Praxis des Evangeliums. Partituren des Glaubens. Hans-Joachim Höhn
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Название: Praxis des Evangeliums. Partituren des Glaubens

Автор: Hans-Joachim Höhn

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия:

isbn: 9783429062224

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СКАЧАТЬ von ihnen behauptet wird, dass darin Gott zur Sprache kommt. Diesen Anspruch können sie nur erheben und einlösen, wenn sie verstehbar sind als Übersetzung von Gottes Schöpferwort in die Lebensverhältnisse des Menschen. Dass der Mensch ein solches Wort aufnehmen und weitersagen kann, ist in seiner Geschöpflichkeit begründet. Das „Im-Wort(Gottes)-Sein“ macht die Verfassung seines Daseins aus und präzisiert, was unter der „Gottebenbildlichkeit“ des Menschen zu verstehen ist: In seiner Sprachlichkeit findet sich auf Seiten des Menschen eine Entsprechung zu jener Hinsicht, wodurch sich Gott als Gott erweist und was sein Weltverhältnis konstituiert. Das „Ebenbild“ Gottes ist der Mensch, wenn er in seinen Lebensverhältnissen Gottes unbedingtes Ja zum Menschen mitspricht, umsetzt und übersetzt. Der Mensch ist das Wesen, das im Hören-Sagen des Wortes Gottes existiert, d. h., er vermag dem Dasein und Freiheit zusprechenden Wort Gottes in seiner eigenen Existenz zu antworten. Ein Mensch kann Gott und seinem Wort „entsprechen“, wenn er derart im Modus des Hören-Sagens existiert, dass er sein Menschsein selbst im Modus des Freispruchs und Zuspruchs, des Setzens wohltuender Unterschiede verwirklicht und auf diese Weise „fruchtbar“ (vgl. Gen 1,28) werden lässt.57 Wenn für das Wort Gottes gilt, dass es daseins-, identitäts- und freiheitskonstitutiv ist, dann muss dementsprechend für jede Berufung auf ein solches Wort ihrerseits gelten:

      Ob eine von Menschen verkündete Botschaft als „Wort Gottes“ ergehen kann, bemisst sich danach, inwieweit sich diese Botschaft so verstehen lässt, dass sie realisiert, wovon sie spricht, d. h., in dieser Botschaft darf nicht bloß „von“ oder „über“ Gott gesprochen werden. Vielmehr muss in ihrer Verkündigung das Schöpfungsversprechen Gottes Realität werden: das Ja-Wort unbedingter Anerkennung von Existenz, Identität und Freiheit.

      Auf dieser Basis lässt sich nun auch ein angemessenes Verständnis der Rede von der Selbstvergegenwärtigung Gottes in der „Inkarnation“ des Wortes Gottes gewinnen. Bereits im Schöpferwort spricht sich Gott aus, d. h., sein Schöpferwort legt aus und übersetzt, wie Gott auch „für sich“ ist: unbedingte Zuwendung. Jede weitere Rede von einem „Wort Gottes“ in der Geschichte wird darum nichts anderes meinen können als eine Auslegung und Übersetzung dieses Wortes in die Lebensverhältnisse des Menschen. Wenn das Christentum auf eine „Inkarnation“ des Wortes Gottes verweist und dies mit Person und Schicksal Jesu von Nazareth in Beziehung setzt, dann ist damit zunächst gemeint, dass Jesus dem Selbst- und Menschenverhältnis Gottes in der Sprachform seiner Existenz entspricht. Auch er existiert im Hören-Sagen des Wortes Gottes, dessen Vollzug seinen Inhalt realisiert: voraussetzungslose Zuwendung. In und mit seinem Dasein wird das Schöpferwort Gottes interpersonal formatiert im Modus der Zusage von Freiheit und Identität – im Setzen wohltuender Unterschiede zwischen Leben und Tod, im Freisprechen des Menschen von Schuld und Versagen. Was die Besonderheit Jesu ausmacht, ist der Umstand, dass er das Wort Gottes „in Person“ ist.58 Eben dies zeichnet ihn als Gott entsprechenden Menschen in besonderer Weise aus, dass durch ihn offenbar wurde, wie jeder Mensch Gott entsprechen kann.

      Dass im Schöpferwort Gottes „Geist und Leben“ (Gen 6,17; 7,15) sind, gilt auch für die Übersetzung dieses Schöpferwortes im Leben und Handeln Jesu. Er redet nicht über Gottes Geist und Wort, sondern handelt in diesem Geist und bringt durch sein Tun das Weltverhältnis Gottes neu zur Sprache. Unter diesem doppelten Vorzeichen steht bereits der Beginn seines Lebens. Der Geist Gottes, der über den Wassern der „Urflut“ schwebte, „überschattet“ die Mutter Jesu (Lk 1,35), er „ruht“ auf Jesus (vgl. Lk 4,18).59

