Название: Wenn die Götter auferstehen und die Propheten rebellieren
Автор: Oliver Glanz
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783815026182
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4. Zweisein-Einssein (Vers 24 - 25): Der Schöpfungsbericht endet dann mit einem Höhepunkt, der das Wesen menschlichen Lebens noch einmal auf den Punkt bringt: Nacktheit und Einheit. Die Sinnhaftigkeit des Lebens realisiert sich überall da, wo man seinem Mitmenschen alles sein kann, was man wirklich ist. Es gibt keine Scham, Zurückhaltung oder Unsicherheiten. Dabei wird man nicht nur akzeptiert, sondern so verstanden, dass man mit dem anderen eine Einheit formt. Der Sinn des Lebens besteht auf der einen Seite darin, vom »Du« verstanden zu werden und akzeptiert zu sein, und auf der anderen Seite darin, das »Du« zu verstehen und akzeptieren zu können.
Die Berichte aus Genesis 1 und 2 sprechen eine einheitliche Sprache: Der Mensch findet seine Existenz erst in der Begegnung mit einem Du. Diese Tatsache dominiert sein Sein noch mehr als seine Fähigkeit zu herrschen und kreativ zu sein. Das »Ich« (1. Person-Perspektive) mit seiner von Gott gegebenen subjektiven Macht (Herrscher über die Lebewesen, Schöpfer von Nachkommen) wird erst in der »Du«-Begegnung sinnvoll, denn erst da entsteht überhaupt ein Bewusstsein vom »Ich«. Das »Er/Sie/Es« (3. Person-Perspektive) mit seinen durch den Menschen unbeeinflussbaren Begrenzungen (z. B. Rhythmus von Tag und Nacht) wird auch erst in der »Du«-Perspektive sinnvoll. Denn der natürliche, objektive und allgemeingültige Rahmen, in den der Mensch eingebettet ist, ermöglicht die Bühne, auf der die »Ich-Du«-Begegnung stattfinden kann.
Diese Schlussfolgerung hat verschiedene weitreichende Folgen für den modernen Götterstreit. Der Ursprung menschlichen Lebens lässt sich nicht von irgendwelchen Prozessen und Gesetzen ableiten, die in der geschaffenen Wirklichkeit entdeckt werden können (biologische Gesetze, psychologische Prozesse, etc.), sondern nur unmittelbar vom Willen JHWHs. Des Weiteren ist der Sinn menschlichen Lebens nicht im Kampf ums Überleben (Biologismus/Evolutionismus), im Fortschritt (Ökonomie) oder anderen Aspekten (Physik, Chemie, etc.) des Lebens zu suchen, sondern vor allem in der zwischenmenschlichen Begegnung mit dem »Du«. Zwei biblische Beispiele sollen das verdeutlichen:
1. Sexualität:
Der Höhepunkt des Schöpfungsberichtes in Genesis 2 wird nicht durch das Nennen der Fähigkeit zur Fortpflanzung erreicht, sondern durch poetische Erwähnung der Fähigkeit, mit einem anderen Mitmenschen »eins zu werden« und ihm gegenüber »nackt zu sein«. Das ist dann wohl auch der Grund, warum Sexualität in der Bibel nicht als Methode der Existenzsicherung verstanden wird (Evolutionismus/Biologismus), sondern als Ausdruck eines Erkenntniserlebnisses im Ich-Du-Verhältnis (z. B. Genesis 4,1). Sexualität wird dann auch dort verpönt und verurteilt, wo sie nicht in diesem existenziellen Ich-Du-Verhältnis stattfindet, wo das Leben sich vom andern abhängig darstellt (siehe עֵזֶר erster Punkt unter 4.3). Sexualität im unpersönlichen Ich-Er/Ich-Sie-Verhältnis, in der die Unabhängigkeit vom anderen bewahrt bleiben soll, ist Prostitution. Und so wird auch die ganze biblische Partnersuche dominiert durch das Ideal, jemanden zu finden, dem man ganz begegnen kann.
