Название: Weisheit und Mitgefühl in der Psychotherapie
Автор: Christopher Germer
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная психология
isbn: 9783867812313
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Altruismus
Mitgefühl bedeutet nicht nur, dass man mit jemandem mitfühlt, sondern auch, dass man versucht, die Situation zu verändern. Häufig meint man, Mitgefühl und Liebe seien nur Gefühle. Nein! Sie sind sehr anspruchsvoll und verlangen etwas. Wenn Sie Mitgefühl haben möchten, stellen Sie sich darauf ein, dass sie handeln müssen!
DESMOND TUTU (BARASCH, 2005)
Altruismus ist eine Qualität von Mitgefühl und unterscheidet sich sowohl von Empathie als auch von Sympathie. Altruismus kann man entweder als eine Motivation betrachten (Batson, 2002) oder als eine Aktivität (Monroe, 2002), zu der „gehört, dass man einander ohne Rücksicht auf persönlichen Gewinn hilft“ (Kristeller & Johnson, 2005, S. 394). Empathie und Sympathie können zu Altruismus führen, aber das geschieht nicht notwendigerweise. Mitgefühl schließt immer Altruismus mit ein.
Selbstmitgefühl
Obwohl Mitgefühl allgemein als eine Emotion oder als eine innere Haltung gegenüber anderen betrachtet wird, schließt die buddhistische Definition von Mitgefühl alle Lebewesen ein, auch einen selbst (siehe Kapitel 6 und 7). Der Dalai Lama (2000) sagt:
… Damit man echtes Mitgefühl gegenüber anderen entwickeln kann, muss man zuerst eine Grundlage haben, auf der Mitgefühl kultiviert werden kann. Diese Grundlage besteht in der Fähigkeit, Kontakt mit den eigenen Gefühlen zu haben und am eigenen Wohlsein Anteil zu nehmen … Bedingung für Sorgen für andere ist, dass man für sich selbst sorgen kann.
Viele Menschen finden es leichter, Mitgefühl mit bestimmten Wesen – mit Haustieren, Kindern, Menschen, die ihnen nahestehen – zu empfinden als mit sich selbst. Deshalb sieht die gegenwärtige Forschung keine klare, lineare Beziehung zwischen Selbstmitgefühl und Mitgefühl für andere (Neff, Yarnell & Pommier, 2011). Es macht aber Sinn, dass wir die vielen verschiedenen Teile von uns selbst, auch die weniger wünschenswerten Qualitäten, akzeptieren und annehmen müssen, um Mitgefühl mit allen Menschen haben zu können (siehe Kapitel 13). Sonst werden wir dazu neigen, in anderen abzulehnen, was wir in uns selbst nicht mögen oder ablehnen.
Mitgefühl ist eine innere Angelegenheit. Mitgefühl kann zu Ärger werden, wenn man meint, dass das leidende Individuum keine Hilfe verdient. Es kann zu Leiden werden, wenn man nicht die entsprechenden Ressourcen hat, um helfen zu können, und es kann zu Schadenfreude (Lust am Leiden anderer) werden, wenn der Mensch, der leidet, als ein Hindernis zum eigenen Glück gesehen wird. Und manchmal kann es sogar zu Wut oder Scham werden, wenn man selbst derjenige ist, der leidet (Goetz et al., 2010). Daher braucht man ein ausgewogenes (achtsames) Bewusstsein von der eigenen inneren Welt und eine innere Haltung der Freundlichkeit gegenüber sich selbst, um Mitgefühl mit anderen zu entwickeln.
Eine kurze Geschichte des Mitgefühls
Mitgefühl gehört zum Kern aller Religionen dieser Welt. Zum Beispiel war Konfuzius der erste wichtige Lehrer, der die goldene Regel formuliert hat: „Füge niemals anderen etwas zu, wovon du nicht willst, dass man es dir zufügt“ (Armstrong, 2010, S. 9). Der hinduistische Avatār Krishna sagte: „Aus reinem Mitgefühl für sie bleibe ich in ihrem Selbst, zerstöre die Dunkelheit, die aus Unwissenheit geboren wurde“ (Shankarācārya, 2004, S. 264). Jesus hat gelehrt: „Du sollst Deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Markus 12, 31). Und der Prophet Mohammed: „Niemand ist ein Gläubiger, wenn sein Nachbar sich nicht vor Schaden von seiner Seite sicher fühlt“ (Taymiyyah, 1999). Im Judentum heißt es: „Die Guttaten des Herrn sind noch nicht aus, ja, sie sind noch nicht zu Ende. Jeden Morgen neu ist sein Erbarmen, und groß ist seine Treue“ (Klagelieder, 3, 22–23; siehe auch Berlin, Brettler & Fishbane, 2004, S. 1596). Unsere religiösen Traditionen beschäftigen sich alle mit dem Problem menschlichen Leidens. In der Lehre des Buddhas ist Leiden „die erste Edle Wahrheit“, und er lehrte Mitgefühl als ein Mittel, persönlichen Schmerz zu lindern und friedliches Zusammenleben zu fördern.