      Das Leben und Wirken Jesu vor diesem Hintergrund ein vom Geist Gottes bewirktes „Sprachereignis“ zu nennen, bedeutet mehr, als darin bloß die Ankündigung einer Zusage Gottes zu sehen. Vielmehr sind sein Leben und Sterben zugleich Realisierung des Zugesagten. Für das Christentum liegt das Besondere der Existenz Jesu darin, dass sein Leben darin aufging, die (inter)personale Vergegenwärtigung und Einlösung der Zusage Gottes zu sein, dass er dem Menschen in guten wie in schlechten Tagen voraussetzungs- und bedingungslos zugewandt ist und ihn nicht dem Tod überlässt. Nur im Kontext des Zwischen- und Mitmenschlichen kann sich unverkürzt ereignen, was „unbedingte Zuwendung“ meint, wie auch nur die personale Zuwendung zum Menschen die originäre Erschließung von Gottes Zusage leisten kann.60 Hier besteht eine Koinzidenz des Vollzuges einer Zusage und der Realität des Zugesagten. Der zentrale Maßstab, an dem eine christlich-theologische Epistemologie Maß nehmen muss, um weitere Maßstäbe des Redens über Grund und Bedeutung des christlichen Glaubens zu entwickeln, ist diese Koinzidenz. Ihre geschichtliche Realität ist unablösbar verbunden mit der Person Jesu von Nazareth.

      Allerdings ist mit dieser Festlegung ein beträchtliches Folgeproblem verknüpft: Wie kann man den Anspruch heute einlösen, dass mit dem Leben und Sterben Jesu von Nazareth das Ereignis der Offenbarung von Gottes Zuwendung zum Menschen in der Geschichte verbunden ist? Wie kann man aufzeigen, dass dieses Ereignis geschichtlich unüberholbar ist?

      Die erste Teilfrage ist nicht mit einer historischen Retrospektive beantwortbar. Denn selbst wenn es gelingen sollte, auf historisch-kritischem Weg die Besonderheit Jesu z. B. an seinen Wundern festzumachen, ihm übermenschliche Fähigkeiten zu attestieren oder ihm ein göttliches Sendungsbewusstsein nachzuweisen, was seinen Zeitgenossen Grund genug gewesen sein mag, ihn als Mittler einer Offenbarung Gottes zu erkennen, wäre damit wenig gewonnen. Gründe, die nur den Zeitgenossen Jesu zugänglich und verifizierbar waren, um eine solche Annahme zu stützen, können nicht hinreichend sein, um heute zu demselben Schluss zu kommen. Mit der Berufung auf eine heute nicht mehr zugängliche Erfahrung der Zeitgenossen Jesu, die ihn als „Wort Gottes in Person“ legitimierte, lässt sich auch die zweite Teilfrage nicht beantworten. Dies gilt erst recht, wenn für die Selbstvergegenwärtigung Gottes in Jesus von Nazareth materiale und formale Unüberbietbarkeit behauptet wird. Formal unüberbietbar soll dieses Geschehen sein, weil anders oder besser als im Format unbedingter Zuwendung das Menschenverhältnis Gottes nicht offenbar werden kann. Material unüberbietbar soll es sein, weil dem Menschen von Gott nicht mehr zuteilwerden kann als eine Zuwendung, die ihn im Leben und im Sterben trägt.

      Mit dieser doppelten Problemanzeige rückt die Kernfrage einer Topologie des christlichen Glaubens ins Blickfeld: Wie ist es möglich, einem Ereignis der Vergangenheit zu einer Realpräsenz in der Gegenwart zu verhelfen, so dass es heute (und auch in Zukunft) bei jenen ankommt, die nicht zu den ursprünglichen Augen- und Ohrenzeugen der Verkündigung Jesu zählen? An der Lösbarkeit dieser Frage hängt die Möglichkeit, über die Zeit hinweg die Antreffbarkeit und Authentizität einer als „Wort Gottes“ behaupteten Botschaft wahren zu können. Aber bereits als Problemanzeige ist diese Frage von erheblicher kriteriologischer Bedeutung:

      Damit eine Botschaft als „Wort Gottes“ verstanden werden kann, muss sie von sich aus die Möglichkeit einer „zeitversetzten Gleichzeitigkeit“ mit dem geschichtlichen Ereignis der Offenbarung dieses Wortes Gottes eröffnen.

      3. Partituren des Glaubens:

      Evangelium – Tradition – Bekenntnis

      Die christliche Theologie gerät unweigerlich in erhebliche Verlegenheit, wenn sie von der geschichtlichen Selbstvergegenwärtigung Gottes in Jesus von Nazareth spricht und für dieses Geschehen das Merkmal der Unüberbietbarkeit beansprucht. Dieser Anspruch ist verbunden mit einem partikularen Ereignis in der Vergangenheit: das Leben und Sterben Jesu von Nazareth und die Nachricht von seiner „Auferweckung“. Wenn nun diese Ereignisfolge den Grund des Glaubens ausmacht, ergibt sich das Problem, wie in der Gegenwart noch eine Begründung dieses Glaubens möglich sein kann, wenn dieser Grund dem Glaubenden im zeitlichen Sinne entzogen ist. Ein weiterer Einwand ergibt sich aus dem neuzeitlichen Geschichtsverständnis. Es dominiert die evolutive Vorstellung einer ungerichteten Vorwärtsbewegung, die keine Mitte und kein Ziel kennt. Jedes Ereignis ist nur Episode. Das Frühere wird relativiert vom Späteren. Alles wird im Lauf der Zeit veralten, nichts ist ausgenommen vom Prozess der Überbietung des Überkommenen durch das Kommende. Die Zeit und alles Zeitliche gehen aber nicht auf ein bestimmtes СКАЧАТЬ