2. Sabbat:
Der Höhepunkt des Schöpfungsberichtes in Genesis 1 findet seinen Ausdruck im Sabbat. Für den Höhepunkt der Schöpfung steht das Aufhören von Arbeit und das Ende der Produktivität. Der Sabbat wird dann auch zu einem Tag, an dem die Arbeit nicht im Vordergrund stehen darf, sondern die Gemeinschaft des Menschen mit seinem Mitmenschen, den Tieren und Gott. Die Botschaft dabei ist deutlich: Nicht die Ökonomie soll das Leben beherrschen, sondern die barrierefreie Begegnung mit dem Du. Der erholsame Sabbat dient nicht dazu, in der Woche noch produktiver zu sein, sondern vielmehr dient die Woche dazu, am Sabbat genug Essen und Trinken zu haben, sodass der Ich-Du-Begegnung keine Arbeit mehr im Weg stehen muss. Das Gleiche gilt für das Sabbatjahr und Jubeljahr. Ziel ist kein ökonomischer Fortschritt, sondern das Erreichen einer zwischenmenschlichen Tiefe. Und so lässt sich verstehen, dass vor allem im Alten Testament Erlösung nicht so sehr als Befreiung von Tod und Leid verstanden wird, sondern als die Wiederherstellung der Fähigkeit, dem anderen im Bund, als vertrauenswürdiger und vertrauensweckender Mitmensch (Nacktheit) zu begegnen. Das mag auch der Grund dafür sein, weshalb die Überwindung des Todes im Alten Testament kaum Beachtung findet, sondern die Wiederkunft des Messias, der wieder die Begegnung von Mitmenschen in einer aus der sozialen Balance geratenen Welt ermöglicht. Tod ist nicht so sehr der physische Tod, sondern der Verlust der Mitmenschlichkeit (siehe Genesis 3).
Da, wo sensibel über das Leben nachgedacht wird, wird es im biblischen Text gespiegelt. In Wahrheit ist es doch so, dass mein Leben Bedeutung und Identität bekommen hat, weil meine Eltern mich Oliver nannten, weil meine Mutter sagte, dass sie stolz auf mich ist, weil mein Vater mich irgendwann aufs Fahrrad setzte, mich anschubste, hinter mir her rannte und rief: »Du schaffst das schon, ich bin bei dir! Du schaffst das schon! Schön geradeaus sehen!«
Dein Leben hat Bedeutung bekommen, weil es da im Rahmen der 3. Person (räumlicher, kinematischer, energetischer, psychischer, Seins-Aspekt), immer schon die 2. Person gab, die dir als 1. Person Bedeutung gegeben hat. Und da, wo durch Scheidung, Tod und Trennung das Du entzogen wird, hat sich schon immer diese tödliche Leere eingestellt.
4.4 Problembehandlung: Vom biblischen Alltagsdenken zum Theoriedenken
Nach der Lektüre von Genesis 1 und 2 wird kein moderner Leser behaupten, dass es sich hier um einen wissenschaftlichen Bericht im Sinne des Theoriedenkens handelt. Das moderne Subjektivismus-Objektivismus-Problem, das aus dem Theoriedenken kommt, scheint weiterhin ungelöst. Der Schöpfungsbericht reflektiert ein Denken, das nur im Alltagsmodus stattfindet. Dinge (Sonne, Mond) und Phänomene (Licht, Dunkelheit) werden voneinander unterschieden (und wieder in einen Zusammenhang gebracht, d. h. synthetisiert), nicht aber Seinsaspekte (energetischer oder biotischer Seinsaspekt). Auf der einen Seite ist das gut, da jeder Mensch im Alltag lebt und denkt, und damit alle Leser, ob klein oder groß, alt oder jung, studiert oder unstudiert, diesen Text verstehen können. Aber auf der anderen Seite stellt das auch eine Herausforderung dar: Das moderne Problem entsteht vor allem im Mikroskopmodus des Denkens (siehe Reflexion 3), wenn zuvor Unterschiedenes wieder synthetisiert werden muss. Jede moderne Synthese ist dabei reduktionistisch und hat den Menschen entweder in den Subjektivismus oder in eine der vielen Varianten des Objektivismus geführt. Wie aber soll im Theoriedenken eine Synthese erstellt werden, die sich vom biblischen Schöpfungsbericht beeinflussen lassen will? Wie soll sich die Wahrnehmung, dass da, wo JHWH die Gottesrolle übernimmt, das Leben und Sein nicht durch die 1. Person-Perspektive und nicht durch die 3. Person-Perspektive, sondern durch die 2. Person-Perspektive dominiert wird, auf das Theoriedenken auswirken? Wie kann ein christlicher Biologe die Welt sehen, ohne dabei in seiner Suche nach Objektivität evolutionistische Gedanken zu entwickeln? Wie kann ein christlicher Historiker die Welt sehen, ohne dabei relativistisch im Sinne von Zeitgeistentwicklungen zu reden?
In der nächsten Reflexion wird diesen Fragen nachgegangen und versucht, mit dem biblischen Bild von der Wirklichkeit das Theoriedenken zu beeinflussen.
4.5 Klärung
Wir sind es gewohnt, entweder aus der 1. Person-Perspektive oder СКАЧАТЬ