Es war eine berühmte Stadt .... Christian Klein
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СКАЧАТЬ dargelegt, hatte die volkssprachige Erzählung vom „Ursprung der Stadt Mainz“ unter Betonung des Alters der Stadt, durch das Mainz Rom übertrifft, den Charakter der Mainzer Magier als einer Gruppe hochrangiger Gelehrter aus Trierer Führungskreisen hervorgehoben, die von überallher Schüler anzogen. Der Gheverdis-Fassung zufolge waren es, modern ausgedrückt, naturwissenschaftlich bewanderte Astronomen. „Magie“ beinhaltete im Mittelalter neben einer magisch-naturphilosophischen, ihrem Wesen nach den mittelalterlichen Naturwissenschaften zuzurechnenden Komponente eine zauberisch-dämonologische. Dementsprechend stand weiße Magie neben schwarzer, wobei „die Grenzen zwischen beiden Bereichen […] stets umstritten [waren] und […] häufig ebenso subjektiven wie gesellschaftspolitisch umsetzbaren Ansprüchen“35 unterlagen. Die volkssprachige Version der Mainzer Ursprungssage zumal in der Gheverdis-Fassung gibt daher mit ihrer überaus positiven Zeichnung der Mainzer meyster beziehungsweise magici betont eine Deutungsperspektive vor, mit der sie sich von der lateinisch-klerikalen Überlieferung tendenziell abgrenzt. Diese nämlich hebt dezidiert und ausschließlich auf die dunklen Seiten der Magie ab.

      Der in der spätmittelalterlichen Legende der Mainzer Märtyrer Aureus und Justina überlieferten, lateinischen Version zufolge handelt es sich bei den „Heroes eponymoi“ von Mainz um eine Gruppe schändlicher (scelerati) und frevlerischer (flagitiosi) Schwarzkünstler, um Meister der magiae scientia und damit, wie eigens ausgeführt wird, der durch „Böswilligkeit“ gekennzeichneten malitiae scientia.36 Begründet wird ihr Auszug aus Trier durch das Motiv der Flucht: Aus Furcht, vermutlich vor Bestrafung für ihre Untaten, seien jene Magier von Trier aufgebrochen und hätten sich in überaus annehmlicher Lage37 an den Ufern des Rheins niedergelassen. Dazu erzähle man sich in Mainz seit alters folgende Geschichte:38 An derjenigen Stelle, an der Mainz ursprünglich erbaut worden sei, habe man einen außerordentlich großen, tief in die Erde eingelassenen Stein aufgefunden. Auf der Oberfläche seien die Worte Verte et inuenies – „Drehe ihn herum und du kannst etwas finden“ – eingemeißelt gewesen. Dadurch neugierig geworden, habe man den Stein mit viel Mühe ausgegraben, in der Hoffnung, darunter einen Schatz zu finden. Als man den Stein anschließend herumgedreht habe, sei man jedoch auf nichts anderes gestoßen als auf eine weitere Inschrift auf der Unterseite des Steines: Maguntia ab antiquo nequam. Diese Worte konnten wegen des indeklinablen nequam unterschiedlich ausgedeutet werden. Entweder man bezog nequam auf Mainz, das auf diese Weise als seit alters „listenreiche Stadt“ charakterisiert wurde. Oder man erklärte die Gründer von Mainz in erneuter Doppeldeutigkeit mit dem Legendentext zu filii nequam und machte nequam zum Beinamen des Anführers der Mainzer Meister, der damit als Magier Nequam zum eigentlichen Gründer der Stadt in uralter Zeit wurde.39 So zumindest wird der zweifelhafte Ausspruch von dem Mainzer Humanisten Hermannus Piscator gedeutet, der mit Blick auf die polemische Verwendbarkeit des seinerzeit bekannten Spruches nur die zweite Lesart als grammatisch korrekt gelten lässt.40

      Wie immer man den Spruch Maguntia ab antiquo nequam auch auslegen mochte, eines stand der lateinischen Version der mit Trier verbundenen Stadtgründungssage zufolge, wie sie beim sogenannten Sigehard von St. Alban überliefert ist, jedenfalls fest: dass Mainz von Übeltätern errichtet worden sei, die man aus Trier vertrieben habe.41 In ihrem Beginn erscheint Trier damit als überlegen, und es liegt nahe, in welchem Umfeld der ursprüngliche Nährboden für eine solche Gründungserzählung zu suchen ist, die zur unwiderlegbaren Beglaubigung eine uralte Inschrift anführt, wie sie, ohne allerdings gleichermaßen doppeldeutig zu sein, analog schon Trier laut den „Gesta Treverorum“ aufzuweisen hatte, denen zufolge die alten Treverer die rheinischen Städte von Basel bis Köln ihrer Herrschaft unterwarfen.42 Dabei konnte die Mainzer Inschrift als ein in älteste Zeiten zurückreichendes Schriftzeugnis bei entsprechender Interpretation zum sozusagen unumstößlichen Beweis für das hohe Alter der Stadt angeführt werden, wenngleich ihr Status ambivalent bleibt: Der Verweis auf eine vorgeblich mündliche Tradition stellt die Glaubwürdigkeit der Erzählung (narratio, relatio) distanzierend grundsätzlich in Frage, während gleichzeitig durch die Betonung einer angeblich seit ältesten Zeiten ununterbrochenen Erzählkette43 Gegenwart und Vergangenheit, mündliche Tradition und (in)schriftliches Objekt in eine direkte Verbindung miteinander gebracht werden – wobei die Verbindungslinie wiederum von einer unseriösen (ridiculus) und frei erfundenen (fabulosus) Geschichte zu einem zweiseitigen Stein mit einer doppeldeutigen Inschrift führt.44

