Название: Der Sound Gottes
Автор: Rainer Bayreuther
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783532600849
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Die blauen Karten
Auf der blauen Überschriftenkarte steht „Vom Ich zum Du“. Wenn Ihnen das zu gestelzt vorkommt, schreiben Sie „Gemeinsam singen“.
– Das g-Wort fällt in jedem Gottesdienst, meistens auch beim Singen. Die Gemeinsamkeit ist dem Singen vorgeordnet. Aber nicht nur dem Singen, es gibt „auch gemeinsame passive Praktiken wie das Hören, das Hier-Sitzen und das Schweigen“.
– Zugleich ist das Gemeinsame dem Singen nachgeordnet. Kirchenmusik „schult eine elementare Hör- und Ausdrucksfähigkeit, die immer auch Hör- und Ausdrucksfähigkeit füreinander ist“. Dass beim Singen das herauskommt, was wir einen Spiegelstrich weiter oben in das Singen hineingesteckt haben, sollte nicht weiter beunruhigen. Es ist oft so in der Theologie, dass man mit viel Hallo und Halleluja die Ostereier findet, die man vorher selber versteckt hat.
– Beim Thema Corona empfehle ich vorerst abzuwiegeln. Es bringt nichts, jetzt schon das Pest-oder-Cholera-Dilemma zu thematisieren, in dem die Kirche steckt, entweder mit dem Gemeinschaftsmantra aufzuhören oder Corona zum Teufelswerk zu erklären.
Die grauen Karten
– Wieder macht Luther den Aufschlag: Kirchenmusik ist eine „Lehrmeisterin“. Weniger altmodisch gesagt, sie „nimmt einen Bildungsauftrag wahr“. Man internalisiert alles sofort und ohne Zeigefinger. „Musik beeinflusst unser Fühlen und Denken, sie kann Worte und Ideen weitertragen.“ Sieht man die Sache so, dann kommt es freilich darauf an, welche Worte man der Musik auf die Pritsche packt. Daher sollte man die Kirchenmusik nie nur den Musikern überlassen. Denen ist das nämlich herzlich egal.
– Kirchenmusik „kann auch zum äußeren Frieden beitragen.“ Dieser Klassiker aller musikalischen Sonntagsreden darf in der Kirche nicht fehlen. Aber das ist freilich mit Arbeit verbunden. „Die kirchenmusikalischen Arbeitsformen beteiligen sich vielfältig an dieser friedensstiftenden Kulturarbeit.“ Auch der Krieg allerdings ist ein beliebter Reiter der Musik. Sogar einer, der weniger Arbeit macht.
– „Musik ist nicht selbst göttlich, sie dient Gott – und sie dient darin zugleich den Menschen.“ Das „zugleich“ ist ein astreines Theologenwort. Aber bevor uns die dicken Bücher wieder in den Sinn kommen und Schläfrigkeit uns übermannt, wollen wir den Gedanken heute nicht weiter vertiefen.
– „Musik in der Kirche ist eine Form des Gottesdienstes.“ Bevor daraus jemand freche Schlüsse zieht, sei hinterhergesagt, dass „aller Einsatz von Musik daran gemessen werden muss, ob er wirklich dem Gottesdienst dient oder andere Ziele verfolgt.“ Unlogisch? Egal, wir sitzen doch im Stuhlkreis und nicht im Oberseminar Analytische Ontologie.
Die gelben Karten
– Beginnen Sie ganz niederschwellig: „Das Singen der Lieder hat eine sinnlich belebende Wirkung.“ Saul und David, Sie kennen die Geschichte. Das Thema ist perfekt geeignet, die Verspanntheit der Kirchenmusik zwischen Gott, Mensch, Himmel und Hölle herunterzubrechen auf Workshopformat.
– Die folgenden Wirkungen der Musik bedürfen gegebenenfalls der fachmedizinischen Begleitung: „Musik kann trösten, aus Verbitterung und Trauer herausreißen und zum Leben umstimmen. Sie kann […] Traumzeiten stimulieren, Verkrampfungen und Ich-Fixierungen lösen und Beziehungen stiften.“ Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker. Und beachten Sie, dass eventuell Gebühren der Partnervermittlungsagentur anfallen.
