Es war eine berühmte Stadt .... Christian Klein
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СКАЧАТЬ oder die in Deutschland bekannte Trier-Sage boten. Deshalb hatten im ausgehenden Mittelalter in Mainz wie andernorts auch die im Hochmittelalter beliebten Caesar-Traditionen an Anziehungskraft verloren, wie sie Gozwin in der „Passio sancti Albani“ anführt und im Anschluss an ihn im 13. Jahrhundert noch der sogenannte Sigehard von St. Alban in der Legende der heiligen Aureus und Justina (in der sich daneben bereits die oben betrachtete jüngere, an die Trier-Sage anbindende Überlieferung über die Anfänge von Mainz findet).50 Führte man wie in den beiden Legendentexten die Erbauung der Stadt auf Cäsar zurück, der als erster römischer Kaiser galt und als Gründer weiterer Städte am Rhein wie etwa auch Kölns genannt wurde, war Mainz mit den Anfängen des römischen Kaisertums in Verbindung gebracht, das der mittelalterlichen Idee von der Translatio Imperii zufolge bis zum Ende der Welt fortbestand. Zugleich war es bei Ansetzung des Stadtgründungsaktes in der frühen Kaiserzeit von der Warte eines Bischofssitzes wie Mainz aus problemlos möglich, die kirchliche Traditionslinie in apostolische Zeit zurückzuführen und damit in die universalhistorisch-heilsgeschichtlich mit den Anfängen der römischen Weltherrschaft verbundene Frühzeit der Kirche als solcher.

      Abb. 2: Der Drusus-Stein in Mainz, aus: Nicolaus Serarius, Moguntiacarum rerum … libri quinque. Mainz 1604, hier Bd. 1, S. 65 (Martinus-Bibliothek Mainz). Rechts: heutiger Zustand.

      Wichtiger als Caesar erscheint in den an die Geschichte Roms anknüpfenden Ursprungsversionen von Mainz aus dem hohen Mittelalter aber der im gleichen Zug erwähnte Drusus, den die Überlieferung seit der Antike mit einem Grabmonument (Kenotaph) bei Mainz (Abb. 2) in Verbindung brachte.51 Bei Gozwin und dem sogenannten Sigehard ist Drusus der Stiefsohn des Augustus (i.e. Drusus d.Ä.), und unter der Herrschaft des Augustus begann gemäß der mittelalterlichen Lehre von den sechs Weltaltern mit Christus die letzte der universalgeschichtlichen aetates mundi. Drusus zählt in dem Legendenkomplex der Heiligen Alban, Aureus und Justina zu den ersten einer ganzen Reihe vornehmer (Gründer-)Gestalten (conditores et possessores) der römischen Kaiserzeit, die Mainz vorzuweisen habe.52 Er gilt als gleichsam zweiter Gründer der Stadt, der Mainz baulich erneuert habe.53 Demgegenüber wird im späteren, volkssprachigen Text vom „Ursprung der Stadt Mainz“ Wert darauf gelegt, dass keiser […] Trusus Mainz wertvolle Freiheitsprivilegien verliehen habe; zum Beweis wird neben Urkunden auf sein einstiges, hochaufragendes Grabdenkmal, das Trusenloch, hingewiesen, von dessen krönender, goldener Kugel die Stadt das Epitheton gulden Menz erhalten habe (vgl. Abb. 2).54 In jedem Fall vermehrte Drusus den verschiedenen Sagenüberlieferungen zufolge den Ruhm von Mainz, wie es am Ende des Mittelalters auch die bereits erwähnte, bekannte Schedel’sche Weltchronik zu vermelden weiß: Drusus […] hat das lob vnd den rům derselben stat clerlich gemeret55, und ein zeitgenössischer Historiograph fügte in Anbindung an die zitierte Legendenüberlieferung im oben erwähnten Sinn hinzu: „so dass man glauben konnte, die Stadt sei von Drusus sozusagen von Neuem errichtet“56.

      In den zuletzt zitierten Beispielen deutet sich an, wie sich die diversen Mainzer Gründungsgeschichten gegebenenfalls auch miteinander kombinieren ließen. Auf dieselbe Weise konnten auch die beiden betrachteten Versionen von der Erbauung der Stadt durch den Trojaner Maguntius oder aber schon früher durch Magier aus dem vorzeitlichen Trier miteinander verbunden werden. Je nachdem, welche Motivkomplexe kombiniert und dabei gegebenenfalls variiert wurden, konnte Mainz dann als ein Gemeinwesen erscheinen, das von mehr oder weniger negativ gezeichneten und kürzere oder längere Zeit nach König Trebeta lebenden Magiern aus Trier gegründet wurde, während der Trojaner Maguntius Mainz zu einem späteren Zeitpunkt vergrößerte und verschönerte. Maguntius, so eine von Hermannus Piscator im frühen 16. Jahrhundert erörterte Variante, habe Mainz mit Mauern umgeben57: Erst durch ihn wurde Mainz recht eigentlich zur Stadt, erst jetzt erhielt die alte Siedlung, wie das Attribut des Mauerkranzes anzeigt, städtische Qualität – eine Konstruktion, die sich dem Versuch des im Übergang vom Mittelalter in die Neuzeit stehenden Mainzer Gelehrten verdankt, das historisch inkompatible Neben- und Ineinander der diversen Stadtgründungsgeschichten zu entwirren, denn so wurde es erklärbar, wenn manche Zeitgenossen, wie Piscator bemerkt, sozusagen versehentlich Maguntius anstatt die alten Treverer für den Gründer der Stadt hielten.

