Der verborgene Dämon. Detlef Amende
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Название: Der verborgene Dämon

Автор: Detlef Amende

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежная классика

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isbn: 9783961456796

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СКАЧАТЬ Direx erklärte, dass seit mehreren Wochen in Deutschland die asiatische Buschmücke gehäuft aufgetreten ist, sich nun mit hoher Geschwindigkeit vermehrt und weiter schnell ausbreitet. Diese Mückenart überträgt das Virus des sogenannten Dengue-Fiebers, an dem man sterben kann. Und Elvis war von solch einer Mücke gestochen worden. Da niemand mit diesem Krankheitsbild rechnete, obwohl - was wir Kinder nicht wussten - das Robert-Koch-Institut Monate zuvor eine bundesweite Warnung herausgegeben hatte, war Elvis falsch behandelt worden und ist dann an den Folgen des Mückenstiches erkrankt. Wir sollten sie nicht mehr wieder sehen … Doch nun ging die Angst um an der Schule. Freiwillig setzten die meisten Schüler auch an anderen Schulen und auch in den höheren Klassen schon im September die Kapuzen ihrer Anoraks auf. Unsere Blicke streiften jeden Morgen vor Unterrichtsbeginn alle Wände des Klassenraums, ob sich nicht eines von diesen „Aliens“ auf die Lauer gelegt hätte und gnadenlos zu töten wäre. Jedenfalls waren wir Schüler aufgefordert worden, unsere Augen offen zu halten und jeden noch so kleinen Vorfall sofort zu melden. So war auch meine Aufmerksamkeit in diesen Herbstwochen des Jahres 2024 – außer immer noch auf das Lernen – hauptsächlich auf die unmittelbare Umgebung gerichtet und ich bekam nur am Rande oder über Gesprächsfetzen meiner Eltern mit, was sich draußen in der großen weiten Welt so alles abspielte.

      Schon im Frühjahr war auf vormals irakischem Gebiet das wahhabitische Kalifat ausgerufen und in den nördlichen Restgebieten der Region das freie Kurdistan gegründet worden. Das Nebeneinander des Kalifats mit dem amerikanischen Protektorat verlief seltsamerweise recht konfliktfrei und der Handel entwickelte sich prächtig. Warum Russland diese Konstellation hinnahm, stiftete in der Welt zwar Verwunderung, aber dieses Wohlwollen hatte seine Gründe, wie sich einige Jahre später herausstellen sollte. Europa wusste wieder einmal nicht, wie auf diese unklare Gemengelage zu reagieren sei und verfiel erneut in einen tiefen Streit über das weitere Vorgehen zur Sicherung der eigenen Energiebasis. Im Ergebnis dieser verbittert geführten Auseinandersetzung riefen Polen, Ungarn, die Slowakei und Österreich gemeinsam den Artikel fünfzig des EU-Vertrages auf und traten aus der Europäischen Gemeinschaft aus. Interessanterweise hatte dies lediglich eine Entspannung des Brüsseler Haushaltes nach sich gezogen und blieb zunächst ohne direkte politische Folgen.

      Im Jahr danach wurde die „Lichtsekte“ immer mächtiger. Sie umfasste bald mehr als fünfhundert Millionen Mitglieder und war mittlerweile von Teilen der Scientology-Bewegung unterwandert worden. In einem Akt der Verzweiflung hatten sich nach langwierigen Geheimverhandlungen der Papst, der oberste islamische Gelehrte der Universität Kairo, die orthodoxen Patriarchen und israelischen Oberrabbiner auf eine gemeinsame Position geeinigt und zusammen mit der evangelischen und anglikanischen Kirche die Grundsatzerklärung ‚Kehret um‘ veröffentlicht. Darin wurden die Menschen inständig dazu aufgerufen und ermutigt, auf den Pfad der Tugend und der Vernunft zurückzukehren und sich der Bewältigung der Gegenwartsprobleme zuzuwenden, anstatt irrationalen Heilsversprechen zu folgen. Dem schlossen sich der iranische Wächterrat, die Führung der kommunistischen Partei Chinas sowie die Staaten Tadschikistan, Finnland, Uruguay und Gambia an. Trotz aller medialen Aufmerksamkeit, die das Papier weltweit erlangte, half aber auch dieser Versuch nichts mehr. Das geschätzte Vermögen der „Lichtsekte“ war im Jahr 2025 auf über achthundert Milliarden Dollar angewachsen und ermöglichte deren grauen Eminenzen, massiv Einfluss auf die anstehende US-Präsidentschaftswahl auszuüben. So wunderten sich nur wenige, dass dieses Mal ein religiöser Fanatiker in das Amt des bis dahin mächtigsten Politikers der Welt gehoben wurde. Eine seiner ersten Amtshandlungen bestand darin, die immer noch in Streit stehenden Spratly-Inseln im Südchinesischen Meer in einer Nacht- und Nebelaktion militärisch zu besetzen, um auf das zwei Jahre zuvor erlassene Exportverbot Chinas für seine einheimischen Waren zu reagieren. Die Bedeutung all dessen konnte ich selbst als Sechstklässler nicht annähernd einschätzen. Mama und Papa hatten tagelang nur noch Nachrichten verfolgt, wenn sie nicht auf Arbeit oder zum Einkaufen waren und entsprechend besorgte Mienen aufgesetzt. Ich sprang auch ganz aufgeregt umher und natürlich fragte ich, was denn los sei und wie das alles zusammenhänge. Sie erklärten alles geduldig, aber vieles – insbesondere die Hintergründe der akuten Gefahr – blieben mir schleierhaft. Wann würden die Chinesen zurückschlagen? Das kann nicht gut gehen. Würden sie Amerika mit Atomwaffen angreifen? Aber China griff trotz der Versetzung seiner Streitkräfte in den höchsten Alarmzustand und der Anordnung der Generalmobilmachung nicht ein, sondern brach stattdessen wenige Tage später die diplomatischen Beziehungen zu den USA vollständig ab. Deren Ansehen in der Welt war durch diese Aktion endgültig ins Bodenlose gerutscht. Die britischen und französischen Abfangjäger, die – ebenfalls mit Atomwaffen bestückt – mit schon laufenden Motoren in den europäischen Hangars bereitgestanden hatten, wurden wieder geparkt und unter ihren Planen versteckt. Man atmete auf und auch ich atmete mehrfach gut hörbar durch, obwohl ich nichts verstanden hatte. Nur die Bilder der zerstörten Städte in Syrien kamen mir erneut in Erinnerung.