Die grünen Karten
– Kirchenmusik „schult eine elementare Hör- und Ausdrucksfähigkeit“. Dass sich bei den Begriffen Schulen und Fördern die Propheten des Alten Testaments und gottbegnadete Musiker wie Mozart im Grab herumdrehen, können wir jetzt gelassen kontern: Wir haben das Heft des Handelns wieder in der Hand. Wir tun was, anstatt ehrfurchtsvoll und folgenlos vor den Heroen zu erstarren.
– „Musik fördert Klugheit, soziale Kompetenz, Kreativität und Gemeinschaftsfähigkeit.“ Kürzer und kirchlicher: „Lieder fördern Geist und Seele.“ Wer jetzt rückfragt, was Klugheit, Sozialkompetenz und Kreativität nochmal genau mit dem Christentum zu tun haben, dem antworten Sie: Selbstverständlich sind diese Skills auch im normalen Leben von Vorteil. Es geht um Dienst. Es geht darum, sie in den Dienst Gottes und des Gottesdiensts zu stellen. Und dazu dient am Ende auch die Musik. Musik wäre hier also ein Gottesdienst-Dienst-Dienst.
– Musik für den Weltfrieden, zu hoch gegriffen? Dann brechen wir es halt herunter. Das ist doch der Sinn der bunten Kärtchen. „Musik als ein in vielfacher Hinsicht ganzheitliches Tun kann auch zum äußeren Frieden beitragen. Das geschieht vorrangig indirekt, indem Musikerziehung solche Persönlichkeitsmerkmale fördert und ausbildet, die als Grundkompetenzen friedvollen Verhaltens gelten können: die Fähigkeit, einander zuzuhören, sich in andere einzufühlen (Empathie), überhaupt Gefühle zeigen und ausdrücken zu können, dabei auch die Verschiedenheit der Menschen und der Begabungen auszuhalten und sich in gemeinsame Projekte einzuordnen.“
1.4 Der Wort-Wahn-Witz der Kirchenmusik
Wittenberg im Jahr 1533. Ein junger Musiker namens Nicolaus Listenius, um 1500 in Hamburg geboren, bringt im Verlag Georg Rhau ein schmales Büchlein mit dem Titel Rudimenta musicae heraus, auf Deutsch: Elemente der Musik. Es ist ein Musiklehrbuch für die Oberstufe im Gymnasium. Listenius hat 1531 die Artistenfakultät der Universität Wittenberg mit dem Magister abgeschlossen. Dort studiert man nicht bei irgendwem, man studiert bei Professor Melanchthon. Doktor Martin Luther hat seinen Lebensmittelpunkt in Wittenberg und geht an der Artistenfakultät ein und aus. Melanchthon geht bei Familie Luther ein und aus. Und Rhau ist nicht irgendeine Druckerei, sie ist der Herzmuskel der Reformation. Gewichtige Texte wie die Augsburger Konfession oder Luthers Großer Katechismus pumpt sie in großer Auflage durch die deutschen Lande. Auch das Büchlein des Listenius geht gleichsam viral. Es erlebt über 50 Auflagen und wird zum Standardlehrbuch im gymnasialen Musikunterricht. Unzählige protestantische Kantoren bis in die Bachzeit lernen in ihrer Schulzeit selber daraus und bringen ihren Schülern Musik aus „dem Listenius“ bei.
In der Einleitung schreibt er einige unscheinbare Sätze, nichtsahnend, dass sie epochal werden würden. Wenn der „Practicus“, der ausübende Musiker, seine Arbeit beendet habe, bleibe kein Werk übrig. Die Musik hat sich in Schall und Rauch aufgelöst. Der „Poeticus“ aber, der Komponist, hinterlasse nach getaner Arbeit ein Opus. Ein „opus perfectum et absolutum“, wie es in späteren Auflagen heißt, was die Deutungen ins Kraut schießen ließ, welche Unsterblichkeit Listenius da den Werkchen des deutschen Dorfkantors wohl attestieren wollte. Es meint schlicht ein Stück Musik, das festgehalten wird durch Aufschreiben, Vervielfältigen und Wiederaufführen. Die evangelischen Kirchenmusiker, die in den folgenden Jahrzehnten diese Sätze lesen, lassen sich das nicht zweimal sagen: Sie hinterlassen Werke, und zwar zu Hunderten und Tausenden.
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