Название: Schatten über Adlig-Linkunen
Автор: Dieter Janz
Издательство: Автор
Жанр: Исторические детективы
isbn: 9783944224008
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Sie schienen es jetzt verdammt eilig zu haben. Der erste kam mit einer Tasche zurück, sie rannten zu ihren Pferden, sprangen förmlich in die Sättel und galoppierten in die Richtung, aus der sie gekommen waren davon, das dritte Pferd im Schlepptau.
Es dauerte nicht lange, bis sie aus ihrem Blick verschwunden waren und das Geräusch der Pferdehufe verstummte. Anna konnte noch gar nicht erfassen, was sich hier abspielte, sie war mutterseelenallein mitten im Wald. Gott sei Dank wurde es immer heller und ihr kam die Umgebung irgendwie bekannt vor. Als sie sich gerade entschlossen hatte, aufzustehen und einen Weg zu suchen, fuhr ihr ein gewaltiger Schreck in die Glieder: Sie vernahm ein deutliches Knacken im Unterholz, dass eindeutig von einem Menschen oder einem großen Tier herrühren musste. Anna starrte wie gebannt in die Richtung, aus der es kam. Und plötzlich trat ein Mann aus dem Gehölz. Bevor Anna schreien konnte, sprach er sie mit einem freundlichen Lächeln an: „Sie sind Anna, nicht wahr?“
Auf Adlig-Linkunen herrschte eine nervöse Atmosphäre. Die Herrschaften Kokies waren die ganze Nacht aufgeblieben, ebenso Friedrich und Berta. Noch vor Anbruch des Morgengrauens hatte sich Wilhelm-Antonius entschlossen, eine Kutsche vorbereiten zu lassen, um sie in die Richtung der angegebenen Geldübergabestelle zu schicken. Als er Friedrich damit beauftragte, fragte dieser: „Kann ich mitfahren? Ich halte das untätige Sein nicht mehr aus. Ständig hat man das Gefühl, etwas unternehmen zu müssen, ohne zu wissen, was.“ „Selbstverständlich, Friedrich. Nehmen Sie einen bewaffneten Wildhüter mit!“ Und so machten sich der Kutscher, ein Wildhüter und Friedrich im Morgengrauen auf, in der Hoffnung, dass Anna nach der Übergabe des Geldes freigelassen würde und in der Nähe auftauchte. Friedericke, Maria und Berta zogen sich in den Salon zurück. An ein vernünftiges Gespräch war nicht zu denken. Dennoch bemühten sie sich, sich gegenseitig ein wenig aufzumuntern und vor allem Berta Halt zu geben, die vor Angst und Kummer keinen vernünftigen Gedanken zustande bekam. Maria erzählte von einigen lustigen Streichen, die Hannes, Anna und sie als Kinder gemacht hatten; es waren einige dabei, von denen ihre Eltern noch gar nichts gewusst hatten.
Während des Gesprächs teilte Maria mit: „Übrigens habe ich ein Telegramm nach Berlin an Hannes schicken lassen und ihn gebeten, nach Linkunen zu kommen. Er müsste also in den nächsten Tagen hier ankommen. Wenn er das Telegramm gestern noch erhalten hat, könnte er heute schon gegen Abend hier sein.“
„Das war sehr gut, Maria“, antwortete ihre Mutter. „Daran habe ich in all der Aufregung überhaupt nicht gedacht!“
„Aber ich …“
Plötzlich stand Wilhelm-Antonius in der Tür des Salons und musste trotz ihrer Situation amüsiert lächeln. „Da weiß die eine Hand nicht, was die andere tut. Jetzt hat Hannes zwei Telegramme von uns bekommen. Aber wir wissen jetzt auch, von wem unserer Tochter Vernunft und Weitblick geerbt hat!“
Jetzt musste sogar Berta lächeln und die Atmosphäre entspannte sich ein wenig. Wilhelm-Antonius ging zu Maria, nahm sie in den Arm und platzierte einen dicken Kuss auf ihre Wange. „Ich bin der festen Überzeugung“, fuhr er fort, „dass Sie, liebe Berta, Ihre Tochter auch bald wieder in die Arme schließen können.“
„Ich auch!“, bestätigte Friederike.
Man konnte Berta deutlich ansehen, wie gut ihr die Anteilnahme ihrer Dienstherren tat. Bei allem Unglück, das über ihre Familie gekommen war, hatten sie und Friedrich aber das große Glück, dass sie die Unterstützung der Familie Kokies genießen konnten. Das war alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Auch hochrangige Dienstboten wie Zofen oder Butler waren in der Regel bei der Bewältigung ihrer Probleme auf sich allein gestellt. Schlimmer noch, sie mussten eventuell sogar damit rechnen, entlassen zu werden, wenn sie aufgrund ihres Kummers ihrer Tätigkeit nicht mehr ordnungsgemäß nachgehen konnten und ihre Pflichten vernachlässigten.
