Wie lernt Kirche Partizipation. Группа авторов
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СКАЧАТЬ solche systemische Grundhaltung schafft eine entwicklungsfreundliche Umgebung. Sie ist selbst bereits eine Kulturveränderung, die im Gesamtsystem gewollt, top-down eingespielt und vorgemacht, gemeinsam eingeübt, kontinuierlich reflektiert und immer wieder rückgekoppelt werden muss, um Wirkung zu erzielen.

       c) Systematisch Freiräume schaffen

      Lernen geschieht grundsätzlich am besten im Alltag, durch Learning by Doing. Das gilt in besonderer Weise auch für Partizipation in der Kirche: Die Getauften haben alles, was sie brauchen, um Verantwortung für ihr Kirchesein zu übernehmen. Allerdings ist der Alltag – wie die Erfahrung zeigt – sehr mächtig, weil dort die alten Muster und Arrangements wirksam sind. Gebraucht werden daher systematisch hergestellte und geschützte Freiräume („Plattformen“), in denen Menschen sich entfalten, ihren Glauben auf je eigene Weise leben und Verantwortung für ihre Idee von Kirche übernehmen können.

      Die Erfahrung mit längeren Vakanzen zeigt hartnäckig: Nur dann, wenn die Hauptamtlichen ihre Finger raushalten, ist die Möglichkeit der Übernahme von Selbstverantwortung gegeben. Weihbischof Ansgar Puff aus dem Erzbistum Köln sagt dazu in einem Interview: Nur ganz wenig muss von den Hauptamtlichen bzw. den Priestern gemacht werden, weniger als 5% – und zwar vom Kerngeschäft der Pastoral!23

       d) Individuelles und gemeinsames Lernen ermöglichen

      Kleriker und pastorale MitarbeiterInnen haben zu lernen, Wissen und Macht zu teilen, Verantwortung abzugeben und das Feld den Getauften selbst zu überlassen. Das ist hartes Brot, für viele schmerzhaft und erzeugt massive Widerstände. Trauerarbeit ist angesagt, bevor die Chancen eines veränderten und differenzierten Rollenprofils wahrgenommen werden können. Ausgehend auf den vorhandenen Begabungen (Charismen), Kompetenzen (Qualifikationen) und Erfahrungen sind einerseits rollenübergreifende Curricula zum Erwerb der erforderlichen Basiskompetenzen (als ErmöglicherIn, Coach) und andererseits rollenspezifische Lernprogramme (z. B. Innovationsmanager/Gemeindegründer) aufzulegen.

      Auch bei den (freiwillig engagierten) Getauften steht zunächst die Haltung im Vordergrund. Die dominanten inneren Bilder der eigenen Rolle als Laie, eingeschliffene Haltungen von Unterordnung und Abhängigkeit, aber auch von Zorn und Widerstand sind zu dekonstruieren. Ziel ist Empowerment und Emanzipation: sich der eigenen Würde als Getaufte/r bewusst zu werden, die eigenen Ressourcen und Gestaltungsspielräume zu erkennen, den Mut, selbstbestimmt zu handeln und Verantwortung zu übernehmen. Das allein genügt nicht. Gebraucht wird eine Bildungsoffensive zur Vermittlung von pastoralem Knowhow, damit seelsorgliche Verantwortung im weitesten Sinne übertragen werden und eine fachlich fundierte und akzeptierte Beteiligung an Entscheidungen erfolgen kann.

      Was beide Seiten brauchen sind Formate (Training, Beratung, Supervision, Coaching), die helfen, das Zusammenwirken in veränderten Rollen einzuüben und zu reflektieren. Dazu gehören – neben effizienten Besprechungsformaten und zielführenden Entscheidungsverfahren in netzwerkartigen Kooperationszusammenhängen – vor allem auch Verfahren zur Konfliktbewältigung, um allfällige Interessensunterschiede aushandeln und Verteilungsgerechtigkeit herstellen zu können.

      6. RISIKOFAKTOREN – WORAUF IN BESONDERER WEISE ZU ACHTEN IST

      Der Weg hin zu einer partizipativen Kirche ist ebenso unvermeidlich wie risikobehaftet.

      Ein wesentliches Risiko besteht darin, dass es bei Lippenbekenntnissen bleibt, weil Partizipation aktuell en vogue, opportun und politisch korrekt ist. Systeme, die auf machtbasierte Kommunikation und Steuerung verzichten, können für neue Mitspieler offen sein, wenn die Beziehung zwischen den Akteuren stimmt. Dann lässt sich die damit verknüpfte Unsicherheit aushalten.

