Anatomie des Handy-Menschen. Matthias Morgenroth
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Название: Anatomie des Handy-Menschen

Автор: Matthias Morgenroth

Издательство: Bookwire

Жанр: Религия: прочее

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isbn: 9783429064891

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СКАЧАТЬ verwachsen. Aber schon der erste Blick zeigt: Wir sind nicht mehr dieselben. Wir sind über uns hinausgewachsen.

      Wir haben einige neue Organe entwickelt, die unsere medizinischen Lehrbücher und Gesundheitslexika nicht kennen. Darum ist die bevorstehende Tomographie des smarten Menschen eine Entdeckungsreise. Ein echtes Forschungsgebiet. Mit Risiken und Nebenwirkungen. Wir sind mehr oder minder auf uns allein gestellt, aber wir müssen da durch, wenn wir uns weiterhin selbst verstehen wollen. Wenn wir freie Menschen bleiben wollen.

      Einige Spezialisten haben wir natürlich bereits an unserer Seite. Ein wenig seelsorgerliche Begleitung aus den Fachbereichen Philosophie, Ethik, Soziologie, Medienkunde, Kommunikationswissenschaft, aus der Mathematik, der Hirnforschung und verschiedenen therapeutischen Disziplinen, dazu Wissenschaftsjournalisten und Feuilletonisten. Denn natürlich versuchen gegenwärtig viele, das Neue zu fassen, was uns umgibt, prägt und was wir mit unserem Handyleben wiederum mitprägen. „Fassen“ ist in diesem Zusammenhang das richtige Wort, denn irgendwie scheinen uns die Gedanken und Gefühle rings um das Neue sofort wieder zu entgleiten, weil die digitale Revolution keine Rücksicht auf menschliches Zeitempfinden nimmt. Sie ist „disruptiv“, sprengt mit großer Macht vieles auf, ohne Rücksicht auf Verluste. Wir sind nicht mehr dieselben – und diese Veränderung geht auf der einen Seite so rasend schnell, dass im Alltag kaum einer dazu kommt, darüber mit Sinn und Verstand zu reflektieren. Auf der anderen Seite geht sie so unbewusst und selbstverständlich vonstatten, dass wir oft gar kein klar umrissenes Bild davon haben, worüber denn zu reflektieren wäre, sollten wir doch einmal vom Display aufschauen und innehalten. Wir bemerken nur dieses diffuse Gefühl, dass wir uns verändert haben und uns ständig weiterverändern, gemeinsam mit der Zeit, in der wir leben. Und mit dem Smartphone in der Hand. Die Corona-Krise hat dabei die Entwicklung der vergangenen Jahre noch einmal radikalisiert – aber auch manches wieder neu in Frage gestellt.

      Man kann die Folgen dessen, was Digitalisierung genannt wird, technisch, mathematisch, biologisch, psychologisch, wirtschaftswissenschaftlich, soziologisch, philosophisch, ethisch und sicher noch auf ein Dutzend andere Weisen beschreiben. Wir werden es in diesem etwas anderen Anatomie-Lehrbuch im umfassenden Sinne des Wortes menschlich angehen. Wir gehen nicht vom „User“ aus, sondern vom Menschen. Vom ganzen Menschen, den ich als lebendiges, vielschichtiges, prinzipiell weltoffenes Wesen verstehe. Es geht um uns. Um dich und mich.

      Wie jede bahnbrechende kulturelle Errungenschaft ist auch das Smartphone sowohl Ausdruck als auch Motor des Neuen. Es ist Konzentrationspunkt und Symbol dessen, was sich schon lange angebahnt hat und für das die Zeit jetzt reif zu sein scheint. Und zugleich verstärkt und potenziert es das, was da geworden ist. Umfassend, in rasantem Tempo, umwerfend und umstürzend, disruptiv eben. Das, was wir weltweit erleben und was digitale Revolution genannt wird, hat im Smartphone seinen ganz konkreten Ausdruck für jeden Einzelnen gefunden. Und deswegen müssen wir dort ansetzen, um uns und die Macht des Digitalen zu verstehen.

      • Denke dich in die Zeit vor Corona: Wann hattest du das letzte Mal dein Smartphone einen ganzen Tag lang aus?

      • Und zu Corona-Zeiten: Wann und wo lebst du ohne Handy oder Tablet oder Laptop?

      • Würdest du umkehren, wenn du auf dem Weg ins verlängerte Wochenende feststellst, dass du das Handy zu Hause liegen gelassen hast, auch auf die Gefahr hin, den Zug oder den Flieger zu verpassen?

      • Schaust du auf die Wetter-App oder aus dem Fenster, wenn du wissen willst, wie das Wetter ist oder wie warm es ist? Und wem glaubst du mehr – der App oder deinem Blick?

