Название: Weischedels Minimaltheologie im Spiegel der Sprachkunst
Автор: Dieter Radaj
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9783429063030
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Die Überwindung des Nihilismus in Theorie und Praxis ist aber auch eine fortdauernde Aufgabe in den westlichen Gesellschaften. Besonders junge Menschen empfinden die Sinnlosigkeit des auf Konsum und Wellness ausgerichteten Lebensvollzugs. Massenmörderische Attentate und Selbstmorde sowie die Faszination des Dschihad sind Ausdruck einer nihilistischen, in gewalttätige Selbstübersteigerung einmündenden Weltsicht.
6. Albert Schweitzers philosophisch-theologische Antwort
In ganz anderer Weise hat Albert Schweitzer (1875–1965) auf die skeptizistischen, atheistischen und nihilistischen Tendenzen seiner Zeit geantwortet. Während Weischedel das Problem rein denkerisch zu lösen versucht, geht Schweitzer davon aus, dass der Mensch mehr noch als durch Erkennen durch Erleben der Welt nahe kommt: »Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will«. Die »Ehrfurcht vor dem Leben« muss demnach Grundlage aller Philosophie und Ethik sein. Dies ist der schon von Kant her bekannte Schritt aus der unbefriedigenden Erkenntnissituation in die überzeugender begründbare Welt des Willens und des Handelns. Schweitzer selbst hat diesen Schritt überzeugend vollzogen, als Urwaldarzt in Afrika und zugleich als bedeutender Organist und Bach-Interpret.
Es ist notwendig, genauer darzulegen, was Schweitzer unter »Ehrfurcht vor dem Leben« versteht, zumal der Begriff »Leben« in der Philosophie ein breites Bedeutungsspektrum abdeckt. Die wesentlichen Punkte lassen sich dem Epilog zu seinem Lebensbericht entnehmen.4 Schweitzer sieht die Welt voll von Leid und im geistigen Niedergang begriffen, glaubt aber, dem Menschen helfen und ihn bessern zu können. Ausgangsbasis ist ihm das dem (ethischen) Skeptizismus entgegengerichtete Denken und Handeln, das lebendige Wahrheit entstehen lässt.
Die Forderung »Ehrfurcht vor dem Leben« ergibt sich als denkerische Antwort auf die Frage nach dem angemessenen Verhältnis von Mensch und Welt. Dem Dasein wird ein Sinn gegeben, wenn das natürliche Verhältnis zur Welt zu einem geistigen Verhältnis erhoben wird. Da der Mensch ein die Welt erleidendes Wesen ist, ist die geistige Antwort darauf die Resignation. Schweitzer meint damit aber kein passives Verhalten, sondern eher den Fatalismus der Stoa. Der Mensch müsse vom äußeren, der Welt unterworfen Sein zur inneren Freiheit finden, die ihm die Welt- und Lebensbejahung ermöglicht. Weltbejahung äußert sich in der Förderung des Lebens in seiner Umgebung. Diese Förderung verhilft zum eigentlichen Glück. Die Grundelemente dieser Lebenseinstellung sind daher Resignation, Welt- und Lebensbejahung sowie Ethik. Unter Ethik wird die ins Universelle erweiterte christliche Liebe verstanden. Die verbreitete Meinung ist falsch, Schweitzer habe sich mit seiner Betonung des Lebens gegen das Denken gewandt. Im Gegenteil, er hebt immer wieder hervor, dass die »Ehrfurcht vor dem Leben« gemäß vorstehendem Gedankengang ein Ergebnis des Denkens ist.
Das ethische Postulat der »Ehrfurcht vor dem Leben« lässt sich zweiteilen. Als Erstes geht es um die Ehrfurcht vor der von Gott geschaffenen Natur, die, einem mittelalterlichen Gedankengang folgend, nicht Objekt der Ausbeutung, sondern Partnerin bei der Verherrlichung Gottes ist. Als Zweites ist der von Gott beseelte Mensch gemeint, der über die Natur erhöht ist, was aber keinen Herrschaftsanspruch gegenüber der Natur begründet.
Abschließend sei die Lebensphilosophie von Albert Schweitzer mit der Theologie des Vonwoher der Fraglichkeit verglichen. Der Skeptizismus von Weischedel hinsichtlich der Erkennbarkeit von Sein und Sinn wird von Schweitzer nicht geteilt. Während Weischedel voraussetzungslos zu denken versucht, vollzieht Schweitzer mutig den Schritt in die Lebenswirklichkeit. Dabei wird kein Gott eingeführt, auch kein »Vonwoher der Fraglichkeit «, sondern der überall und jederzeit wahrnehmbare Lebensdrang bildet die Ausgangsbasis des Denkens. Der Mensch kann aufgrund seiner inneren Freiheit die lebensbejahende Nächstenliebe entwickeln, deren Ausübung zum eigentlichen Glück verhilft. Was für ein Unterschied zum kargen Ergebnis von Weischedels philosophischer Theologie.