      Wenn die Beziehungen dagegen nicht belastbar sind, man sich misstraut oder gleichgültig ist, kommt Macht ins Spiel: Man muss sich (ängstlich) abgrenzen, um die eigenen Claims zu sichern. Hier besteht – auch bei gutem Willen – die Gefahr, in alte Muster zu verfallen, sich mit halben Lösungen oder faulen Kompromissen zufrieden zu geben oder in einen Zustand gelernter Hilflosigkeit zu verfallen.

      Weil Partizipation Teilhabe an Macht, genauer, eine strukturelle Umverteilung von Macht impliziert, steht zu befürchten, dass alte Seilschaften im Hintergrund versuchen werden, diese tektonische Verschiebung unter allen Umständen zu verhindern und hierbei auf bewährte Mechanismen der Manipulation zurückgreifen.

      Da die skizzierten Veränderungen auch mit einer Neuverteilung der knapper werdenden Ressourcen einhergehen, werden sie erhebliche Irritationen, Krisen und (Verteilungs-)Konflikte auslösen. Auch hier liegt ein großes Risiko: Man kann den Teich nicht mit den Fröschen trockenlegen. Diejenigen, die gegenwärtig in den Gremien der Mitverantwortung aktiv sind, folgen vielfach einem Kirchenbild vergangener Tage. Die wenigsten werden zu Trägern einer Kulturveränderung werden. Nur wenn Partizipation weitergedacht wird, die Fremd- und Zukunftsperspektive inkludiert, kann die rückwärts gerichtete Binnenorientierung verlassen werden.

      Und schließlich: Wenn alles in Frage steht und potenziell alle mitreden sollen, ist es von zentraler Bedeutung, zu wissen, was der Kern des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe ist, der allem Tun und Geschehen einen Sinn gibt. Es fällt auf, dass es zunehmend schwerer fällt, sich darüber zu verständigen, was möglicherweise damit zu tun hat, dass es zwar eine tradierte Glaubenslehre, aber kaum noch Glaubenserfahrung gibt. Hierin besteht das größte Risiko. In allen diesen Fällen ist Führung/Leitung gefordert: Sie kommt aus dem Volk und geht ihm voran. Sie schafft Vertrauen und sichert die notwendigen Rahmenbedingungen. Sie eröffnet Räume, synchronisiert Prozesse und hält den roten Faden.

      7. PARTIZIPATION UND FÜHRUNG/LEITUNG – EIN RESÜMEE

      Die Kirche steht am Übergang zur „nächsten Gesellschaft“ vor einem grundlegenden Kulturwandel. Dabei ist Partizipation von zentraler Bedeutung: Ein Höchstmaß an Partizipation – Inklusion relevanter Umwelten und Teilhabe an Entscheidungsmacht – ist k.o.-Kriterium für das Überleben von Kirche und zugleich Nagelprobe (Diagnostikum) für die Beurteilung zukünftiger Reformprozesse.

      Wenn die Verantwortlichen die Zeichen der Zeit verstehen, werden sie den Kulturwandel mutig und aktiv in Gang setzen, im Bewusstsein, dass sich die Kirche und damit auch die eigene Rolle im Verlauf dieses Prozesses grundlegend verändern werden. Die Perspektive ist klar, der Weg dorthin allerdings weit und steinig. Die Herausforderung ist epochal, aber nicht ohne Hoffnung, wenn man auf den schaut, der vorangegangen ist und dessen Auferstehung wir an Ostern feiern.

      1 STRASSBURGER, Gaby/RIEGER, Judith: Bedeutung und Formen der Partizipation – Das Modell der Partizipationspyramide, in: DIES. (Hg.): Partizipation kompakt. Für Studium, Lehre und Praxis sozialer Berufe, Weinheim u. a. 2014, S. 12-29, hier S. 23.

      2 ARNSTEIN, Sherry R.: A Ladder of Citizen Participation, in: Journal of American Institute of Planers 4 (1969), S. 216-244.

      3 STRASSBURGER/RIEGER, Partizipation, S. 25.

      4 Vgl. FREY, Dieter/JONAS, Eva M.: Die Theorie der kognizierten Kontrolle, in: DERS./Martin IRLE (Hg.): Theorien der Sozialpsychologie, Bd. 3, Bern 2002, S. 13-50.

      5 Vgl. BREHM, Sharon S./BREHM, Jack W.: Psychological Reactance. A Theory of Freedom and Control, New York 1981.

      6 Vgl. SELIGMAN, Martin E.P.: Erlernte Hilflosigkeit, München u. a. 1979.

      7 Vgl. LUHMANN, Niklas: Soziale Systeme. Grundriß einer allgemeinen Theorie, Frankfurt/M. 41993, S. 194.

      8 Vgl. LUHMANN, Niklas: Inklusion und Exklusion, in: DERS. (Hg.): Soziologische Aufklärung 6. Die Soziologie und der Mensch, Wiesbaden 22005, СКАЧАТЬ