Название: Toter Dekan - guter Dekan
Автор: Georg Langenhorst
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783429062842
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Aufmerksam hatte Kellert zugehört und pfiff sich kaum hörbar durch die Zähne. Eine erste Spur! Niemand lässt grundlos Akten verschwinden! Das vergrößerte die Wahrscheinlichkeit, dass der Tod des Dekans etwas mit seiner Arbeit hier an der Universität zu tun hatte. Womöglich war einer der Anwesenden in den Mord verstrickt. ‚Sei vorsichtig! Hör genau hin, auch auf die Zwischentöne! Stelle die richtigen Fragen! ‘, gab er sich mit auf den Weg.
„Danke, Frau, äh“ – „Hoberg“ – „Ja, danke für die Information, das ist sehr wichtig. Bitte versuchen Sie herauszufinden, was genau alles fehlt. Ich werde Mansfeld, meinen Kollegen von der Spurensicherung, gleich anweisen, dass er Sie in das Dekanszimmer hineinlässt und dort mit Ihnen auf die Suche geht. Wir aber“ – hier wandte er sich an die Übrigen – „sollten uns im Zimmer des Herrn Prodekan unterhalten. Kommen Sie bitte mit!“
Dienstag, 11. Mai, abends
Pizza, Pasta und ProfessorInnen
Ganz dezent untermalte italienische Musik die gedämpften Gespräche und Geräusche bei ‚Da Luigi‘. Eine geschmackvolle Einrichtung betonte zwar den italienischen Charakter des Ambientes, versagte sich aber jeglichen Eindruck von billigem Kitsch. Die Tische standen so weit voneinander entfernt, dass man sich an jedem von ihnen ungestört unterhalten konnte. Bernd Kellert hatte die Idee gehabt, sich abends hier mit seiner Frau zu verabreden. Das würde ihm lange Wege ersparen und sie würde sich auf den Abend bei gepflegten Speisen in angenehmer Atmosphäre freuen.
Gerade hatten sie sich über ihre Kinder ausgetauscht. Tobias studierte Wirtschaftsingenieurswesen im zweiten Semester in München. Er hatte die Metropole ihrer überschaubaren Universitätsstadt vorgezogen. „Friedensberg, da kennt jeder jeden“, hatte er zum Abschied gesagt. „Das ist mir zu klein und zu eng, große Tradition hin oder her.“ Und Jenny, die inzwischen sechzehnjährige Tochter, war gerade für ein Jahr an einer Austauschschule in Leeds in Nordengland.
Beate Kellert fiel es auch nach mehr als acht Monaten nicht leicht, nach so langer gemeinsamer Zeit ohne ihre beiden Kinder zu leben. Selbst Barry, der Kater, war die meiste Zeit unterwegs. Sie hätte sich gern noch einen Hund angeschafft. „Zu Hunden kann man eine ganz andere Beziehung aufbauen als zu Katzen“, sagte sie immer. „Außerdem sind sie treu. Treuer als Männer …“
Aber erstens war ihr Mann, der diesen letzten Halbsatz nur kopfschüttelnd und schweigend zur Kenntnis nahm, alles andere als begeistert von dieser Idee und zweitens: Solange der Kater in ihrem Haushalt lebte, war das Ganze sowieso nicht mehr als nur ein Hirngespinst „Hund und Katze, ich glaube du träumst!“, hatte Bernd Kellert geknurrt, als sie diesen Gedanken einmal probehalber ausgesprochen hatte. Der Kater gehörte ja eigentlich Jenny, aber nun kümmerte sich eben hauptsächlich ihre Mutter darum. Sie war halbtags in einer Steuerkanzlei tätig, aber diese Tätigkeit füllte sie nicht wirklich aus.
„Ehrlich, Bernd, ich freue mich, wenn Jenny im Juli wieder nach Hause kommt“, sagte sie gerade. Ihr Mann, der soeben dabei war, die letzten Reste seiner ausgezeichneten Spinatlasagne zu vertilgen, brummte zustimmend mit vollem Mund. Mutter und Tochter hatten in den letzten Jahren einige heftige Auseinandersetzungen miteinander ausgetragen. Er war gespannt, wie sich ihr Verhältnis nach diesem Jahr weiterentwickeln würde.
„Na ja, Tobias kommt ja am nächsten Wochenende auch mal wieder vorbei“, sagte er, nachdem er den Bissen heruntergeschluckt und einen Schluck Rotwein getrunken hatte. Die beiden blickten sich eine Zeit lang schweigend an. Nach einundzwanzig Ehejahren waren sie es durchaus gewohnt, dass man nicht unbedingt immer reden musste. Sie wussten, wann man dem anderen die Zeit für eigene, nicht mitgeteilte Gedanken lassen musste. Dann brach Beate das Schweigen.