      • Wie lange hältst du es aus, dein Smartphone zu ignorieren, nachdem es vibriert, gepiepst, gezwitschert oder sonst einen Signalton von sich gegeben hat?

      Die digitale Revolution sei eine Medienrevolution, hieß es zuerst. Das klang ziemlich abstrakt und sehr weit weg. Das klang, als würde es Medien betreffen, nicht Menschen. Geräte und nicht Gefühle. Doch wie sich mittlerweile herausgestellt hat, stimmt das nicht. Es betrifft jeden von uns.

      Was diese Medienrevolution mit uns macht, auch dafür haben wir noch gar keinen richtigen Namen. Was passiert mit uns? Und wer soll das schon sein, der Homo Digitalis? Der Mensch 4.0? Ich doch nicht! Oder doch? Konkret anschauen können wir all das, was mit uns geschieht – oder was wir mit uns machen lassen, was wir uns zumuten –, wenn wir zunächst einmal anerkennen, wie verwachsen wir mittlerweile mit dem Smartphone sind – neben dem Computer der tagtäglichen und für uns viel wichtigeren Schnittstelle zu „unserer“ digitalen Welt.

      Der direkte, sichtbare Ausdruck für das, was Digitalisierung für uns bedeutet, ist das Smartphone geworden, mit dem wir eine ganze Welt mit uns herumtragen. Dieses flache Zauberkästchen ist unser Auge zum digitalen Jenseits. Es ist auch längst unser Kompass durch das analoge Diesseits. Es ist unsere Nabelschnur, mit der wir mit unserem digitalen „Zwilling“ oder „Schatten“ verbunden sind. Denn ohne dieses kleine Gerät fühlen wir uns mittlerweile mehr oder weniger amputiert. Und es ist noch nicht abzusehen, welchen Schub das social distancing der Digitalisierung bringen wird.

      Das Handy war schon längst davor ein weiteres Körperglied. Wenn wir sagen, unsere Hand ist ein Teil von uns, dann sind wir auch Hand. Wenn wir sagen, das Handy ist ein Teil von uns, dann sind wir auch Handys. Das gilt es zu erspüren.

      Seit Steve Jobs’ Präsentation des ersten iPhones im Januar 2007 mutieren wir zu Cyborgs, zu Mensch-Maschinen. Wir umklammern die Schnittstelle oft schon so fest, dass es bereits Kinder gibt, die der Meinung sind, das Wort Hand komme bestimmt von Handy, und wir verlagern unser Leben und Erleben Stück für Stück, Bit für Bit, dort hinein. Manche gehen sogar so weit, zu sagen, es wäre schon längst umgekehrt, und wir wären nur noch Hände und Füße für die Smartphones, die vielleicht schon die wahren Herrscher über unsere Körper und über unseren Geist sind. Und vielleicht war der Lockdown ganzer Gesellschaften zu Pandemie-Zeiten nur durchsetzbar und lebbar, weil wir den digitalen Teil unserer Selbst weiterleben durften.

      Es geht in den folgenden Erkundungen der Anatomie des Handy-Menschen natürlich nicht um pro oder contra Smartphone, es geht ums Wie. Denn logisch, wer sich dem Smartphone und der digitalen Maschinerie dahinter komplett verweigert, würde sich schon heute mit einem Schlag so ziemlich von allem abkoppeln, was für die meisten von uns zählt. Es wäre ein Eremitendasein, und nur wenige halten es aus.1 Und es ist ja nur noch eine Frage der Zeit, bis nicht nur unsere Kommunikation, unser Büro und unsere Freunde, sondern die Dinge des alltäglichen Lebens in den digitalen Raum verlagert werden: Es war ja für viele spätestens durch Corona auch ein Aha-Erlebnis, wie konzentriert manche Treffen im virtuellen Raum über Zoom oder Teams oder Skype ablaufen können. Handy in die Tonne ist daher keine Alternative. Aber das Leben dem Smartphone zu überlassen ist auch keine.

      Schon von Anfang an war das iPhone oder Smartphone (ich verwende Handy, Smartphone, iPhone synonym) mehr als nur eine Art elektronisches Taschenmesser mit vielen tollen Funktionen. Schon die Konzeption beinhaltete die Absicht, uns, unsere Selbstwahrnehmung und unseren Alltag radikal zu verändern. Bereits die Namen verraten es. iPhone heißt auf Deutsch Ich-Phone. Und das weltweit meistgenutzte Betriebssystem trägt den Namen Android. Das altgriechische Wort Androide bezeichnet menschenähnliche Gestalten.

      An diesem menschenähnlichen Ich-Begleiter hängen wir längst viel mehr, als wir glauben und zugeben. Allein schon die höchst emotional geführte Diskussion, wie süchtig wir denn schon seien – nie wir selbst natürlich, immer die anderen –, macht mehr als nachdenklich.

      Das Gute ist: Wir haben nicht nur die Pflicht, СКАЧАТЬ