Название: Der Aktionskreis Halle
Автор: Sebastian Holzbrecher
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Erfurter Theologische Studien
isbn: 9783429061265
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1.1Zentrale Konzilsaussagen
Bei der Untersuchung der Rezeption des II. Vatikanischen Konzils durch den Aktionskreis Halle findet eine thematische Einschränkung der zu analysierenden Konzilsaussagen statt. Aus der immensen Themenvielfalt des Konzils werden im Folgenden vier Komplexe herausgefiltert und der anschließenden Rezeptionsanalyse als Reflexionshintergrund zugrunde gelegt. Lumen gentium und Gaudium et spes bilden die beiden inhaltlichen Pole - ad intra und ad extra - des Konzils. Ausgangspunkt für die Untersuchung ist das konziliare Kirchenverständnis als Volk-Gottes sowie die erneuerte kirchliche Ortsbestimmung in der Welt von heute. Beide Konstitutionen stellen sich als bedingende „Leuchtfeuer“769 für die kirchliche Positionierung in der Welt von heute dar.770 Aus der Betrachtung beider Dokumente ergeben sich die Aussagen zum Laienapostolat im Dekret Apostolicam actuositatem konsequent.771 Das Ökumenismusdekret Unitatis redintegratio liest sich zudem in zentralen Passagen wie „ein Präludium des Themenkatalogs von Gaudium et spes“772 und ist insofern eine ökumenische Entfaltung der kirchlichen Ortsbestimmung in der Welt von heute.773 Die thematische Auswahl legitimiert sich zunächst durch einen operationalisierbaren Umfang von Konzilsaussagen. Zugleich wird diese Orientierung durch die Struktur und das Wirken des Aktionskreises begründet. Von dieser Auswahl ausgehend soll im Gang der Untersuchung analysiert und kommentiert werden, wie der Aktionskreis Halle Aussagen des Konzils rezipiert, interpretiert und selbstständig umgesetzt hat.
Die Konstitution Lumen gentium (LG) ist in einen vielschichtigen historischen und theologischen Kontext gestellt.774 Seit der gregorianischen Reform, vor allem jedoch seit der Reformationszeit trug die katholische Ekklesiologie zunehmend juridische Züge. Infolgedessen kam es zu einem Paradigmenwechsel, der sukzessive die Potestas des geweihten Priestertums betonte und die Wirklichkeit der Kirche, als vom Geist versammelte Gemeinschaft, als έκκλησία zurückdrängte. Peter Hünermann betont, dass sich diese Entwicklung durch die ab dem Spätmittelalter zu beobachtende vermehrte Verwendung eines univoken Kirchenbegriffs noch verschärfte. Je mehr der analoge und damit weite Kirchenbegriff, wie er bei den Kirchenvätern und noch bei Thomas von Aquin zu beobachten ist, in den Hintergrund trat, umso mehr verengte sich die Ekklesiologie auf die konkrete juridisch-organische Gestalt von Kirche unter der monarchischen Leitung des Papstes. Die geschichtlich-eschatologische Dimension und die vielfältigen Gestalten von Kirche kamen so kaum mehr in den Blick.775 Da innerhalb der katholischen Ekklesiologie zudem das Schema der Monarchie dominierte, nahmen ebenso „die dynamische Einheit der Kirche aus und in Kirchen“776 sowie synodale und kollegiale Momente in der Wahrnehmung ab. Auf dem I. Vatikanischen Konzil verschärfte sich diese Entwicklung nochmals. Die vorzeitige Sistierung des Konzils führte zu einer einseitig akzentuierten Konzilsaussage zum Papsttum hinsichtlich des Jurisdiktionsprimats und der Unfehlbarkeit, nicht aber zu einer Einbettung dieser Aussagen in eine Ekklesiologie insgesamt.777 Erst nach dem 1. Weltkrieg begannen vor allem deutsch- und französischsprachige Theologen auf eine patristische und quellenorientierte Neuausrichtung der katholischen Ekklesiologie hinzuwirken.778 In der Kirchenkonstitution entfaltete sich dieser Ansatz schließlich in einer Communio-Ekklesiologie. Ausdrücklich hatten die Konzilsväter in den Beratungen der zweiten Sitzungsperiode darauf gedrungen, dass, „bevor von der Hierarchie gesprochen werde[n], vom Volk Gottes im Ganzen“779 auszugehen sei. Paradigmatisch für die erneuerte Ekklesiologie ist daher die Reihefolge der Darlegung in der Kirchenkonstitution: Auf die Grundlegung der Kirche als Mysterium im ersten Kapitel folgt die Bestimmung der Kirche als Volk Gottes und erst danach wird die hierarchische Verfassung der Kirche thematisiert, woran sich im vierten Kapitel Ausführungen zu den Laien anschließen.780 In der Communio-Ekklesiologie des Konzils wurde die „biblische, patristische und hochscholastische Lehre“781 vom „gemeinsamen Priestertum“ (LG 10) wieder neu herausgestellt. Alle Christen nehmen durch die Taufe „als Glieder des einen Volkes Gottes und des einen Leibes Christi teil am Priester-, Propheten- und Königsamt Jesu Christi.