Название: Weisheit und Mitgefühl in der Psychotherapie
Автор: Christopher Germer
Издательство: Bookwire
Жанр: Зарубежная психология
isbn: 9783867812313
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Aber was genau sind Weisheit und Mitgefühl? Warum sind sie in der Psychotherapie wichtig? In diesem Kapitel versuchen wir, diese so schwer zu fassenden Begriffe zu definieren und ihren begrifflichen, wissenschaftlichen und historischen Kontext in den westlichen und in buddhistischen Traditionen kurz zu umreißen. Wir beginnen auch, die Relevanz dieser Qualitäten für die therapeutische Arbeit, die das Thema des Buches ist, zu untersuchen.
Achtsamkeit, die Grundlage von
Weisheit und Mitgefühl
Das Interesse daran, Achtsamkeit in die Praxis von Psychotherapie aufzunehmen, ist in den letzten 25 Jahren stetig angewachsen. Achtsamkeit- und akzeptanzbasierte Behandlung gilt als die „dritte Welle“ der Verhaltenstherapie (Baer, 2006; Hayes, Follette & Linehan, 2012; Hayes, Villatte, Levin & Hildebrandt, 2011; Hoffman & Asmundson, 2008), nach verhaltensorientierten Ansätzen im engeren Sinn und der kognitiven Verhaltenstherapie. Und Achtsamkeit beeinflusst eine Reihe anderer Behandlungsmodelle wie psychodynamische (Epstein, 2011; Hick & Bien, 2010; Safran, 2003), humanistische (Johanson, 2009; Khong & Mruk, 2009) und familientherapeutische Ansätze (Carson, Carson, Gil & Baucom, 2004; Gambrel & Keeling, 2010; Gehart & McCollum, 2007). In der achtsamkeitsorientierten Therapie ist man viel weniger daran interessiert, den Inhalt persönlicher Erfahrungen zu verändern als viel mehr die momentane Beziehung zu Empfindungen, Gedanken, Emotionen und zum Verhalten. Diese neue Beziehung ist durch Achtsamkeit charakterisiert: „(1) Bewusstheit (2) des gegenwärtigen Moments (3) mit Akzeptanz“ (Germer, 2009) oder durch „die Bewusstheit, die dadurch entsteht, dass man mit Absicht und ohne zu werten mit der Aufmerksamkeit bei der Entfaltung der Erfahrung von Moment zu Moment“ ist (Kabat-Zinn, 2003, S. 145). Sie betont besonders die Akzeptanz: „aktives, nicht wertendes Annehmen von Erfahrung im Hier und Jetzt“ (Hayes, 2012). Das Gegenteil von Achtsamkeit und Annehmen ist Widerstand gegen oder Vermeiden von Erfahrung – die Abwehr unangenehmer Erfahrungen dadurch, dass man den Körper anspannt, in Gedanken stecken bleibt, schwierige Situationen meidet oder mit psychischen Abwehrmechanismen Gefühle blockiert. Obwohl solche Reaktionen auf kurze Sicht emotionale Unannehmlichkeiten reduzieren können, tendieren sie dazu, Leiden auf lange Sicht zu verstärken (Fledderus, Bohlmeijer & Pieterse, 2010; Kingston, Clarke & Remington, 2010).
Die Forschung über Achtsamkeit wächst exponentiell. Im Dezember 2011 verzeichnete PsycINFO über 1760 von Experten begutachtete Fachzeitschriftenartikel, in denen das Wort Achtsamkeit verwendet wurde, während es im Jahr 2005 nur 364, im Jahr 2000 125 und im Jahr 1985 nur 24 waren. Das am häufigsten erforschte Trainingsprogramm für Achtsamkeit ist die Achtsamkeitsbasierte Stressbewältigung (MBSR; Kabat-Zinn, 2011; Stahl & Goldstein, 2010). Andere empirisch unterstützte, breit angenommene Programme sind die auf MBSR beruhende Achtsamkeitsbasierte Kognitive Therapie (Mindfulness-based cognitive therapy, MBCT; Segal, Williams und Teasdale, 2002; Williams, Teasdale, Segal und Kabat-Zinn, 2009), die Dialektische Verhaltenstherapie (DBT; Linehan, 1996, 1996; siehe auch Kapitel 15) und die Akzeptanz- und Commitmenttherapie (ACT; Harris, 2011; Hayes, Strosahl & Wilson, 2011). Während immer mehr empirische Belege für die Wirksamkeit von achtsamkeits- und akzeptanzbasierten Behandlungsmethoden zu ihrer Popularität beitragen, wird Achtsamkeit jetzt auch als ein transtheoretischer und transdiagnostischer Veränderungsprozess anerkannt – als ein Wirkmechanismus, der verschiedenen Behandlungsformen für ein weites Spektrum von Erkrankungen zugrunde liegt (Baer, 2010a; Hölzel, Lazar et al., 2011). Achtsamkeit hat das Potential, nicht nur verschiedene Therapieschulen miteinander zu verbinden, sondern auch klinische Forschung und Praxis und das persönliche und professionelle Leben von Therapeuten zu integrieren (Germer, Siegel und Fulton, 2009).
