Название: Jetzt mal ehrlich ...
Автор: Adrian Plass
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783865065377
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Wir maßen uns nicht an, o barmherziger Herr, im Vertrauen auf unsere eigene Gerechtigkeit an diesen deinen Tisch zu treten, sondern im Vertrauen auf deine vielfältige und große Gnade. Wir sind es nicht wert, auch nur die Krumen unter deinem Tisch aufzusammeln. Doch du bist derselbe Herr, dem es zu eigen ist, immer barmherzig zu sein ...
Prunkvolle Prosa. Ich liebe das. Aber eines ist komisch. Heutzutage komme ich am besten mit den beiden Extremen zurecht: entweder mit schön geschriebener, von Herzen kommender Prosa wie dieser oder mit einer wortlosen, gedankenverlorenen Erwartung der undefinierbaren, seltsam alltäglichen Gegenwart Gottes. Zwischen diesen beiden Polen gibt es Formen des Christentums, die mich in Angst und Schrecken versetzen. Die schlimmsten sind zusammengeflickt aus schwammigen Worten, blutleerem Optimismus und einem überwältigenden Verlangen, sich innerhalb von Grenzzäunen zusammenzukauern, die so niedrig sind, dass man über sie stolpern könnte, wenn man es je wagte, ihnen dafür nahe genug zu kommen.
Formell oder informell: So könnte man die beiden Ausdrucksformen etikettieren, die mich ansprechen. Aber auch darin schlummern Gefahren. In letzter Zeit war ich gezwungen, eine Menge darüber nachzudenken.
In dem christlichen Zentrum, in dem ich arbeite, ist in letzter Zeit viel von Marketing die Rede. Wie verkauft man ein Produkt, das im Kern aus dem Wirken des Heiligen Geistes an Menschen in Not besteht (oder bestehen sollte?). Die Frage lässt sich nicht leicht beantworten, wenn man an das ewige Problem der Balance zwischen finanzieller Machbarkeit und geistlicher Authentizität denkt. Aber eine Bemerkung, die dazu gemacht wurde, hat mich besonders getroffen. Jemand schlug vor, um möglichst viele Spenden zu erzielen und unseren Status in der christlichen Szene aufzubauen, solle das äußere Gesicht des Zentrums einen formelleren, selbstbewussteren Ausdruck dessen präsentieren, was wir sind und was wir zu bieten haben:
Wir sind eine ökumenische und zweckbestimmte Kommunität in der Tradition der neuen Klosterbewegung ...
Gleichzeitig sollte durch Kanäle wie z. B. Blogs das „ungezwungene“ Gesicht von Scargill gezeigt werden. Als ich zum ersten Mal davon hörte, zuckte ich mit den Achseln und nickte und gab ein zustimmendes Grunzen von mir, wie man das so macht. Aber später ging mir ein Licht auf. Moment mal, dachte ich, unser ungezwungenes Gesicht ist doch das, was wir in Wirklichkeit sind. Die langen Nächte, in denen wir uns grollend oder verwirrt über das Verhalten anderer in der Kommunität die Haare raufen oder uns mit Schuldgefühlen über unser eigenes Verhalten martern. Die Augenblicke grenzenlosen Staunens, in denen Gott in einen kalten, dunklen Raum eindringt und das Wunder vollbringt, dass im Leben eines Menschen Wärme und Licht entstehen. Die zermürbende, Angst einflößende Verpflichtung, wirklich ehrlich zu sein und einen Bogen um alle Klischees zu machen, während man eine Frau unter Tränen von drei Fehlgeburten, einer Totgeburt und einer anschließenden Leberkrebsdiagnose erzählen hört – eine Frau, die gebetet und gebetet und gebetet hat, bis ihr keine andere Wahl mehr blieb, als entweder den Glauben aufzugeben oder dem Gott zu vertrauen, der sie so enttäuscht hat, was immer er in Zukunft für sie tun oder nicht tun mag. Das Gelächter und die Geselligkeit, die oft und wirkungsvoll genug an diesem Wort widerhallen, um in uns die Zuversicht wach zu halten, dass Freundschaft und Humor in sich schon Gebete und Gebetserhörungen sind. Und auch die Momente, in denen man sich nur weit weg von hier wünscht.
Es ist ein heiliges Durcheinander, Jeff, dieses Gesicht, das wir haben. Eher interessant als schön. Und es erinnert mich an das Wirken Jesu. Er sperrte sich standhaft gegen jede künstliche Formalität, wie sehr sich andere auch bemühten, ihm ein Königtum oder falsche Konsequenz oder den manipulativen Gebrauch seiner Wundermacht aufzudrängen. Sein Herz wurde schwer, er weinte, er wurde vom Kummer nahezu erdrückt, er erlebte Enttäuschungen und war oft geschockt. All das war ebenso real und ebenso sehr Teil seines Lebens wie die Heilungen, die guten Zeiten mit seinen Freunden und die Belobigungen seines Vaters.