      In Analogie zur Trierer Überlieferung konnte die fiktive Gründung von Mainz durch frevlerische, aber weithin bekannte Magier aus Trier in biblischer Vorzeit heilsgeschichtlich-providentiell ausgedeutet werden. So ist die pagane Profangeschichte von Mainz in der „Passio, inventio et translatio sanctorum Aurei et Justinae“ des sogenannten Sigehard von St. Alban funktionell auf die Christianisierung von Mainz und den Aufstieg des Bistums mit den spätantiken Märtyrern Bischof Aureus und dessen Schwester Justina hin zugeordnet, um welche die Legende zentriert ist, und nicht zufällig baut Sigehard auf der „Passio sancti Albani“ des Mainzer Domscholasters Gozwin aus der Mitte des 11. Jahrhunderts auf, die dezidiert gegen Trierer Primatsansprüche gerichtet ist.45 In diesen programmatischen Rahmen fügt sich auch der in Sigehards Legendentext hervorgehobene Vergleich von Mainz, der „königlichen“46 Stadt, mit Rom, der „Herrscherin“ schlechthin47, an deren Anfang gar ein Brudermord gestanden habe. Gleichzeitig barg das Motiv der Gründung von Mainz durch eine Gruppe entsprechend negativ konturierter Stadtväter aus einer kirchenpolitischen, pro-bischöflichen Sicht – de iure war der Erzbischof auch nach der erstmaligen Konstituierung des Mainzer Stadtrates im Jahr 1244 weiterhin Stadtherr – die Möglichkeit einer gegen die Bürgerschaft gewendeten Interpretation. So kann es nicht verwundern, wenn die Akzente in der Legendenüberlieferung des 13. Jahrhunderts anders gesetzt sind als später in der bürgerlich-volkssprachigen Version des „Ursprungs der Stadt Mainz“ aus der Zeit nach ca. 1335. Innerhalb eines Geflechtes wechselseitig aufeinander wirkender, mündlicher und schriftlicher Überlieferungen zeichnet sich hier die Rolle gezielter, auf spezifische Trägergruppen und Adressatenkreise bezogener Konstrukte im Schnittpunkt unterschiedlicher Diskurse ab, die ebenso Traditionen aufgreifen und umformen wie auch begründen und dabei eine eigene Dynamik entfalten, welche neue, gegebenenfalls tendenziös gefärbte Varianten generiert.48

       IV. Trier, Troja, Rom und Mainz: Rückblick und Ausblick

      Entsprechend schwankte im spätmittelalterlichen Mainz die Akzeptanz der an die Trebeta-Sage anbindenden Mainzer Ursprungsfabel, wie immer sie im Einzelnen auch variiert wurde. Neben sie trat eine andere Überlieferung, welche die Anfänge von Mainz mit der ursprünglich als Stammessage der Franken verbreiteten, überaus einflussreichen Troja-Tradition in Verbindung brachte, wie das auch in der berühmten Weltchronik des Hartmann Schedel vom Ende des 15. Jahrhunderts der Fall ist.49 Demnach war Mainz eine Gründung des Trojaners Maguntius aus dem Gefolge des mit Aeneas dem Untergang Trojas entkommenen Anthenor. Während Aeneas nach Italien gelangte und dort zum Ahnherrn der Römer und ihres Imperiums wurde, kam Maguntius mit seinen Anhängern zunächst an die Maeotischen Sümpfe (i.e. das Asowsche Meer), an denen die Flüchtlinge aus Troja – darunter Francus, der Stammvater der Franken – die Stadt Sycambria erbauten. Von dort zog der Held auf der Suche nach fruchtbarem Land an den Rhein, wo er sich niederließ. In herausragender Lage errichtete Maguntius die überaus edle (valde nobilis, nobilissima) Stadt Mainz und taufte sie in Ableitung von seinem Namen Maguntia.

      Ausgelöst wird das Geschehen durch die gängigen Motive der Flucht und der Landnahme, die zur Gründung der Stadt führen, und wieder werden die Vorzüge der Gründungsstätte gepriesen, verweist die herkömmlichen Prinzipien folgende etymologische Deutung des lateinischen Stadtnamens auf eine gelehrte Konstruktion. Vor allem aber erhält Mainz in dieser Version ein nicht weniger hohes Alter als Rom und kann durch die Berufung auf die hochberühmten Helden Trojas auf eine ebenso vornehme, antike Herkunft blicken.

      Weniger Attraktivität besaßen in Mainz zur Zeit der Aufzeichnung der Erzählung vom „Ursprung der Stadt Mainz“ bei СКАЧАТЬ