Название: Eine andere Sicht auf die Welt!
Автор: Ulrich Walter
Издательство: Bookwire
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783831269785
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Bedeutet das, wir können keine glaubwürdigen Aussagen über unsere Vergangenheit machen? Doch, das können wir. Dazu müssen wir aber ein wenig in den Wissenschaften stöbern. Die Wissenschaftler haben nämlich ein ähnliches, grundlegendes Problem: Wissenschaftliche Theorien lassen sich nicht beweisen. Sie sind nur mehr oder weniger wahrscheinlich. Trotzdem waren die Wissenschaften in den vergangenen Jahrhunderten sehr erfolgreich, die Wahrheiten in der Natur aufzuspüren. Es muss also Verfahren geben, Wahres von Falschem zu unterscheiden.
Es gibt in der Tat zwei grundlegende Verfahren. Da ist zunächst der Falsifikationismus, das Verfahren zum Beweis sogenannter All-Aussagen, also von Theorien über unsere Welt, die für sich beanspruchen, ausnahmslos wahr zu sein. Dieses Verfahren wurde von dem Philosophen Karl Popper (1902–1994) genauestens beschrieben und basiert auf dem Prinzip der Falsifizierbarkeit von Theorien. Dieses Prinzip untersucht die Frage »Was ist eine gute Theorie, und wann ist sie wahr?«. Das ist für unsere Alltagsprobleme aber meist irrelevant. Was wir suchen, ist ein Prinzip, das die wahrscheinlich wahre Theorie aus dem Heuhaufen unwahrer oder lediglich wahrscheinlicher Theorien herausfischt. Das Verfahren, das man in den Wissenschaften dazu anwendet, ist berühmt geworden unter dem Namen »Ockhams Rasiermesser«. Manchmal nennt man es aber auch einfach nur das »beauty principle«.
WAHRSCHEINLICHES VOM UNWAHRSCHEINLICHEN RASIERMESSERSCHARF TRENNEN
Natürlich handelt es sich hier nicht um ein wirkliches Rasiermesser. Gemeint ist ein Verfahren eines Gelehrten namens Ockham, das es erlaubt, Wahres von Falschem (selbst wenn es logisch klingt) haarscharf, wie mit einem Rasiermesser, zu trennen. Wilhelm von Ockham (lateinisch: Occam), 1285–1347, war ein englischer Franziskaner, der sich als scholastischer Naturphilosoph betätigte. Ihm schreibt man die Worte zu: »Eine Vielheit darf nicht gesetzt werden, ohne dass es notwendig ist« (»Pluralitas non est ponenda sine necessitate«) und: »Dinge sollten nicht vervielfacht werden, ohne dass es notwendig ist« (»Entia non sunt multiplicanda sine necessitate«). Tatsächlich hat er diese Worte so nie gesagt, sondern nur etwas Ähnliches. Aber darum geht es hier nicht. Das, was diese Worte ausdrücken sollen, hat der Philosoph Ludwig Wittgenstein (1889–1951) einmal so ausgedrückt: »Suche das einfachste Gesetz, das mit den Fakten harmoniert.« Oder Einstein mit seinem unnachahmlichen Sprachwitz: »Eine Theorie sollte so einfach wie möglich sein, jedoch nicht einfacher.« Was ist damit gemeint? Nun, es ist diejenige Erklärung zu favorisieren, die die Fakten am einfachsten erklärt. Dabei ist »einfach« nicht so zu verstehen, dass die Theorie einfach erscheint, sondern, dass sie die wenigsten unbeweisbaren Annahmen macht.
Wenden wir nun dieses Rasiermesser auf das Problem des Weltalters an. Die Kirche bietet dazu eine durchaus mögliche Erklärung an, die aber von der nicht beweisbaren Annahme ausgeht, es gäbe einen Gott, der die Paläontologen hinters Licht führen will. Im Sinne Ockhams ist dies eine nicht notwendige, vervielfachende Annahme. Denn es gibt eine Theorie der Paläontologen, die ohne diese zusätzliche Annahme auskommt und in diesem Sinne einfacher ist. Damit ist die Theorie der Paläontologen zu bevorzugen und daher diejenige, die man bevorzugen sollte. Wohlgemerkt, Ockhams Rasiermesser ist kein Beweismittel, sondern nur ein Argument, wenn auch ein starkes, für die Auswahl der richtigen Theorie aus vielen, wenn es keine weiteren Argumente gibt. Doch selbst wenn es tiefergehende fachliche Argumente für oder gegen andere Theorien gibt: Wer möchte sich schon die Mühe machen, in die Untiefen logischer Beweise hinabzusteigen? Für eine schnelle Orientierung hilft Ockhams Rasiermesser, und das liefert zumeist sogar auch die richtige Antwort. Was will man mehr?
3 – IST GOTT EIN MATHEMATIKER?
Ist das Buch der Natur in der Sprache der Mathematik geschrieben? Wenn man sich die Wissenschaften so anschaut, könnte man das glauben. Ganz so ist es aber nicht.