7. Weitere neuere Ansätze zur philosophischen Theologie
Es gibt eine ganze Reihe von Versuchen, eine zeitgemäße philosophische Theologie zu bieten, ohne auf die nihilistischen und existentialistischen Philosophien explizit einzugehen. Diese Versuche werden nachfolgend kurz vorgestellt.
Der philosophische Ansatz von Gerhard Krüger führt die zunehmende Fraglichkeit von Wirklichkeit, Dasein und Wahrheit auf das Überhandnehmen des geschichtlichen Denkens in der Neuzeit zurück. Er versucht, stattdessen Elemente der griechisch-antiken Weltsicht wiederzubeleben.
Die katholisch geprägten Ansätze führen im Allgemeinen die neuscholastische Denktradition fort, gemäß der eine zweischichtige Erkenntnisordnung besteht: Vernunftebene und Glaubensebene, natürliche Wahrheit und Offenbarungswahrheit, Philosophie und Theologie. So schlägt Edith Stein die Brücke zwischen scholastischem Denken (Thomas von Aquin) und modernem phänomenologischen Denken (Edmund Husserl). Karl Rahners »metaphysische Anthropologie« wiederum bestimmt den Raum der Offenbarungstheologie ausgehend von der Verborgenheit des reinen Seins, das sich der positiven Erkenntnis entzieht. Teilhard de Chardin verbindet Evolutionstheorie und katholischen Glauben in mystischer Schau.
Zwei protestantisch geprägte Ansätze sind zu nennen. Paul Tillich bestimmt den Einheitspunkt von Philosophie und Religion als »das Unbedingte«, das mit Gott gleichgesetzt oder sogar ihm übergeordnet ist. Angesichts von Zweifel und Sinnlosigkeit wird ein »absoluter Glaube« gefordert, der sich auf eine überpersonal aufgefasste Gottheit als Quelle von Sinnbejahung und Gewissheit richtet. Georg Picht betont die Wirklichkeit Gottes als Wahrheit des Seins gegenüber dem geglaubten Gott der christlichen Offenbarung.
Der jüdisch geprägte Ansatz von Hans Jonas weist den Weg zu einer Theologie des machtlosen mitleidenden Gottes. Nach dem Holocaust kann Gott nicht mehr zugleich als allgütig, allmächtig und verständlich aufgefasst werden. Gott hat sich aller weltlichen Machtmöglichkeiten begeben, um die Freiheit und Verantwortungsfähigkeit des Menschen zu begründen. Wohl aber begleitet er den Menschen in erfühlbarer Weise, nunmehr hoffend, dass der Mensch ihm zurückgibt. Gott ist dabei unendlich mitleidend. Der Ansatz von Jonas ist zwar spekulativ, jedoch hinsichtlich der erreichten Widerspruchsfreiheit von Vernunft und Glauben bemerkenswert. Er begründet das »Prinzip Verantwortung«.
In den englischsprachigen Ländern konnte der radikale Nihilismus und Existentialismus nie Fuß fassen. Auch der radikale Atheismus ist hier durch Agnostizismus ersetzt. Der missionarisch vertretene Atheismus des Evolutionsbiologen Richard Dawkins ist eine Ausnahme neuesten Datums. Die Tradition der »natürlichen Theologie« ist in diesen Ländern ungebrochen. Der Empirismus David Humes ist eine feste Bezugsgröße. Pragmatische Argumentationen überwiegen.
Zwei der bedeutendsten Philosophen des zwanzigsten Jahrhunderts im englischsprachigen Raum haben die philosophische Theologie in ihren Systemen integriert. Alfred N. Whitehead versteht Gott als Gott im Prozess, als werdenden Gott.5 Gottes Natur wird bipolar gesehen, auf dem Wege von einer begrifflich-idealen »ursprünglichen Natur« zu einer physikalischrealen »nachfolgenden Natur«, einmündend in den Gott der unendlichen Liebe. John L. Mackie behandelt das mit dem Theismus sich stellende Problem der Existenz Gottes auf der Grundlage der neuzeitlichen analytischen Philosophie.6 Er unternimmt es, die Tatsache der Offenbarung auf Basis der Vernunft abzusichern.
II. Weischedels Grundlegung einer zeitgemäßen philosophischen Theologie
Weischedels philosophische Theologie geht aus von der Grunderfahrung СКАЧАТЬ