Traumasensitive Achtsamkeit. David Treleaven
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Название: Traumasensitive Achtsamkeit

Автор: David Treleaven

Издательство: Bookwire

Жанр: Зарубежная психология

Серия:

isbn: 9783867812702

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СКАЧАТЬ zweite Hürde bei der Integration ist Scham. Verbunden mit Demütigung, Demoralisierung und Reue, ist Scham eine komplexe und lähmende Emotion, die häufig mit traumatischem Stress einhergeht. Ein Mensch, der sexuell missbraucht wurde, wirft sich möglicherweise vor, sich nicht genug gewehrt zu haben – obwohl er vielleicht weiß, dass dies die Sache noch schlimmer gemacht hätte. Ein Soldat, der beim Schusswechsel im Kampf erstarrt, wird von den anderen abschätzig behandelt und mag das Gefühl haben, voller Fehler zu sein. Jemand, der unter Diskriminierung zu leiden hat, kann diese Form der Unterdrückung internalisieren und anfangen, sich mangelhaft und wertlos zu fühlen. Scham ist eine starke und lähmende Kraft.

      RJ empfand Scham in zweierlei Form. Erstens machte er sich selbst für den Tod seiner Schwester verantwortlich. Ständig hatte er „Was, wenn …“-Gedanken über Michelles Unfall und konnte sich selbst nicht vergeben, ihr seine Kopfhörer geliehen zu haben. Die Verantwortungslosigkeit, die er sich selbst zuschrieb, verursachte Schuldgefühle und ekelte ihn an. Ebenso schämte RJ sich für seine Meditationspraxis; er empfand es als demütigend, dass er Marcs einfache Anleitung nicht befolgen konnte. Nichts in seinem Leben funktionierte, und er fühlte sich schwach und hoffnungslos. All diese Gefühle waren Hindernisse auf dem Weg zur Integration.

      In Anbetracht seiner Schamgefühle benötigte RJ mehr als eine angeleitete Meditation. Er brauchte Bindung. Wie ich in Kapitel 8 ausführen werde, erholen und entfalten sich Traumaüberlebende häufig durch die Verbindung mit anderen. Obwohl Bindung kein Allheilmittel ist, kann sie – unter den richtigen Umständen – dabei helfen, Sicherheit und Vertrauen wieder aufzubauen. In dem abgesteckten Raum einer sicheren Beziehung können wir angemessen mit Scham und Vergebung arbeiten. Marcs Empathie war in gewisser Weise konstruktiv, aber Traumaüberlebende brauchen jemanden, der ihnen eine enge und beständige Führung geben kann – jemanden, der darin geschult ist, Trauma zu erfassen. Traumaüberlebenden dabei zu helfen, achtsam mit ihrer Scham umzugehen, reicht oftmals nicht aus.

      Es ist wichtig für traumasensitive Praktiker, die Angst und Scham, die Traumaüberlebende empfinden, zu respektieren. Auch wenn es verlockend sein kann, ein Trauma schlicht für eine intensive negative Emotion zu halten, ist es tatsächlich eine Form von Stress, die die Betroffenen außer Gefecht setzt. Es umfasst Überlebensreaktionen, die mit den tiefsten Aspekten unserer Psycho-Biologie korrespondieren. Ein leichtfertiger Umgang mit Trauma kann das Gefühl von Sicherheit und Stabilität gefährden. Daher ist es unsere Aufgabe, so gut wie möglich zu verstehen, welche Rolle Achtsamkeit dabei spielt. Dies öffnet uns die Tür, um Traumata erkennen, effektiv darauf zu reagieren und eine Retraumatisierung zu vermeiden – mit anderen Worten, Achtsamkeit auf eine traumasensitive Art anzubieten.

      KAPITEL 2

      Sich in der Gegenwart verankern: Achtsamkeit und traumatischer Stress

      Meditationspraxis ist keine passive, luxuriöse Nabelschau für Menschen, die der Härte unserer komplexen Welt entfliehen möchten. Bei Achtsamkeit und Meditation geht es darum, uns tiefgreifend zu verändern, um selbst die Veränderung zu sein, die diese Welt braucht.

      Larry Yang

      Tara und Nick kamen seit fünf Wochen zu mir, und die Therapie machte gute Fortschritte. Tara, eine introvertierte Anwältin, lernte, ihre Anliegen direkt zu formulieren. Nick, ein extrovertierter Vater und Hausmann, arbeitete daran, besser mit seiner Wut umzugehen. Wie ich es zuvor schon bei anderen Paaren gesehen hatte, hatte auch bei diesem Paar die Geburt des Sohnes Connor vor vier Jahren erheblichen Druck in die Beziehung gebracht. Sie stritten häufiger, sahen mehr fern und hatten in letzter Zeit keinen Sex mehr. Während der Sitzungen waren sie in der Lage, ihre Probleme mit Entgegenkommen zu besprechen – manchmal sogar mit Humor. Aber heute hing etwas spürbar Anderes in der Luft.