“782 Walter Kasper betont, dass mit diesem Kirchenbild die „traditionelle Rede von zwei voneinander abgegrenzten Ständen, den Klerikern und dem sogenannten ‚gewöhnlichen‘, ‚einfachen‘ Volk (plebs), das in Sache der Kirche nicht zuständig und nicht fachkundig ist, obsolet geworden“783 ist. Die fundamentale Einheit aller Getauften darf allerdings nicht im Sinne einer unterschiedslosen Gleichheit aufgefasst werden, welche den Ämtern und Charismen, wie sie im Neuen Testament bezeugt sind, widersprechen würde; vielmehr geht sie allen weiteren Unterscheidungen voraus. Von der Volk-Gottes-Ekklesiologie und dem gemeinsamen Priestertum der Gläubigen ausgehend hat das Konzil schließlich das Amtsverständnis neu akzentuiert. Das kirchliche Amt wird von den Konzilsvätern als Dienstamt im und am Volk Gottes definiert (LG 18-29). Vom Ziel der Kirche her, „Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ (LG 1) zu sein, bestimmt das Konzil die Aufgabe des kirchlichen Amtes nunmehr als Dienstleistung.784 Während die Sendung der Laien dem Ziel und Zweck der Kirche zuzuordnen ist, gehören die Ämter der Kirche „zur Ordnung der Mittel.“785 Das kirchliche Weiheamt soll daher sendungstheologisch als Dienstamt „der Verwirklichung des Ziels und des Zwecks der Kirche dienen.“786 Dabei wird der innerste Lebensvollzug der Kirche als pilgerndes Volk Gottes unter den Anspruch der Geschwisterlichkeit ihrer Glieder gestellt.787
Den zweiten Pol des Konzils stellt die Pastoralkonstitution Gaudium et spes (GS) dar.788 Auch diese Konzilsaussage griff auf vielfältige und keinesfalls einheitliche theologische Vorläuferdiskurse sowie gesellschaftliche Fragestellungen im 19. und 20. Jahrhundert zurück.789 Die Auseinandersetzungen der Kirche mit Modernismus, Antimodernismus und Liberalismus hatten sie „aus dem Takt der Zeit geraten“790 lassen. Es ist Papst Johannes XXIII. zu verdanken, dass zur Lösung dieser Frontstellung zwischen Kirche und moderner Welt ein pastorales Konzil einberufen wurde, das sich schließlich im letzten Dokument mit der Kirche in der Welt von heute befasst. Über mehrere Etappen und Phasen der kritischen Auseinandersetzung hinweg, musste sich der anfangs als Schema XIII und später als Schema XVII bezeichnete Text, der nicht auf vorbereitete Entwürfe zurückging, sondern im Konzil selbst entstand, zu einem tragfähigen Konsenswerk entwickeln. Dass die Pastoralkonstitution der letzte verabschiedete Text des Konzils ist, steht nicht unwesentlich mit dem Ringen um die inhaltlichen und methodischen Positionen in Zusammenhang. Die Konstitution gliedert sich zweifach: in einem ersten Teil entwickelt das Konzil die Lehre über „die Kirche und die Berufung der Menschen“ (GS 11-45). Im pastoralen zweiten Abschnitt fokussieren die Konzilsväter konkreter auf „einige drängendere Probleme“ (GS 46-93) „des heutigen Lebens und der menschlichen Gesellschaft.“791 Hierzu zählen unter anderem: Ehe und Familie, Krieg und Frieden, Glaube und technischer und kultureller Fortschritt, Menschenwürde und Menschenrechte. Beide Teile bilden eine ineinander verschränkte Einheit. Ihnen sind das vielzitierte Vorwort (GS 1-3) und eine einführende Darlegung über „die Situation des Menschen in der heutigen Welt“ (GS 4-10) vorangestellt, in denen die „Zeichen der Zeit“ als dogmatisch relevante Größe präsentiert werden. Bereits der Titel einer “constitutio pastoralis“ verdeutlicht, dass es sich um ein neues dogmatisches Genus handelt, das durch eine inhaltliche Ellipse mit zwei Brennpunkten gekennzeichnet ist: „Ihre Glaubensaussagen werden im Kontrast zwischen speziellen humanen Problemen gesellschaftlichen Lebens und generellen christlichen Wahrheiten gewonnen. Sie ist zeitabhängig und steht zugleich in der Differenz zur geschichtlichen Situation.“792 Die Konzilsväter und Kommissionen rangen gerade um eine Balance zwischen der bleibenden Innensicht des Glaubens und den sich verändernden „Zeichen der Zeit“ (GS 4). Hans Joachim Sander weist in seinem Kommentar ausdrücklich darauf hin, dass GS nicht weniger von der Kirche erwartet, als die Bereitschaft zu einem theologischen Ortswechsel, der sich in der Zeit immer wieder neu zu vollziehen habe: Die Kirche sollte „sich in den Zeichen der Zeit und damit unter den Menschen, oder genauer: in Liebe und Achtung der Menschen und deshalb mitten in ihren Nöten und Erwartungen positionieren.“793 Gerade im Übertritt der Kirche aus einer in sich ruhenden „societas perfecta“, hin zu einer „Kirche in der Welt von heute“, liegt das Potential der topologischen СКАЧАТЬ