„Und wie geht’s deinem toten Professor? Also ich meine: Was macht dein Fall mit diesem Theologen?“ Bernd Kellert atmete tief durch und blies die Wangen auf. „Puhh, nicht so leicht. Eine richtige Spur haben wir noch nicht. Aber hoi, also bei denen arbeiten möchte ich nicht!“ „Wieso das denn?“ „Na, da herrscht eine Spannung, dagegen ist das bei der Polizei richtig angenehm. So etwas von … Verschrobenheit, von Neid und Eifersucht! Da gönnt keiner dem anderen auch nur den Dreck unter dem kleinen Fingernagel!“
Dann besann er sich. „Das gilt bestimmt nicht für alle, okay. Manche duzen sich sogar, aber das ist die Ausnahme. Kannst du dir das vorstellen: Arbeiten dreißig Jahre zusammen und siezen sich! Das sagt doch alles!“ Beate seufzte zustimmend und fragte dann nach: „Ja, und der Fall?“
„Schwierig, schwierig! Diese Uni ist ja ein offenes Haus, da kann jeder raus und rein. Es gibt eine Bibliothek, die hat wochentags bis dreiundzwanzig Uhr geöffnet. … Eh, Moment …“ Er winkte einen vorbeigehenden Kellner herbei: „Für mich noch einmal einen Rotwein, den Chianti. Für dich auch?“ Er blickte zu seiner Frau. Als diese kaum merklich nickte, verbesserte er sich: „Also zwei, noch zwei Chianti bitte!“
Er lehnte sich wieder bequem zurück und fuhr fort: „Und der Dekan, also dieser Professor Gerstmaier, hat alle möglichen Feinde gehabt. War total unbeliebt. Aber ein Motiv, ihn umzubringen, sehe ich beim besten Willen nicht.“ „Unbeliebt, wieso?“ „Na ja, das war wohl so ein sturer Paragraphenheini. Kannte alle Vorschriften und jeden Gesetzestext und hat alle anderen damit genau kontrolliert und gegängelt. Und das mögen Professoren offenbar gar nicht. Der war noch gar nicht so lange hier in Friedensberg. Ist erst mit über fünfzig Professor geworden und wollte es deswegen denen zeigen, die das schon mit Ende dreißig oder Anfang vierzig geworden sind. So habe ich das jedenfalls verstanden. Ehrlich, ich habe mit nicht einem geredet, der wirklich positiv über den Dekan gesprochen hat.“
„Furchtbar!“, gab Beate Kellert zurück. „Das wird für den ja auch nicht gerade angenehm gewesen sein, oder?“ „Ich weiß nicht“, gab ihr Mann zurück. „Es gibt eben Typen, die sich am wohlsten fühlen, wenn die anderen Angst vor ihnen haben. Denen wird bei Freundschaft und Nähe richtig unwohl. Da könnte ich dir bei uns auch einige nennen. Außerdem haben fast alle übereinstimmend bestätigt, dass die Atmosphäre an der Fakultät vor ein paar Jahren viel besser war. Richtig familiär. Gerstmaier wird von den meisten als Urheber dieser unguten Entwicklung genannt. Richtig traurig hat deshalb keiner auf mich gewirkt. Geschockt schon, fassungslos – ja, aber traurig – nein.“
Der Kellner brachte zwei frisch gefüllte Rotweinpokale und räumte das fast komplett geleerte Geschirr fort. „Hat es geschmeckt?“, fragte er in routinierter Höflichkeit. „Ja, danke, war sehr gut“, antwortete Beate Kellert automatisch. „Ein Nachtisch oder vielleicht ein Espresso?“ „Später vielleicht“, brummte ihr Mann, der offensichtlich in Ruhe seinen Rotwein genießen wollte. Er führte das Glas zum Mund, blickte seiner Frau in die Augen, lächelte und sagte in gespielter Förmlichkeit „Zum Wohlsein“, doch statt zu trinken, setzte er das Glas abrupt ab.
„Moment, das ist doch …“ Schon war er aufgesprungen und eilte zwei Personen entgegen, die soeben das Lokal betreten hatten, und sich – vergebens – nach einem leeren Tisch umschauten. Wenig später kam er mit den beiden auf den von ihm und seiner Frau besetzten Tisch zu, an dem noch zwei freie Plätze waren. Beate Kellert wunderte sich. Normalerweise hasste ihr Mann es, wenn er beim Essen gedrängt saß.
Doch schon traten die drei an den Tisch. Der Unbekannte war ein fülliger, bulliger, auffällig großer Mann Ende fünfzig, gekleidet mit einer nicht mehr ganz neuen Jeans, einem offenen karierten Hemd und einem lässigen braunen Cordsakko; die Frau eine eher zierliche Dame undefinierbaren Alters mit einem zeitlosen lindgrünen Kostüm und streng gescheiteltem kurzem braunem Haar, wirkte an der Seite ihres Begleiters zerbrechlich und СКАЧАТЬ