      Kombinierte man die einzelnen Versionen solcherart, blieb Mainz eine der allerersten Städte Europas, die über den Trierer Heros eponymos Trebeta und die berühmten, aus Trier stammenden Mainzer Magier mit der Frühzeit des assyrischen Weltreichs verbunden war und lange vor Rom erbaut wurde; gleichzeitig musste nicht auf eine vornehme, demgegenüber jüngere trojanische Vergangenheit verzichtet werden, mit der die Parallele zu den Anfängen Roms gezogen war. Durch die zusätzliche Integration der Figur des Drusus in den gesamten Erzählkomplex war darüber hinaus die Teilhabe von Mainz am Aufstieg des Imperium Romanum gesichert, wobei auch hier wieder einzelne, variable Elemente aus unterschiedlichen Deutungsperspektiven in verschiedener Weise determiniert werden konnten. Widersprüche und Verwerfungen sind durch das von veränderlichen Wertungshorizonten und Aussageinteressen bestimmte, sich über mehrere Generationen hin erstreckende Kombinations- und Amplifikationsverfahren daher vorprogrammiert und kaum überraschend. Sie kennzeichnen auch die zu Beginn und im Verlauf dieses Beitrags angesprochene nachmittelalterliche Überlieferung der verschiedenen Versionen vom Ursprung von Mainz und dauern bis in die Gegenwart an.58 Dabei sind die alten Herkunftserzählungen, vielfach „als Steinbruch“ benutzt, zu „eine[r] in hohem Maße literarischen Erscheinung“ mit anderer Funktion geworden.59 Diese jüngeren „Sagen“ haben mit der älteren Überlieferung oft nicht viel mehr gemeinsam als die zu Beginn dieses Beitrags problematisierte Begrifflichkeit, die eine „konsequente Historisierung“60 erfordert, will man durch die Sedimentschichten der neuzeitlichen „Sagen“-Bearbeitungen wieder zurück ad fontes gelangen.

      a Der vorliegende Text stellt eine in der Forschung als Erzählung vom „Ursprung der Stadt Mainz“ bekannte, spätmittelalterliche Version der Mainzer Ursprungssage in einer Fassung dar, die im „Buch von Kaiser Sigismund“ des Eberhard Windeck (ca. 1380–1440) überliefert ist, nach dem der Text hier zitiert wird (Auszeichnungen einzelner Wörter durch fette oder recte gesetzte Schrift sind aus der Ausgabe übernommen): Eberhard Windecke, Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Zeitalters Kaiser Sigmunds, hg. von Wilhelm Altmann. Berlin 1893, hier S. 456–458 (auch Online: URL <https://archive.org/details/altmanneberhartwindecke> [Permalink]); die Ausgabe gilt als unzulänglich, eine Neuedition ist durch Joachim Schneider (Mainz) in Vorbereitung, vgl. unten Anm. 8.

      b lit] nhd. ‚liegt‘. Nachweise aus Wörterbüchern sind im Folgenden in Sonderfällen angegeben. c danne] nhd. ‚als‘.

      c danne] nhd. ‚als‘.

      d ufgeleit] nhd. ‚errichtet‘, ‚erbaut‘.

      e Gemeint ist wohl der Gedenktag des Heiligen Georg am 23. April. Mainz soll also am 26. April des Jahres 560 nach der 1603 v. Chr. erfolgten Gründung von Trier erbaut worden sein, was wiederum 608 Jahre vor der Gründung Roms gewesen sei (vgl. weiter unten im zitierten Abschnitt).

      f meister] nhd. ‚Gelehrte‘.

      g rechtmeister] nhd. ‚Rechtsgelehrte‘, vgl. hier Deutsches Rechtswörterbuch online, URL <http://drw-www.adw.uni-heidelberg.de/drw/> (Permalink), s. v. „rechtmeister“.

      h leitent… uf] nhd. ‚errichteten‘, ‚erbauten‘.

      i der solt dar farn zü schülen] „der konnte sich zur Unterweisung dorthin begeben“.

      1 Vgl. z. B. die Vorrede der Brüder Grimm zu den sog. ‚historischen Sagen‘ ihrer Sammlung: Jacob GRIMM und Wilhelm GRIMM (Hg.), СКАЧАТЬ