Weischedels Minimaltheologie im Spiegel der Sprachkunst. Dieter Radaj
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Название: Weischedels Minimaltheologie im Spiegel der Sprachkunst

Автор: Dieter Radaj

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783429063030

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СКАЧАТЬ und Nichtsein sowie zwischen Sinn und Sinnlosigkeit. Das Letzte, wohin das philosophische Fragen führt, ist das »Vonwoher« und dessen mächtiges Vorgehen. Es grenzt sich gegenüber dem herkömmlichen Gottesbegriff ab. Es begründet Freiheit, Offenheit und Loslassen.

      Die Ausführungen des Kapitels geben Weischedels Grundlegung einer zeitgemäßen philosophischen Theologie in Kurzform wieder.1 Es wird die Überwindung des Nihilismus verständlich gemacht, ohne an Glaubensinhalte anzuknüpfen.

      Philosophieren vollzieht sich nach Weischedel als Fragen und Infragestellen. Es wird gefragt, wie es mit dem als selbstverständlich Erscheinenden in Wahrheit steht. Philosophieren ist unbegrenzt fortgesetztes Fragen. Nichts darf in »unbefragter Fraglosigkeit« stehen bleiben. Philosophieren ist demnach radikales Fragen.

      Das radikale Fragen ist die Wurzel der Metaphysik ebenso wie der Kritik an derselben. In der Metaphysik wird nach dem Sein des Seienden ebenso wie nach dessen Ursprung gefragt. Aber auch der Ursprung muss hinterfragt werden. Es gibt kein Ende des Fragens. Dogmatische Behauptungen, die ein Ende herbeiführen, sind unzulässig. So gerät die Frage nach dem Sein des Seienden sowie nach dessen Ursprung vor den Abgrund des möglichen Nichts: »Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?«

      Das radikale Fragen als Grundbestimmung des Philosophierens darf aber nicht dahingehend missverstanden werden, als ginge es in letzter Intention ums Fragen und Infragestellen. Intendiert wird eine Antwort, auch wenn diese erneut hinterfragt wird. Damit besteht allerdings die Gefahr, einem leeren Skeptizismus zu verfallen, und somit die Versuchung, sich letztendlich doch wieder in unbefragter Gewissheit zu bergen. Letzteres wäre aber das Ende des Philosophierens.

      Das radikale Fragen darf aber auch nicht vor sich selbst Halt machen. Es muss sich selbst radikal in Frage stellen. Es muss radikaler gezweifelt werden, als es Descartes getan hat, dem noch das zweifelnde Ich gewiss erschien. Diese Radikalität des Fragens und Zweifelns ist nach zweieinhalb Jahrtausenden Philosophiegeschichte unumgänglich, trotz der aufgezeigten Gefahren.

      Das radikale Fragen hat zunächst die Form des »offenen Skeptizismus«. Der Skeptizismus in der Philosophiegeschichte (von den Sophisten bis zu Hume und Nietzsche) bezweifelt die Möglichkeit wahrer Erkenntnis. Nicht so der offene Skeptizismus, der die Möglichkeit von Wahrheit zulässt, jedoch jeder Wahrheitsaussage skeptisch gegenübertritt.

      Das radikale Fragen hat des Weiteren die Form des »offenen Atheismus«. Dabei geht es nicht um den eingeschränkten Atheismus, der es vermeidet, den personalen Gott als Ausgangspunkt des Philosophierens zu setzen, sondern um den extremen Atheismus, der ein jegliches göttliches Seiendes leugnet. Der extreme Atheismus behauptet, es gibt keinen Gott, dies jedoch in einseitig dogmatischer Form, denn der Standpunkt lässt sich ebenso wenig erweisen wie die gegenteilige Position, es gibt einen Gott. Das Philosophieren muss deshalb dafür frei bleiben, dass sich im Fortgang des radikalen Fragens die Notwendigkeit ergibt, einen Gott anzunehmen. Dies ist der offene Atheismus.

      Das radikale Fragen hat schließlich die Form des »offenen Nihilismus«. Nihilismus ist dabei nicht in abwertender Bedeutung gemeint und auch nicht in seinen recht zahlreichen philosophiegeschichtlichen Varianten, darunter der dogmatische Nihilismus von Nietzsche. Nihilismus wird dagegen als offen bleibende Antwort auf die Seinsfrage einerseits und die Sinnfrage andererseits gesehen. Beide Fragen zusammen gehören zum Kern der philosophischen Theologie.

      Zeitgemäßes Philosophieren erfolgt somit zwischen Seinsund Sinngewissheit und Nihilismus. Die Seinsfrage im Verhältnis zum Nihilismus ist in der neueren Philosophie, besonders bei Heidegger, eingehend behandelt. Die Sinnfrage hat demgegenüber kaum Beachtung gefunden, obwohl sie erst den Entschluss zum Philosophieren begründet.

