer Mietwohnung lebte.
Ich genieße es, mir wieder einen Kleinwagen leisten zu können und nicht mit den vollgestopften Öffis fahren zu müssen.
Sie arbeitete seit Monaten im selben Stadtteil, hatte aber dort weder ihren Mann noch ihren Sohn getroffen. Was zum einen sicherlich daran lag, dass die Südstadt eine große Fläche mit zahlreichen Wohnhäusern umfasste. Zum anderen hatte sie sich bis heute nicht getraut, sich Sven und Timo persönlich zu nähern.
Es war 16:30 Uhr.
Die Wohnung ihres Ex-Mannes befand sich im zweiten Stock eines dieser vierstöckigen Häuser, die sich zu beiden Seiten der Straße aneinanderreihten, immerhin mit Balkon und kleinem Vorgarten. Eine Grünanlage mit Spielplatz war nicht weit entfernt.
Dem Hauseingang schräg gegenüber fand sie einen Parkplatz. Svens Auto, ein schwarzer Rover Mini, stand direkt vor der Tür. Sie hatte plötzlich das Gefühl, schlecht Luft zu bekommen, klammerte sich am Lenkrad ihres stehenden Fahrzeugs fest.
Was ist los mit mir? Wenn ich es jetzt nicht wage, mache ich es nie. Timo wird nicht mit mir sprechen, aber Sven. Ich werd ihn bitten, dass wir gemeinsam einen Spaziergang machen.
Ganz bewusst atmete sie langsam tief ein und aus.
Mir ist flau im Magen. Ich hätte vorher was Vernünftiges essen sollen.
Aber insgeheim hatte sie gehofft, mit Sven gemeinsam in einem der Bistros eine Kleinigkeit zu sich zu nehmen.
Sie stieg aus und überquerte die Straße. Auf dem Gehweg vorm Eingang blieb sie stehen und ließ den Blick an der Hauswand nach oben bis zum zweiten Stock schweifen. In einem der Fenster hatte sich für eine Sekunde die Gardine bewegt, die Konturen einer Person waren kurz sichtbar.
Ist das Timo gewesen? Oder Sven?
Bilder überfluteten sie, verbunden mit Herzklopfen und der Panik, in diesem Moment etwas Fürchterliches loszutreten. Vor ihrem geistigen Auge erschien ihr Mann, dann ihr Sohn. Beide hatten den Mund weit aufgerissen, als würden sie schreien.
Soll ich umkehren?
Die Bilder verschwanden von einer Sekunde zur anderen.
War ja klar, dass ich Muffensausen bekomme. Aber ich ziehe es durch.
Sie ging zum Hauseingang und klingelte bei „Klein“. Als nach einer halben Minute keine Reaktion erfolgte, drückte sie den Klingelknopf zweimal hintereinander erneut.
Hat mich einer von ihnen am Fenster gesehen? Und jetzt tun sie so, als ob keiner zu Hause wäre?
Nach einem weiteren Versuch ging sie zu ihrem Wagen und fuhr weg.
*
Sven Klein mochte die Drei-Zimmer-Wohnung, in der er seit Jahren mit seinem Sohn Timo zusammenlebte. Die Südstadt bot ihm alles, was er schätzte: den Maschsee, die Eilenriede, Museen, Fitnessstudios, Biergärten und jede Menge Einkaufsmöglichkeiten.
Auf seinen Wagen, einen über zwanzig Jahre alten Rover Mini, ein britisches Exportfahrzeug mit Steuerrad links, war er als Liebhaber dieses Kult-Autos besonders stolz. Auch Timo durfte gelegentlich damit fahren, wobei diesem ein Auto mit moderner technischer Ausstattung lieber gewesen wäre.
Sven arbeitete im Fachbereich Gebäudemanagement der Stadt Hannover, war dort Teamleiter für das Sachgebiet Finanzen, Rechnungswesen und Controlling.
Die belastenden familiären Konflikte hatten Vater und Sohn fest zusammengeschweißt. Ihre gute Beziehung hatte selbst Timos Pubertät problemlos überstanden. Darin sah Sven die Erklärung, dass Timo bisher keine Anstalten machte auszuziehen. Aber spätestens, wenn er sein Studium abgeschlossen hatte, würde es so weit sein.
Das letzte längere Treffen mit Lara lag Jahre zurück. Ein paar Mal waren sie sich danach in einiger Entfernung kurz über den Weg gelaufen, in einer Stadt wie Hannover unvermeidlich.
Jetzt rief ihn Lara seit Wochen in gewissen Abständen auf dem Festnetz an. Die Telefonate wurden immer länger. Sven wollte sich auf keinen Fall mit ihr verabreden. Das hatte er Timo versprochen.
Und plötzlich kreuzte sie vor seinem Haus auf! Durch Zufall hatte er sie vom Fenster aus gerade noch rechtzeitig auf der Straße erkannt. Timo war noch in der Uni. Sven hatte gerade seine Sporttasche gepackt und wäre ihr beinahe unten in die Arme gelaufen.
Als es mehrfach klingelte, reagierte er nicht. Sie sollte glauben, dass er ausnahmsweise noch nicht zu Hause war. In ausreichendem Abstand von der Gardine konnte er beobachten, wie Lara in ihren Wagen stieg.
Sie haut ab. Schwein gehabt!
Er wartete noch eine Viertelstunde, dann verließ er die Wohnung.
Sven, sechsundvierzig, kurze dunkelblonde Haare, leicht angegraut, war schlank und wirkte körperlich fit. Er hatte sich etwas vorgenommen und wollte nicht zu spät kommen. Im Treppenhaus hörte er, wie unten die Haustür aufgeschlossen wurde. Gleich darauf kam ihm Annika Brennecke entgegen, eine ungefähr gleichaltrige Frau mit langen braunen Haaren, die im ersten Stock wohnte.
Sie blickte auf die Sporttasche in seiner Hand und fragte ihn mit spöttischem Unterton: „Na, noch was für den Körper tun, Sven?“
„Deinem scharfen Blick entgeht einfach nichts“, antwortete er ironisch. Dann sah er zu, dass er ohne ein weiteres Wort schnell an ihr vorbeihuschte.
Wenn СКАЧАТЬ