Praxis des Evangeliums. Partituren des Glaubens. Hans-Joachim Höhn
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Название: Praxis des Evangeliums. Partituren des Glaubens

Автор: Hans-Joachim Höhn

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783429062224

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СКАЧАТЬ es eine materiale Kontinuität zwischen dem Wirken Jesu von Nazareth und heutiger Verkündigung geben können.64 An sein Wirken ist die gegenwärtige Verkündigung inhaltlich zurückzubinden.

      Die Bedeutung kirchlicher Ämter, der liturgischen Tradition und Bekenntnisbildung besteht im Dienst an der Rückbindung gegenwärtiger Verkündigung an den Anfang und Grund des Evangeliums. Dies gilt auch für die Hl. Schrift. Auch sie ist Ausdruck der Tatsache, dass der Glaube der Christen sich der Übersetzung des Evangeliums in jeweils neue und andere Lebensverhältnisse verdankt. Der Glaube entstammt nicht deswegen einem Übersetzungsgeschehen, weil es Schrift, Tradition und Dogma gibt.65 Diese Größen stehen im Dienst dieser Übersetzung, sind aber nicht deren apriorische Bedingung. Als Medien der Weitergabe des Glaubens sind sie zugleich Ausdruck des Umstands, dass das Evangelium darauf angewiesen ist, in jeweils neue Entsprechungsverhältnisse von Gottes Menschenverhältnis übersetzt zu werden!

      Für eine angemessene Bestimmung von Funktion und Relevanz der Größen „Schrift – Tradition – Lehramt“ bietet es sich daher an, beim performativen Charakter des „Wortes Gottes“ bzw. der Verkündigung Jesu anzusetzen. Dieser Charakter kennzeichnet die Koinzidenz von Vollzug und Gehalt des Wortes Gottes: Es realisiert, wovon es spricht. Es sagt zu, worüber es redet. Diese Koinzidenz hat kriteriologische Bedeutung für alle bei der geschichtlichen Erschließung und Vermittlung des Evangeliums beteiligten Instanzen.

      Die originäre Gegebenheitsweise des „Wortes Gottes“ als performative Zusage unbedingter Zuwendung wird im Prozess der Weitergabe des Evangeliums selbst zum Prüfstein der Übereinstimmung mit seinem Grund und Inhalt. Wer den christlichen Glauben authentisch bezeugen, auslegen und verstehen will, muss sich an der Koinzidenz von Vollzug und Gehalt unbedingter Zuwendung orientieren.

      Die Grundfrage einer Topologie des christlichen Glaubens, wie man sich im Modus zeitversetzter Gleichzeitigkeit seines Ursprungs und seines Grundes vergewissern kann, ist vor diesem Hintergrund lösbar, wenn man Jesu Botschaft vom Menschenverhältnis Gottes als Partitur begreift, von der man buchstäblich Gebrauch machen muss. In einer Partitur stecken die Aufforderung und die Anleitung, die Realität und Bedeutung einer Komposition in der Performation der Notenzeichen, d. h. durch den Vollzug einer Handlung („Aufführung“), zu realisieren.66 Eine Partitur macht es möglich, das Werk eines Komponisten über einen großen zeitlichen Abstand hinweg (nahezu) originalgetreu wieder aufzuführen. Wer bei der Uraufführung nicht dabei war, kann gleichwohl zeitversetzt mit dem Geschehen gleichzeitig werden. Anhand einer Partitur lässt sich auch überprüfen, inwieweit spätere Aufführungen in Entsprechung zu einer Komposition stehen. Bei aller gebotenen Werktreue lassen Partituren stets die notwendige Freiheit, hinsichtlich Instrumentierung, Besetzung der Hauptrollen, Aufführungspraxis etc. veränderten Verhältnissen gerecht zu werden. Liegt die Partitur einer Komposition vor, ist es möglich, auf jeweils zeitgemäße Weise dem Anspruch und Gehalt der Komposition zu entsprechen. Eine Partitur wird jedoch um ihren Anspruch und um ihre Wirkung gebracht, wenn ihr Notenbild lediglich unversehrt verwahrt und ihre Verwahrer sorgfältig überwacht werden.

      Im Blick auf das performative Verständnis christlicher Verkündigung kann von der Trias „Schrift – Tradition – Lehramt“ gesagt werden, dass sie Konstellationen der performativen Antreffbarkeit des Evangeliums markiert: Die Hl. Schrift bildet die (ursprüngliche) Partitur dieses Geschehens, in der Weitergabe dieser Partitur im Modus ihrer „Aufführung“ in den sich geschichtlich wandelnden Lebensverhältnissen der Glaubenden manifestiert sich der Traditionszusammenhang des Glaubens und die Bedeutung eines Lehramtes macht sich daran fest, die Einheit in der Verschiedenheit unterschiedlicher „Performanzen“ des Evangeliums konsensuell zum Ausdruck zu bringen. Diesen Größen kommt jedoch nur insoweit eine formale Normativität zu, als sie dem performativen Charakter des Evangeliums gerecht werden. Mit diesem performativen Charakter des Ineinsfalls von Zusage und Verwirklichung von Gottes Zuwendung zum Menschen ist die materiale Normativität des Evangeliums verbunden.