      Und dann wurde es Zeit, sich einer anderen Großwetterlage zuzuwenden, denn „Silke“ kam. Das Tiefdruckgebiet mit dem sympathischen Namen braute sich in den Wochen, in denen alle Aufmerksamkeit auf das Südchinesische Meer gerichtet war, fast unbemerkt über dem Atlantik zusammen. Durch das warme Ozeanwasser konnte das Tief Unmengen an Energie aufnehmen und war völlig unerwartet binnen weniger Stunden nach Osten bis an die europäische Westküste herangezogen. Am Abend zuvor flimmerten die eindringlichen Warnungen des Deutschen Wetterdienstes und die Aufforderung der Bundesregierung, die Bevölkerung solle zuhause zu bleiben und sich schützen, über die Mattscheibe. Den Eltern wurde angst und bange. Ich dagegen freute mich diebisch über einen schulfreien Tag und war gespannt, was passieren würde. Morgens gegen acht – tatsächlich wehte bereits ein sehr kräftiger Wind – fuhr Papa in den Baumarkt, um einige Holzbohlen zu kaufen, mit denen er die großflächigen Fenster unseres Hauses zu sichern gedachte. Aber es war nichts mehr zu holen. Er versuchte sein Glück in einem weiteren Baumarkt, aber hier hatten die Leute bereits in den Nachtstunden die verschlossenen Türen mit Gewalt aufgebrochen und den ganzen Laden gestürmt und ausgeräumt. Entnervt und wütend wegen der Verkehrsstaus in der Stadt und der Vergeblichkeit seiner Bemühungen kam er erst am späten Vormittag zurück. Derweil herrschte richtiger Sturm mit extremen Windstößen und uns blieb nur, die Gartenmöbel zu sichern und mit ein paar zusätzlichen Schrauben den Carport zu verstärken. Überall in der Nachbarschaft rannten die Leute mit zerzausten Frisuren umher, trugen irgendwelche Gerätschaften beiseite oder werkelten wie besessen an ihrem Hab und Gut. Gegen Mittag verdunkelten sich die Wolken immer mehr und die Orkanböen wurden unberechenbar. Unter verwehten Haaren und Klamotten zog Mama unterdessen mit letzter Kraft ein Fahrrad und einen alten Blumentopf ins Haus. Die Leute ringsum waren plötzlich alle verschwunden und schon flog mit einem großen Knall die Haustür ins Schloss. Papa rief mich. Alle im Haus? Gut. Der Himmel war mittlerweile fast schwarz. Überall begann ein bedrohliches, lautes Pfeifen. Einige Minuten später waren von draußen ohrenbetäubende Geräusche und mehrere gewaltige Schläge zu hören. Mir wurde die ganze Sache jetzt unheimlich. Papa rannte zum Fenster und ich behände hinterher. Dachziegeln waren auf die Terrasse gestürzt. Im gleichen Moment löste sich eines der recht undurchlässigen Zaunfelder an der Grundstücksgrenze aus seiner Verankerung, kam auf uns zu geflogen, krachte mit brachialer Gewalt genau neben dem Fenster, hinter dem wir standen, gegen die Hauswand. Das ohrenbetäubende Zerbersten und Kratzen war selbst bei dem mittlerweile heulenden Orkan zu vernehmen. Glück gehabt! Papa lief zum anderen Fenster und wurde blass. Das Auto stand schräg, schaukelte gewaltig hin und her und hatte etliche Kratzer und Beulen, in der Einfahrt polterte ein Haufen Müll umher und – das Dach vom Carport fehlte. Wahrscheinlich flatterten seine Reste zerborsten auf einem Nachbargrundstück oder auf der Straße herum. Der Orkan wurde immer stärker. Wieder rannte Papa, diesmal zum Notausschalter der Heizungs- und Elektroanlage. Draußen flog in etwa einem Meter Höhe ein Kinderwagen die Straße entlang, Mama schlug die Hände vors Gesicht. Panik übermannte mich. Ich flitzte die Treppe hinauf ins Kinderzimmer. Niemand sollte mein Zittern bemerken. Ich hatte kein Zeitgefühl mehr. Und dann setzte plötzlich Stille ein. Ich lauschte auf, wartete einen Moment angespannt und hörte dann Mama rufen. Okay. Schon kam sie die Treppe herauf und beruhigte mich. Sie und Papa hatten zuvor unendliche Minuten lang unter Aufbietung ihrer ganzen Kräfte die aus den Scharnieren gesprungene Terrassentür in ihrem Rahmen gehalten. Wenn der Sturm ins Haus gedrungen wäre, hätte er vermutlich etliche Fenster nach außen gedrückt und СКАЧАТЬ