      „Möchtest du anfangen?“, fragte Tara Nick. Es war mehr ein Statement als eine Frage. Nick signalisierte Zustimmung, während er in sein Wasserglas starrte. Am Vorabend, begann er, war die gesamte Familie emotional recht ausgelaugt gewesen. Tara war durch die Menge an Fällen in der Kanzlei überlastet, Connor hatte den ganzen Tag Wutanfälle gehabt, und seit Wochen hatten sie sich gegenseitig mit Erkältungen angesteckt. Beim Abendessen wollte Connor nicht stillsitzen und verweigerte sein Essen. Nick verlor die Geduld, griff nach Connors Gabel und hielt sie ihm streng vor das Gesicht. Connor stieß einen Schrei aus, nahm seinen Teller und warf ihn nach Nick.

      Als ihm die Spaghetti vom T-Shirt tropften, explodierte Nick. Er stand auf, nahm ein Wasserglas und schmiss es quer durch den Raum, wo es an der Wand zerbrach. Connor brach in Tränen aus, als Tara hastig zurücksprang, und Nick trat einen hastigen Rückzug ins Schlafzimmer an – er fühlte sich schwindlig, wütend, und es verwirrte ihn, was gerade geschehen war. Wie sie mir da gegenübersaßen, war ihnen deutlich anzusehen, dass Nick und Tara durch diesen Vorfall sichtlich mitgenommen waren. Nick hatte schon öfter die Geduld mit Connor verloren, aber noch nie war er physisch aggressiv geworden. Der Gedanke, sich selbst und Connor vor ihrem Ehemann beschützen zu müssen, überwältigte Tara. „Ich fühle mich, als hätte ich das Vertrauen meiner Familie zerstört“, sagte Nick, als er sich im Sofa zurücklehnte und tief ausatmete.

      Mit einer wachgerüttelten Tara und einem von Scham erfüllten Nick wurde eine neue Form des Gesprächs möglich. Krisen wie diese offenbaren oft Probleme, die seit langem unter der Oberfläche brodeln. Als könnte er es nicht länger für sich behalten, begann Nick, uns seine traumatische Vergangenheit zu offenbaren. Er beschrieb, wie es war, mit einem prügelnden Vater aufzuwachsen, der im Vietnamkrieg gedient hatte. In ihrer Kindheit hatten sich Nick und sein jüngerer Bruder im Badezimmer versteckt, wenn der Vater von der Arbeit nach Hause kam. Schloss dieser die Haustür behutsam, kamen sie aus ihrem Versteck hervor, um den Vater zu begrüßen. Wurde sie zugeschlagen, blieben sie im Versteck. Sobald Nicks Vater ein paar Drinks gehabt hatte, war die Situation am Esstisch äußerst unberechenbar. Dort kamen die Schläge ohne Vorwarnung.

      Nick berichtete weiter, dass er in letzter Zeit Flashbacks erlebt hatte. In dem Bewusstsein, dass Connor sich dem Alter näherte, in dem er selbst die schlimmsten Misshandlungen durch seinen Vater erlitten hatte, wurde Nick von Bildern der erlebten Gewalt überflutet: der Anblick des betrunkenen Vaters im Flur, das schreckverzerrte Gesicht seines Bruders, wenn sie sich im Badezimmer versteckten. Nick fühlte auch ständig einen Knoten im Bauch – ein Gefühl, das sich dort seit den Schlägen aus Kindertagen eingenistet hatte. Weil er chronisch reizbar und agitiert war, hatten sein Fernseh- und Alkoholkonsum stark zugenommen. Am Ende der Sitzung einigten wir uns darauf, dass Nick in den nächsten Wochen alleine zu den Sitzungen kommen würde. Tara hatte bereits eine Reise zu ihren Eltern geplant, und Nick suchte nach Strategien, wie er sich durch seinen inneren Aufruhr navigieren konnte. Die erste Ressource, die ich Nick anbot, war Achtsamkeit. Unter Anleitung begann Nick die Anwendung von Achtsamkeit zu lernen, um den in ihm gefangenen Zorn und Schrecken zu beobachten und auszuhalten. Wenn in ihm eine Welle intensiver Wut aufstieg, lernte er, mit den körperlichen Empfindungen präsent zu sein, statt sie zu werten oder zu meiden. Er bemerkte, dass seine Gefühle ständig wechselten – dass sie nicht so tiefsitzend waren, wie er gedacht hatte. Manchmal nahmen die Emotionen und Empfindungen sogar so weit ab, dass er tief atmen und sich entspannen konnte. Mit zunehmender Übung war Nick in der Lage, seinen Kindheitserfahrungen mit einem gewissen Maß an Neugierde und Mitgefühl zu begegnen, statt sich, wie er es jahrelang getan hatte, dafür zurechtzuweisen. Er erkannte, dass unter all dem Zorn ein jüngerer, verängstigter Teil seines Selbst lag, der von der Gewalt in seiner Familie überwältigt worden war.

      Nach drei Wochen fragte ich Nick, wie er sich mit den Achtsamkeitsübungen fühlte, die wir in den Sitzungen abgehalten hatten. „Ich mache, was auch immer nötig ist“, antwortete er, während er mit den Tränen kämpfte. „Der Name Connor bedeutet auf Irisch ‚willensstark‘, und das trifft definitiv auf meinen Sohn zu. Aber er soll nicht dasselbe erleben, was ich durchmachen musste. Ich möchte, dass die Gewalt, die in meiner Familie von einer Generation an die nächste weitergegeben wurde, mit mir ein Ende hat.“

      TRAUMA UND ACHTSAMKEIT

      Achtsamkeit СКАЧАТЬ