      Wenn das Verhältnis Gottes zum Menschen als Ereignis unbedingter Zuwendung vergegenwärtigt werden soll, kann dies angemessen nur in der Tradition des Ineinsfalls von Vollzug und Gehalt solcher Zuwendung geschehen. Lediglich in einem instruktionstheoretischen Offenbarungsverständnis (d. h. Offenbarung besteht in einer Mitteilung von Informationen) ist eine andere Lösung möglich. Bei der Vermittlung göttlicher Instruktionen kann der Inhalt des einst Mitgeteilten weitergegeben werden, ohne den ursprünglichen Akt der Mitteilung einer Information wiederholen zu müssen. Hier genügt es, eine originalgetreue Abschrift der ursprünglichen Mitteilung anzufertigen und zu tradieren.67 Wenn aber der Inhalt der Offenbarung mit ihrem Akt koinzidiert, ist es unabdingbar, zum Akt der Offenbarung Zugang zu erhalten. Wenn also Schrift, Tradition und Dogma relevant sein wollen für die Vergegenwärtigung des Glaubensgrundes, dann müssen sie verweisen auf die Reaktualisierung der Einheit von Vollzug und Gehalt der Selbstoffenbarung Gottes.

      Schrift, Tradition und Dogma sind nur insoweit normativ für die Weitergabe des Glaubens, als sie selbst der Koinzidenz von Vollzug und Gehalt unbedingter Zuwendung gerecht werden bzw. in deren Dienst stehen.

      Die Vermittlung des christlichen Glaubens (fides quae) entspricht also nur dann der Verkündigung Jesu, wenn sie selbst die Verlaufsform unbedingter Zuwendung zum Menschen annimmt. In ihrem Zeugnis muss sie vollziehen, was sie bezeugt. Mehr noch: Wenn die Offenbarung Gottes in Jesus von Nazareth bestimmt ist durch die Koinzidenz von Vollzug und Gehalt unbedingter Zuwendung, dann kann es eine Weitergabe und Vergegenwärtigung dieser Offenbarung nur geben, wenn diese Koinzidenz tradiert werden kann.

      3.1. Heilige Schrift: Den Glauben bezeugen

      Die bisher in immer neuen Anläufen verdeutlichte Korrespondenz und Koinzidenz von Vollzug und Gehalt bei der Weitergabe des Evangeliums stellt zweifellos eine problemerzeugende Problemlösung dar. Sie gibt eine Antwort auf die Herausforderung einer zeitversetzten Gleichzeitigkeit mit dem Grund-Geschehen des Christentums. Aber sie muss sich auch fragen lassen, ob sie zureichend abgesichert ist und nicht vielleicht eine Reihe von problematischen Sachverhalten unterschlägt. Dies gilt zunächst und vor allem für die Bestimmung von Autorität und Normativität der Hl. Schrift als ursprünglicher Partitur einer Vergegenwärtigung des „Wortes Gottes“. An ihr vorbei ist demnach das „Wort Gottes“, wie es in der Verkündigung Jesu vergegenwärtigt wurde, nicht zugänglich. Sie ist somit nicht in einem beliebigen Sinn autoritativ oder normativ für den Glauben, sondern nur in dem Sinn, in dem es ihr um die Zusage von Gottes Zuwendung zum Menschen geht. Zur Einlösung dieses Anspruchs bedarf es der Praxis ihres Inhaltes, d. h. unbedingter Zuwendung zum Menschen.

      Gegen diese These sind gewichtige Einwände denkbar, die es auf den ersten Blick fraglich erscheinen lassen, ob sie tatsächlich Bestand haben kann:

      – Ist es statthaft, in der Reflexionsfigur „Koinzidenz von Vollzug und Gehalt unbedingter Zuwendung Gottes zum Menschen“ die Grundaussage nicht bloß des Neuen Testamentes, sondern der ganzen Bibel zusammenzufassen? Lässt sie sich wirklich auf sämtliche „Bücher“ der Bibel beziehen?68 Wie ist mit jenen biblischen Texten umzugehen, die eine ganz andere Geschichte erzählen: die Gottverlassenheit des Menschen, die Erfahrung der Abwendung Gottes von den Menschen, Gottes Zorn über die Abwendung der Menschen von Gott?69

      – Verdient das Neue Testament wirklich das ursprüngliche Zeugnis der christlichen Verkündigung genannt zu werden, wenn doch jeder seiner einzelnen Schriften eine Phase der mündlichen Tradition der Jesusbotschaft vorausging und die Zusammenstellung eines Kanons der biblischen Schriften bis zu seiner Endredaktion mehrere Jahrhunderte brauchte?70 Wie kann man sicher sein, dass tatsächlich die ältesten Zeugnisse aus der Ursprungszeit des Christentums erfasst wurden?

      – Verdankt das Neue Testament seine Autorität und Normativität wirklich sich selbst und nicht einem Konsens kirchlicher Autoritäten, die einen СКАЧАТЬ