WAS MANCHE SO DENKEN
Die Mathematik spaltet die menschlichen Lager. Diejenigen, die sie nicht mögen, halten sie für Teufelswerk, bestenfalls Menschenwerk. Umgekehrt halten ihre Liebhaber sie für die Krone der Wissenschaften. Der alte Platon (ca. 428 v. Chr. – 348 v. Chr.), ein Zahlenfetischist, ging sogar noch einen Schritt weiter. Für ihn war unsere Mathematik lediglich ein mattes Abbild einer höheren Realität. Mathematische Zahlen bildeten in seiner Ideenlehre eine eigene Welt, nämlich die Zahlenwelt als Ideenkonzept, die unabhängig von unserer Welt existiert. Unsere Zahlen sind sozusagen Konkretisierungen dieser Zahlenkonzepte in unserer Welt. Jedes Mal wenn ich eine Zahl auf ein Blatt Papier schreibe, wird aus einer abstrakten Zahlenidee in der Überwelt eine konkrete Zahl in der unseren. In der objektorientierten Programmierung würde man heute sagen: Es gibt einen Objekttyp »Zahl« und eine Instanz »Zahl«. Diese Behauptung ist starker Tobak. Erstens lässt sich diese Annahme durch nichts beweisen (genauer: Gemäß Poppers Wissenschaftstheorie lässt sie sich nicht falsifizieren). Solche Gedankenklimmzüge sind nach unserem wissenschaftstheoretischen Verständnis auch nicht notwendig, und wendet man Ockhams Rasiermesser (siehe vorherigen Artikel) darauf an, ist Platons Ideenwelt sowieso falsch.
Und dann gibt es noch diejenigen, für die Mathematik ein Buch mit sieben Siegeln ist, dem man einfach nicht trauen darf. So interpretiere ich einen Leser, der mir schrieb: »Ach hört doch endlich auf mit der Mathematik! Die Mathematik wurde von Menschen erfunden, und sie glauben, dadurch alles erklären zu können. Ja sogar das Universum zu verstehen. Das ist das Absurde dabei.« Selbst mancher Mathematiker steht dem ganzen Zahlenzauber skeptisch gegenüber. So soll der berühmte deutsche Mathematiker Leopold Kronecker (1823–1891) im Jahr 1886 gesagt haben: »Die natürlichen Zahlen hat der liebe Gott gemacht. Der Rest ist Menschenwerk.« Ein sehr beliebter Aphorismus in unserer Gesellschaft, den wohl auch der zitierte Leser im Sinn hatte.
Die Wissenschaftler sind sich ansonsten aber einig. Ohne Mathematik geht in den Wissenschaften gar nichts. Bereits Galileo Galilei (1564–1642) meinte Anfang des 17. Jahrhunderts: »Die Mathematik ist das Alphabet, mit dem Gott die Welt geschrieben hat.« Genau diese Einstellung vertritt heutzutage der einflussreiche israelische Astrophysiker Mario Livio mit seinem Buch Ist Gott ein Mathematiker? Warum das Buch der Natur in der Sprache der Mathematik geschrieben ist.
WAS NATUR UND MATHEMATIK GEMEINSAM HABEN
Ist also die Natur reine Mathematik ewiger Wahrheit oder nur Menschenwerk und somit anfechtbar? Schauen wir uns die Natur an. Ein Vorschlaghammer fällt auf meinen Fuß. Autsch! Ist dieser Vorgang durch Zahlen getrieben? Wohl kaum, denn Zahlen symbolisieren nur etwas, sind aber nicht selbst dieses Etwas. Was den Fall des Hammers bestimmt, ist das Gravitationsgesetz F = mMG/r2. Es beschreibt, wie die Erde mit Masse M im Abstand r (hier Erdradius) auf die Masse m des Hammers einwirkt. Dabei ist G eine feste Konstante, die berühmte Gravitationskonstante. Solche Naturgesetze unterliegen der Logik (ich sage bewusst »der« und nicht »einer« Logik). Die Logik im Gravitationsgesetz ist nicht das Gravitationsgesetz selbst, sondern dass die Massen multiplikativ die gegenseitige Anziehungskraft bedingen. Das ist logisch, denn Multiplikation ist kommutativ, also 3 · 5 = 5 · 3 = 15. Das heißt, die mathematische Multiplikation gibt die Logik der Natur »Die Anziehungskraft von m auf M ist identisch zur Anziehungskraft M auf m« richtig wieder. Wie groß die Zahl für m oder M ist, ist dabei irrelevant, denn das Kommutativgesetz gilt für jede reelle Zahl, zum Beispiel auch für 1,11 · 2,22 = 2,22 · 1,11 = 2,46 42. Wie man sieht, ist also nicht die zahlenmäßige Beschreibung der Natur entscheidend, sondern ihre innere Logik, die von der Mathematik richtig wiedergegeben wird.
Ein anderes Beispiel. Was ist im Gravitationsgesetz die Logik hinter r2? Wir leben in einem dreidimensionalen Raum. Ohne auf Details, die die Physik inzwischen verstanden hat, einzugehen, verlangt die Natur, dass die Wirkung punktförmiger Größen (etwa Masse und Ladung) in einem n-dimensionalen Raum von der Form rn-1 sein muss. Daher muss in unserem dreidimensionalen Raum das Gravitationsgesetz mit r3-1 = r2 gelten! СКАЧАТЬ