      Folgende Wesensmomente zum Begriff des Sinns werden von Weischedel hervorgehoben. Sinn heißt so viel wie Verstehbarkeit. Sinnhaft ist das Verstehbare. Im Verstehen vollzieht sich Sinngebung. Sinn ist aber nichts subjektiv Erfundenes, sondern kommt der Sache selbst objektiv zu. Beispielsweise ruht in der Buchstabenfolge eines Wortes ein zunächst verborgener Sinn. Das Sinnhafte verweist auf ein Sinngebendes. Dieses andere ist der eigentliche Sinn des Sinnhaften. So gibt die Wortbedeutung der Buchstabenfolge ihren Sinn. Das, was sinnhaft erscheint, ist der Fraglichkeit enthoben. Jedes einzelne Sinnhafte erhält seine Sinnhaftigkeit von einem je höheren Sinnhaften. Es bildet sich eine unumkehrbare Sinnkette bzw. Sinnhierarchie. Es gibt keinen Einzelsinn ohne einen umfassenderen Sinn. Der bedingte Einzelsinn verweist letztendlich auf einen unbedingten höchsten Sinn.

      Obwohl sich der Mensch unreflektiert in sinnhaften Zusammenhängen glaubt, tritt doch auch das sinnlos Erscheinende an ihn heran, etwa im Angesicht des Todes oder in der Leere des Alltags. Aber weder unbedingter Sinn noch absolute Sinnlosigkeit sind erweisbar. Umgekehrt gilt, dass weder die Sinngewissheit noch die nihilistische Sinnleugnung eindeutig widerlegbar sind. Hinsichtlich der Sinnfrage muss deshalb vorerst alles in der Schwebe bleiben. Am Ende des Gedankengangs von Weischedel steht daher der freie Entschluss zum Philosophieren als radikales Fragen unter Zulassung eines offenen Nihilismus. Die zu bedenkende Alternative des Selbstmords wird verworfen, denn er würde die Entscheidung zur absoluten Sinnlosigkeit voraussetzen, die nicht gerechtfertigt werden kann.

      Am Anfang des Bemühens Weischedels um eine zeitgemäße philosophische Theologie steht also der Grundentschluss zum Philosophieren, aufgefasst als radikales Fragen. Das radikale Fragen setzt eine entsprechende Fraglichkeit des Seins und des Sinns der Wirklichkeit voraus. Diese Fraglichkeit tritt (nach Weischedel) als Grunderfahrung des Menschen auf, etwa bei der Konfrontation mit Tod und Vergänglichkeit, Krankheit und schwerer Behinderung, Unrecht und Mord, Betrug und Verrat, aber auch bei identisch wiederkehrenden Vorgängen oder im Zustand der Langeweile.

      Kennzeichnend für die genannte menschliche Grunderfahrung ist deren Unmittelbarkeit und Präsenz, was sie von den Wirkungen eines Schlusses unterscheidet. Sie ist für das menschliche Dasein vom Grunde her bestimmend und nicht auf andere Erfahrungen rückführbar. Aus ihr kann Philosophieren und damit philosophische Theologie entstehen. Die Grunderfahrung der Fraglichkeit tritt somit bei Weischedel an die Stelle der in bisherige Entwürfe eingegangenen metaphysischen Erfahrungen oder positiven Setzungen.

      Die Grunderfahrung tritt als schwebende Erfahrung der Fraglichkeit von Sein und Sinn auf. Sie hält die Mitte zwischen Sein und Nichtsein bzw. zwischen Sinn und Sinnlosigkeit. Sein und Sinn sind dabei eng verwoben. Nur der jeweils vorherrschende Grundzug markiert den Unterschied.

      Wahrheit und Wirklichkeit der vorstehend beschriebenen philosophischen Grunderfahrung bestimmen sich aus dem Merkmal der unmittelbaren Präsenz. Wiederum ist die Verbindung eng, denn eine Erfahrung ist wahr, wenn das in ihr Erfahrene wirklich ist. Die Grunderfahrung des Schwebens ist wahr und das in ihr Erfahrene wirklich. Andererseits stürzt die Grunderfahrung alles vermeintlich Wirkliche ins Fraglichsein. Folglich ist das Wesen des Wirklichen Fraglichkeit.

      Ausgehend von der philosophischen Grunderfahrung der Fraglichkeit von Sein und Sinn vollzieht Weischedel den Schritt zu seiner philosophischen Theologie. Zunächst ist die Bedingung der Möglichkeit von Fraglichkeit zu klären. Die radikale Fraglichkeit kann von drei Ausgangspunkten her begriffen werden, die sich überschneiden. Es kann nach der Bedingung der Möglichkeit von Fraglichkeit gefragt werden: Von woher kommt das Schweben in Gang? Es kann gefragt werden, wieso Sein und Sinn ohne Halt erscheinen und doch nicht dem Nichtsein und der Sinnlosigkeit verfallen: Wie ist das Sich-Halten in der Haltlosigkeit zu erklären? Schließlich kann nach der Hinfälligkeit von Sein und Sinn gefragt werden: Woher rührt die ständige Bedrohung bei gleichzeitiger Vermeidung des Absturzes? Weischedel umgeht die naheliegenden Begriffe »Grund«, »Ursprung« oder »Herkunft«, weil sie Substanzhaftigkeit bzw. Statik ausdrücken. Er bevorzugt die Neubildung »Vonwoher«, die den Geschehenscharakter СКАЧАТЬ