Das ist der Ausdruck auf seinem Gesicht, und so werden auch uns die Leute sehen, wenn wir es je so weit bringen, wirklich sein Leben widerzuspiegeln. Jesus hatte ein miserables Marketing, und er veränderte die Welt.
Hast Du Lust auf ein Bier, Jeff?
Liebe Grüße,
Adrian
SECHS
Lieber Adrian,
ja, es wäre großartig, ein Bier miteinander zu trinken (oder besser noch jeder von uns eines).
Nachdem ich Deinen letzten Brief dreimal gelesen hatte (er löste ein eigenartiges Gefühl der Erleichterung in mir aus), habe ich noch etwas weiter darüber nachgedacht, woran es wohl liegt, dass ich immer mehr Geschmack an Liturgie finde. Ich glaube, es ist Folgendes: Die Worte der Glaubensbekenntnisse sind fest und zuverlässig, ohne in Klischees zu verfallen. Natürlich sind es nur Worte, und somit haben sie ihre Grenzen. Wenn man versucht, Gott zu beschreiben, ist das etwa so, als wollte man den Mond mit Schneebällen treffen, findest du nicht, Adrian? Mehr als sieben oder acht Meter hoch werden wir die Schneebälle wohl kaum auf die Reise schicken, und das ist praktisch nichts, wenn man bedenkt, dass der Mond rund 400000 Kilometer von uns entfernt ist. Wenigstens sind die Worte der Glaubensbekenntnisse ein guter Anfang.
Es gibt viel zu viele wabbelweiche Wörter auf der Welt – und nicht zuletzt in der christlichen. Du hast schon einmal erwähnt, dass Gott keinen Wert auf diese öden, farblosen Blumen von der Tanke legt. Ich habe so eine Theorie, dass er auch keine Gartenmöbel aus Plastik mag. Weißt Du, welche ich meine, Adrian? Man lässt sich auf einen dieser weißen Plastikstühle nieder und merkt gleich, dass sie beängstigend wackelig sind, und aus dem netten Päuschen im Garten mit einem Pimm’s mit Limonade und Eis wird nichts, weil man unversehens auf der Terrasse eine Rolle rückwärts macht.
Die moderne Technik und insbesondere die sozialen Netzwerke machen es möglich, dass ständig Millionen von Wörtern zirkulieren, und manche der Klischees, die regelmäßig unter Christen die Runde machen, bringen mich schier zur Verzweiflung. Erst heute ist mir das wieder passiert. Bei Facebook postete heute Morgen jemand: „Glaube heißt nicht zu glauben, dass Gott etwas tun kann, sondern zu glauben, dass er etwas tun wird!!!“ Die drei Ausrufezeichen zeigten die atemlose Begeisterung, mit der diese Äußerung abgesetzt wurde – und all das raubt mir in der Tat den Atem. Man braucht nur eine einzige Gehirnzelle kurz in Gang zu setzen, um zu merken, dass das völliger Quatsch ist. Falls Gott uns nicht unmissverständlich über seine exakten Zukunftspläne informiert (was in der Regel bedeutet, dass er einen Engel mit einem Newsflash auf die Reise schickt, und das kommt äußerst selten vor), wissen wir meistens einfach nicht, was er als Nächstes tun wird, und wenn wir etwas anderes behaupten, ist das nichts als hohle Anmaßung. Gott hat es so an sich, dass er Gott ist, und auch wenn ich mich aufblase und so tue, als wüsste ich, wie diese Krebsbehandlung oder jene Familienkrise ausgeht, weiß ich es in Wirklichkeit eben nicht. „Glaube“ von der Art, Gott herumzukommandieren oder zu einem Flaschengeist zu machen, ist äußerst unzuverlässig und dazu verdammt, genauso zusammenzubrechen wie jener Plastikgartenstuhl, in den meine wohlbeleibte Tante Gladys ihren umfangreichen Hintern zu pflanzen versuchte. Die Glaubensbekenntnisse hingegen haben etwas beruhigend Antiquiertes und Solides an sich, wie Eichenholz. Sie haben sich durch eine lange Zeit hindurch bewährt. Millionen Menschen haben sich mit ihrem ganzen Gewicht auf sie gestützt, und sie haben unverrückbar gehalten.
Gedanken darüber gemacht, wie wir das Christentum „vermarkten“. Besondere Sorgen mache ich mir wegen des verbreiteten Marketingversprechens, wer Jesus folge, werde infolgedessen stark sein. Manchmal sehe ich Werbeanzeigen für Konferenzen, bei denen ich am liebsten СКАЧАТЬ