In der westlichen philosophischen Tradition war Aristoteles der Erste, der Mitgefühl untersucht hat (als „Mitleid“) (Cassell, 2005). Andere Philosophen nach ihm waren im Hinblick auf Emotionen zurückhaltend, wie zum Beispiel Kant und Nietzsche. Sie warnten, Gefühle wie Mitgefühl könnten eine Gefahr für die Vernunft sein und sollten unterdrückt werden (Nussbaum, 1996, 2001). Andere westliche Denker aber wie Hobbes (1651/2012), Hume (1888/2007) und Schopenhauer (1844/2009) erkannten den Wert, der darin liegt, sich mit anderen zu identifizieren oder sich an ihre Stelle zu versetzen (siehe Pommier, 2010).
Vielleicht entmutigte die enge Assoziation von Mitgefühl mit Religion die junge Wissenschaft der Psychologie, es gründlicher zu erforschen. Nichtsdestoweniger findet sich Mitgefühl eingebettet in die vertrauten therapeutischen Konzepte der Empathie, des therapeutischen Bündnisses, der bedingungslosen positiven Wertschätzung und der Akzeptanz.
In ihrem historischen Überblick über „Akzeptanz“ in der Psychologie sehen John Williams und Steven Lynn (2010) den historischen Buddha als den Ersten, der sich mit Bedacht über den Begriff geäußert hat. Der Buddha war der Überzeugung, dass menschliches Leiden vor allem aus dem Wunsch und dem Verlangen entsteht, die Erfahrung von Moment zu Moment sei anders als sie ist (d. h. Nichtakzeptanz). Er meinte, um dieser Tendenz entgegenzuwirken, sollte man Gierlosigkeit, Hasslosigkeit, Achtsamkeit, Mitgefühl, Weisheit und eine Menge anderer mentaler Faktoren kultivieren, um Leiden zu mindern bzw. zu überwinden (siehe Kapitel 4 und 9).
Ein Interesse an Akzeptanz, besonders an Akzeptanz des eigenen „Selbst“ und des „anderen“ gibt es auf dem Gebiet der Psychotherapie seit über einem Jahrhundert. William James, Sigmund Freud und B. F. Skinner betrachteten Akzeptanz als psychologisch nützlich. Carl Rogers (1951) und andere humanistische und existenzialistische Therapeuten erhoben Akzeptanz in den Status eines zentralen Veränderungsprozesses. Interessanterweise betrachteten sowohl Freud (1913/1957) als auch Rogers Selbstakzeptanz als einen Vorläufer von Akzeptanz von anderen, und diese Sicht wurde bis weit in die 1980er Jahre des letzten Jahrhunderts zu einem Fokus empirischer Untersuchungen. In den 1990er Jahren verschob die Forschung ihren Schwerpunkt dann mit der Einführung achtsamkeits- und akzeptanzbasierter Behandlungsformen, die vom Buddhismus inspiriert waren, zu der Akzeptanz von Erfahrung von Moment zu Moment (Kabat-Zinn, 2011; Linehan, 1996; Segal et al., 2002).
Die Erforschung von Mitgefühl und Weisheit scheint der nächste Schritt in der Konvergenz buddhistischer Psychologie und moderner Psychotherapie zu sein. Bekannte Themen werden neu untersucht und neue Gebiete eröffnet:
• Selbstmitgefühl erscheint als eine neue Form von Selbstakzeptanz.
• Mitgefühl wird als eine Form der Empathie erforscht, die Regulierung von Leiden mit gutem Willen betont.
• Erschöpfung von Mitgefühl (compassion fatigue) wird als das verstanden, was passiert, wenn man Empathie ohne Selbstmitgefühl und Gleichmut hat.
• Mitgefühlsorientierte Therapie wird als ein expliziter Versuch entwickelt, die Fähigkeit zu Mitgefühl zu wecken und zu üben, um emotionales Leiden zu bewältigen.
• Studien des Gehirns zeigen, dass innere Zustände des Mitgefühls eine verbesserte tiefe Empfindsamkeit für den Schmerz anderer einschließen.
Diese Themen und viele andere werden in diesem Buch besprochen.
Ist Mitgefühl angeboren?
Man kann sagen, dass wir physisch nicht nur für Kampf oder Flucht, sondern auch für Mitgefühl ausgestattet sind. Unsere primitiven, der Selbsterhaltung dienenden Instinkte werden sehr schnell und automatisch СКАЧАТЬ