Als Bouffier die Reiter kommen sah, bemerkte er, dass eine Frau dabei war. Er beobachte, wie sie anhielten, abstiegen, zielbewusst die deponierte Tasche holten und in aller Hektik wieder davonritten. Die junge Frau hatten sie zurückgelassen. Das konnte nur Anna sein.
Einerseits spürte Bouffier eine gewisse Erleichterung, andererseits ärgerte er sich über seine stümperhafte Vorgehensweise. Die Entführer konnten ungehindert entkommen; hätte er dafür gesorgt, dass er nicht alleine, sondern in Begleitung einer versteckten, berittenen und bewaffneten Eskorte in Lauer gelegen hätte, könnte man jetzt sofort die Verfolgung der Verbrecher aufnehmen. Er hatte nicht damit gerechnet, dass die Geisel direkt bei der Geldübergabe freigelassen würde, aber er hätte es in Erwägung ziehen müssen. Nichtsdestotrotz musste er sich jetzt um Anna kümmern. Er beeilte sich, aus seinem Versteck zu kommen, um sich ihr zu erkennen zu geben. Als er aus dem Unterholz heraustrat, bemühte er sich, sein beruhigendstes Lächeln aufzulegen und sagte: „Sie sind Anna, nicht wahr?“
Diese staunte ihn mit weit aufgerissenen Augen an, Angst stand ihr ins Gesicht geschrieben und deshalb fuhr er schnell fort: „Mein Name ist Peter Bouffier, Polizeileutnant; ich bin hier, um Sie nach Hause zu bringen.“ Anna brachte immer noch kein Wort heraus, aber ihre Anspannung löste sich etwas. „Können Sie ein paar Schritte gehen? Ich habe in der Nähe mein Pferd versteckt.“
Jetzt fand Anna ihre Sprache wieder: „Ja, ja ich glaube schon, ich will es versuchen. Auf keinen Fall möchte ich hier alleine gelassen werden, während Sie Hilfe holen. Sie sind doch alleine?“
Es war ihm sichtlich peinlich, als er dies bestätigten musste: „Ja, ich bin alleine hier, dummerweise!“
Aber Bouffier hatte nicht an den treuen Hauptwachtmeister gedacht. Gustav Hinrich tauchte plötzlich ebenfalls auf. Er hatte sich zwar nach dem Deponieren des Lösegeldes zurückgezogen, dann aber ebenfalls ein Versteck gesucht und auf der Lauer gelegen.
„Offensichtlich habe ich mich geirrt, das ist Hauptwachtmeister Hinrich“, stellte Bouffier ihn Anna vor und wandte sich ihm dann zu. „Freut mich, dass Sie auch hier sind. Dann muss Fräulein Doepius nicht zu Fuß gehen, wenn Sie die Pferde holen. Wir warten hier so lange.“
„Wird sofort gemacht, Chef“, antwortete Hinrich und machte sich umgehend auf den Weg.
„Anna, Sie sind jetzt frei, ich verbürge mich für Ihre Sicherheit.“
„Danke, ich…, ich…“
„Sie brauchen jetzt nichts zu sagen“, unterbrach sie Bouffier. „Sie werden uns später sicher jede Menge zu erzählen haben. Aber jetzt kommen Sie erst einmal zur Ruhe. Wir sehen jetzt zu, dass Sie so schnell wie möglich nach Hause kommen. Hinrich wird Sie führen, Sie können sein Pferd benutzen; ich werde vorausreiten und auf Adlig-Linkunen die gute Nachricht Ihrer Freilassung verkünden. Ihre Eltern werden über alle Maßen erleichtert sein!“
Anna konnte auf einmal entspannt lächeln, während ihr gleichzeitig ein paar dicke Tränen die Wange herunterkullerten. Bouffier trat an sie heran, legte einen Arm auf ihre Schulter und sagte leise, ebenfalls lächelnd: „Es ist vorbei, Anna, der Albtraum ist vorüber, Sie werden bald wieder zu Hause sein; freuen Sie sich auf Ihre Eltern!“
„Und auf Maria; geht es ihr gut, ist sie verschont geblieben?“
„Ja, es geht ihr gut. Es geht allen gut in Linkunen, und es wird allen noch besser gehen, wenn man von Ihrer Freilassung erfährt!“
Inzwischen war Hinrich mit den Pferden СКАЧАТЬ