Название: Toter Dekan - guter Dekan
Автор: Georg Langenhorst
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783429062842
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Hobi wurde ein bisschen rot über das Lob und die charmante Anrede, die sie von ihren Theologen nicht gewöhnt war. Mit einem koketten Lächeln gab sie zu: „Na ja, ich weiß es nicht genau, aber ich hatte so die Vermutung, dass das Personalunterlagen waren. Ganz am Anfang, als er Dekan wurde, musste ich ihm sämtliche Papiere über unsere Mitarbeiter kopieren. Und ich glaube, er hat die irgendwie ergänzt, mit persönlichen Daten und so. Aber bitte: Ich weiß das nicht genau, es ist nur eine Vermutung.“
„Hmm, interessant. Haben Sie denn schon mal in seinem abschließbaren Schrank nachgeschaut?“, wollte Kellert wissen. „Das konnten wir doch nicht“, mischte sich Kösters ein. „Ihr Mitarbeiter hat den Dienstraum des Dekans ja versiegelt, nachdem wir uns einen ersten Überblickt verschafft hatten.“ „Na, dann wollen wir mal“, sagte der Kommissar und stand auf. „Sie haben doch den Schlüssel zu seinem Dekanszimmer, oder?“
Die Sekretärin hielt wortlos einen gut bestückten Schlüsselbund hoch, nickte und folgte dem Polizisten zusammen mit Kösters auf den Flur, in das Treppenhaus, ein Stockwerk hoch und dann den Weg bis zum Dekanat. Kellert nahm den ihm gereichten Schlüssel, ritzte das Siegel durch, schloss die Tür auf und bat die beiden anderen einzutreten.
Sofort stiegen bei der Sekretärin Erinnerungsbilder hoch: Vorgestern hatte sie hier ihren Chef tot aufgefunden. Das schien ihr gleichzeitig unmittelbar nah, andererseits unendlich weit entfernt. Das gleißende Licht des Frühlingsmorgens, das durch die beiden Fenster in den hohen Raum hineinstrahlte, tauchte die Szenerie in eine fast unwirkliche Klarheit. Alles war wie immer: aufgeräumt und in penibler Ordnung. Nur die Blutflecken auf dem Teppich vor dem Schreibtisch störten. Sie waren zu einem braunroten Farbton eingetrocknet. Silvia Hoberg lief ein kalter Schauer den Rücken herunter. Sie schluckte dreimal. „Hier, bitte“, wies Kösters nach rechts zu einem blauen Metallschrank mit verschließbarem Rollgitter.
„Haben Sie dafür auch einen Schlüssel?“, fragte Kellert. Beide verneinten. „Den hatte nur der Dekan selbst“, kommentierte die Sekretärin mit säuerlicher Miene. Offenbar war das früher anders gewesen. Kellert brummelte etwas Unverständliches, durchsuchte lustlos den Schreibtisch, fand nichts und ging dann zum Schrank. Mit einem kräftigen beidhändigen Ruck schob er das Rollgitter beiseite: „Na also, geht doch!“
„Da fehlt etwas!“, rief die Sekretärin. „Schauen Sie hier!“ Tatsächlich, einer der blassgrauen Regalböden war leer. In den anderen türmten sich ungeordnete Papierstapel. ‚Erstaunlich, diese Unordnung in einem ansonsten so penibel aufgeräumten Zimmer! Seltsam!‘, dachte Kellert.
„Da lagen immer einige braune Hängeregistraturen, daran erinnere ich mich genau“, unterbrach die Sekretärin seine Gedanken. „Die sind mir immer aufgefallen, weil man die ja eben eigentlich hängt, aber da lagen immer sieben, acht Stück übereinander.“ „Und über den Inhalt …“ „… kann ich Ihnen nichts Genaues sagen, leider!“
„Gut, das ist ja immerhin schon etwas“, fasste Kellert zusammen und ließ den Blick durch das nüchtern und zweckmäßig eingerichtete Dienstzimmer des Dekans streifen. Dann wandte er sich an Prodekan Kösters: „Sie können den Raum dann reinigen lassen und wieder nutzen. Und vielleicht fällt Ihnen dabei ja doch noch etwas auf. Kommen Sie, gehen wir lieber zurück in Ihr Büro. Und Sie“, er drehte sich zu der Sekretärin herum, „brauche ich dann vorerst nicht mehr. Vielen Dank für alle Auskünfte. Ach, aber wenn Sie mir auch einen Kaffee bringen könnten, wäre ich Ihnen sehr verbunden.“
„So, und womit kann ich Ihnen noch dienen?“, fragte Prodekan Kösters, als die beiden Männer wieder in seinem Arbeitszimmer saßen. Ungeduldig hatte er auf die Uhr geschaut. Vielleicht bliebe ja doch noch wenigstens ein bisschen Zeit für seine Studien. Kellert hatte sich unterdessen im Zimmer umgesehen, deutete mit dem Daumen auf die kleineKinderzeichnung und fragte: „Von Ihrer Tochter?“ „Ja, schön, nicht wahr?“, antwortete der Professor und ein Strahlen trat in seinen Blick.