Das Kultivieren einer freundlicheren, mitfühlenderen Beziehung zu sich selbst und zu anderen gehört, explizit oder implizit, zu den meisten oben erwähnten Trainingsprogrammen von Achtsamkeit, und die Forschung hat gezeigt, dass Achtsamkeitstraining das Selbstmitgefühl steigert (Birnie, Speca & Carlson, 2010; Krüger, 2010; Shapiro, Astin, Bishop & Cordova, 2005; Shapiro, Brown & Biegal, 2007). Der Einfluss von Achtsamkeitspraxis auf die Entwicklung von Weisheit wurde noch nicht experimentell untersucht, aber in der buddhistischen Tradition hat sie vor allem den Sinn, umfassende und tiefe Einsicht in das Wesen des Geistes und darüber hinaus in das Leben selbst zu entwickeln (siehe Kapitel 9). In den buddhistischen Traditionen ist das, was westliche Therapeuten „Achtsamkeitsmeditation“ nennen, als „Einsichtsmeditation“ (vipassanā) bekannt, die ausdrücklich dazu bestimmt ist, jene Einsichten zu kultivieren, die zu Weisheit führen und damit uns selbst und andere von Leiden befreien. Der griechische Philosoph Heraklit schrieb: „Anwender von Weisheit tun das, was ich getan habe: im Inneren forschen“ (Hillman, 2003, S. XIII). Der Buddha sagte: „Komm und sieh selbst“ (ehipassiko). Damit sich diese Weisheit einstellen kann, brauchen wir eine innere Haltung tiefer Akzeptanz gegenüber unserer Erfahrung von Moment zu Moment und Mitgefühl mit uns als leidenden Menschen. Wenn wir Achtsamkeitsübungen verwenden, um so nach innen zu schauen, entwickeln wir Qualitäten von Geist und Herz – Weisheit und Mitgefühl –, die uns erlauben, klar zu sehen und uns auf alles, was wir fühlen, mit Zartheit, Sanftmut und Unbeschwertheit einzulassen und auf die Lebensumstände, die sich einstellen, wirksam zu reagieren.
Drei praktische Qualitäten der Achtsamkeit
Obwohl Achtsamkeit, Weisheit und Mitgefühl in der Erfahrung verwandt sind und durch Methoden kultiviert werden, die etwas miteinander gemeinsam haben, unterscheiden sie sich konzeptuell deutlich und nutzen verschiedene psychische Prozesse oder Fähigkeiten.
Die drei Hauptqualitäten, die von den meisten Trainingsprogrammen für Achtsamkeit vermittelt werden, sind: (1) Konzentration (Bewusstheit mit einem einzigen Fokus), (2) Achtsamkeit an sich (offene Bewusstheit) und (3) Liebende Güte und Mitgefühl (Salzberg, 2011). Bis vor Kurzem wurden die ersten zwei psychischen Prozesse in achtsamkeits- und akzeptanzbasierter Psychotherapie betont. Diese Qualitäten sind auch die wichtigsten Hilfsmittel für das Kultivieren von Weisheit, die man in buddhistischer Psychologie als durchdringende Einsicht in das Wesen unseres Geistes und des „Selbst“ versteht. Die dritte Qualität – Liebende Güte und Mitgefühl – hilft dabei, eine liebevolle, anteilnehmende innere Haltung gegenüber uns selbst und gegenüber anderen zu kultivieren, besonders im Leiden, was uns dann erlaubt, unsere Erfahrungen von Moment zu Moment mit mehr Achtsamkeit und weniger Widerstand zu halten.
Aufmerksamkeit und Emotionen regulieren
William James (1890/2007) schrieb: „Die Fähigkeit, eine schweifende Aufmerksamkeit wieder und wieder zurückzubringen, ist die wahre Wurzel von Urteilskraft, Charakter und Willen“ (S. 424). In der Meditation haben Übungen mit einem einzigen Fokus – wie das Zurückbringen der Aufmerksamkeit zur Atmung oder Richten der Aufmerksamkeit zu den Fußsohlen, wenn man in Not ist – die Funktion, den Geist zu beruhigen (R. Siegel, 2011). Techniken der offenen Bewusstheit – alles wahrnehmen, was in unserem Wahrnehmungsfeld auftaucht – trainieren das Bewusstsein, die Widrigkeiten des Lebens mit Gleichmut und Einsicht anzunehmen. Alles in allem hilft Lernen, unsere Aufmerksamkeit mit diesen Übungen zu regulieren, unsere Emotionen zu regulieren.
Es gibt jedoch andere Meditationstechniken wie die Meditation Liebender Güte (mettā) und die Meditation von Geben und Nehmen (tong-len), die über Tausende von Jahren besonders dafür entwickelt wurden, mit schwierigen Emotionen umzugehen (siehe Kapitel 4 und 7).
Der Dalai Lama sagt:
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