Dem Kommissar war aber nicht nach höflichem Geplauder zumute. Er blickte ihm scharf in die Augen. „Ich habe gehört, dass es vor zwei Wochen einen Konflikt in Ihrer Fakultät gegeben hat“, begann er, wurde aber von einem trockenen Lachen Kösters unterbrochen. „Haha, vor zwei Wochen? So was haben wir hier jeden Tag. Oder“, er dachte nach „hatten wir hier jedenfalls fast jeden Tag.“
„Ja, ich meine aber eine außergewöhnlich heftige Auseinandersetzung“, setzte Kellert nach, „zwischen dem Dekan und Professor Mühlhof.“ „Mühlsiepe heißt der, wenn Sie unseren Dogmatiker meinen!“ „Richtig, genau den!“ Kösters lehnte sich zurück, rollte mit den Augen und sagte dann: „Gut, also den Konflikt meinen Sie. Ja, der war tatsächlich außergewöhnlich.“ „Erzählen Sie schon!“, forderte der Kommissar ihn auf.
„Na ja, jetzt wo Gerstmaier tot ist … Das ist wirklich heikel. Aber Sie müssen auch mit Mühlsiepe selbst sprechen bitte! Was ich Ihnen erzählen kann, ist Folgendes. Also: Mühlsiepe vertritt eine Christologie von unten, falls Ihnen das etwas sagt.“ „Nein“, unterbrach Kellert, „ehrlich gesagt habe ich von Theologie und Kirche nicht viel Ahnung. Können Sie es so erklären, dass man das auch als Laie versteht? Und bitte nur das, was für unseren Fall wirklich wichtig ist.“
„Okay“, seufzte Kösters, „ich werde es versuchen. Also: Man hat im Christentum immer schon versucht, das Besondere an Jesus Christus zu erklären. In der Kirche hat sich – grob gesagt – die Tradition durchgesetzt, dass man das ‚von oben‘, sozusagen aus göttlicher Perspektive versucht hat. Alle zentralen Glaubensaussagen in den Bekenntnissen, zum Beispiel:Jesus Christus ist ‚wahrer Mensch und wahrer‘ Gott, lassen sich so verstehen.“ „Hmm, ja und?“, knurrte Kellert, der sich für diese Spitzfindigkeiten offenbar wenig interessierte. „Nun ja, und Mühlsiepe versucht – wie einige andere auch – den Zugang ‚von unten‘, also aus menschlicher Sicht, von der biblischen Basis und unserem heutigen Verständnis her. Mir als Neutestamentler ist das natürlich sehr sympathisch.“
Wieder unterbrach Kellert mit unverhohlener Ungeduld: „Ja, und wo ist nun das Problem?“ „Genau an diesem Punkt. Eher konservative Theologen unter den Bischöfen und unter unseren Kollegen denken, dass damit der Glaube verkürzt werde, die Tradition verfälscht, dass man damit die Substanz des Christentums verrät. Gerstmaier gehörte dazu, ja, er war ein Wortführer dieser Fraktion. Und, äh, verstehen Sie, er hatte einen besonders engen Draht zum Bischof.“ „Nein, das verstehe ich nicht. Worauf wollen Sie hinaus?“, fragte der Kommissar sichtlich ungehalten nach.
Kösters wand sich auf seinem Stuhl, räusperte sich, rang mit sich. „Nun, das hatte einige Konsequenzen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wenn wir im Professorium – also dem internen Treffen aller Professoren – unsere inneren Angelegenheiten besprachen, konnten wir uns eigentlich immer darauf verlassen, dass das unter uns blieb. Nicht, dass es da große Geheimnisse zu hüten galt, aber es war einfach gut zu wissen, dass man da offen miteinander organisatorische wie inhaltliche Dinge bereden und klären konnte. Seit einiger Zeit war uns klar, dass der Bischof schon wenige Stunden nach unseren Sitzungen haarklein über alles informiert war, was wir intern besprochen hatten. Da wird man dann vorsichtiger und misstrauischer, wie Sie sich denken können.“
„Schon klar, ja“, antwortete Kellert, „aber woher wussten Sie, dass Gerstmaier die undichte Stelle war?“ „Dass die beiden häufig zusammenhockten, ist nun wirklich kein Geheimnis, das weiß man in hiesigen kirchlichen Kreisen. Friedensberg ist eben doch ein Dorf mit einer Universität. Und spätestens die Sache mit Mühlsiepe war dann der Beweis.“
„Jetzt sagen Sie doch schon, was da war!“ „Gerstmaier hat unseren Kollegen beim Bischof angeschwärzt. Damit, dass der eine nichtkatholische СКАЧАТЬ