Der verborgene Dämon. Detlef Amende
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Название: Der verborgene Dämon

Автор: Detlef Amende

Издательство: Автор

Жанр: Зарубежная классика

Серия:

isbn: 9783961456796

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СКАЧАТЬ Intelligenz! Wie viele Fiktionen von vernetztem Leben, von computergesteuerten Städten oder völlig automatisierter Produktion begeisterten uns damals?!

      Ich nehme mir genüsslich das zweite Kuchenstück vor.

      Fast nichts von diesen Fiktionen ist in den letzten sechzig Jahren im Alltag angekommen. Freilich hielt technischer Fortschritt Einzug und natürlich – obwohl, so natürlich ist das gar nicht – begeisterte man sich über Erfindungen und Entdeckungen und Entwicklungen in verschiedenen Bereichen der Grundlagenforschung. Doch vieles davon ist in den Schubladen der Militärs verschwunden und war von Anbeginn nicht für den kleinen Mann gedacht – jedenfalls nicht, solange moralischer Verschleiß noch keine Rolle spielte. Wie mein Großvater mir in jungen Jahren mal erzählte, muss es damals in vielen, auch alltagsrelevanten Bereichen immense wissenschaftliche Neuerungen gegeben haben, die die Menschen dazu verführten, an eine gloriose Zukunft zu glauben. Tatsächlich aber wurden bereits im ersten Drittel des 21. Jahrhunderts ganz allmählich die Bedingungen geschaffen, unter denen der Dämon begann, aufzuwachen.

      Ich hole mir noch eine Tasse Kaffee, der Kuchen war wieder lecker. Das muss ich Lisha unbedingt heute noch mal sagen. So, und nun wird mir langsam klar, welche Mühe auf mich zukommt. Derart ungeordnet, wie mir die Gedanken durch den Kopf schwirren, kann ich sie nie und nimmer aufschreiben. Ich muss das alles besser systematisieren. Woran liegt das eigentlich, dass der erste Gesamteindruck, der im Kopf entsteht, sobald ich mich auf die Vergangenheit konzentriere, meist mit einem Gefühl der Verbitterung einhergeht?

      „Vater?“, höre ich meinen Sohn unten rufen.

      Ich stehe auf und gehe langsam zur Treppe. „Was ist, Gernot?“

      „Ich fahre jetzt in die Stadt. Lisha ist mit Federico draußen!“

      „O.k., und sieh mal zu, dass du ein paar Schreibblöcke mitbringen kannst!“

      „Wird gemacht!“ Die Haustür fällt ins Schloss und ich wende mich mit dem Gehstock von der Treppe hin zur Seitentür, die in mein Arbeitszimmer führt. Ein massiver Schreibtisch aus hellem Holz und eine übergroße Regalwand dominieren den Raum. Allerdings ist in etlichen Fächern, die keine Bücher beheimaten, mehr oder weniger wichtiger Kleinkram einsortiert, teilweise nur beiläufig abgelegt. Auf dem Schreibtisch häufen sich verstreut liegende Zettel, ein Stapel mit unerledigter Post und das halbherzig angefangene Tagebuch mit seinen ersten Einträgen. Die Lesebrille liegt oben darauf. Ich lasse mich in meinen etwas seitwärts des Schreibtisches stehenden alten Ohrensessel fallen und versuche, eine Strukturierung zu entwerfen. Trotz der hochwichtigen Obliegenheiten im Vorgarten, die ohne größere floristische Verluste auf den halben zeitlichen Aufwand würde reduziert werden können, nehme ich mir vor, täglich mehrere Stunden für mein Projekt zu verwenden. Vormittags Erinnerungen, Notizen, Systematisierungen und Recherchen. Und nachmittags werde ich „den Griffel spitzen“. Ab und zu können die Kinder ja mal Korrektur lesen. Mir hilft das im Sprachgebrauch und sie nutzen die Gelegenheit, ihre eigenen Erinnerungen und Erfahrungen mit einzubringen. Außerdem benötige ich Plätze für Papier, Entwürfe und Korrekturen – ich schaue mich im Zimmer um und dann bleibt mein Blick an dem kleinen Bild im silbernen Rahmen neben der Schale mit Stiften und Büroklammern hängen. Yvonne! Na, meine Liebste? Wo treibt sich deine Seele gerade herum? ‚In den Köpfen einiger Menschen‘, würdest du jetzt sagen. Ich weiß. Deswegen hat dein Bild keinen schwarzen Flor an einer der unteren Bildecken. In mir und den Kindern lebst du weiter. Ich muss lächeln und werde doch wieder nachdenklich.

      Soll ich den Eid brechen? Selbst auf die Gefahr hin, dass die Amerikaner mich vorzeitig ins Jenseits bugsieren? Ja, ich weiß: Yvonne, du würdest mein Projekt unterstützen. Oder meintest du: Blicke nicht in die Vergangenheit, sondern kümmere dich um die Zukunft? Ist das in diesem Fall nicht sogar das Gleiche? Nur nach vorn schauen – das ist für junge Menschen richtig. In meinem Alter darf man aber zurückblicken, denn da liegt ein Erfahrungsschatz auf dem silbernen Tablett, der denjenigen, die noch tätig sein können, erst teilweise zur Verfügung steht. Vielleicht müssen die Alten weiterkämpfen und mit ihrer Erfahrung den Jungen helfen, anstatt in Erinnerungen zu versinken. Auch du, Yvonne, hattest einen immensen Erfahrungsschatz – was bist du nicht in der Welt herum gekommen, bis dein Engagement dir in Isfahan zum Verhängnis wurde. Du hattest keine Chance. Ich konnte mich nicht einmal von dir verabschieden, für uns warst du einfach nicht mehr da. Spüre ich da einen vorwurfsvollen Unterton? Nicht ungerecht werden, Methusalem, sage ich zu mir selbst. Das hätte sie nicht verdient. Ich glaube, sie spräche mir Mut zu: Nicht so viel sinnieren, dazu ist der Rest deiner Zeit zu knapp. Komm schon, Methusalem. Ich beginne meine Aufzeichnungen.

       CHANCEN

      Alles schien wie immer, und nur wenige Wissenschaftler und Spezialisten schrieben in internen Berichten von einigen rätselhaften Beobachtungen. In Nordamerika hatte bei Gewittern die Anzahl der Blitze stark zugenommen und in manchen afrikanischen Küstenstädten standen plötzlich überall riesengroße schmutzige Pfützen in den Straßen. In Bolivien war Anfang des Jahres 2016 der zweitgrößte See des Landes, der Lago Poopó, merkwürdigerweise ausgetrocknet. Monatelang herrschte akute Wasserknappheit in vielen großen Städten des Landes. Aber sonst ging alles seinen Gang.

      Bei uns Zuhause spürte man davon offenbar nichts. Wie die meisten Menschen in Europa machten sich meine Eltern über solche Dinge keine Gedanken. Beide waren verbeamtet, hatten ein Niedrig-Energie-Haus gebaut, trennten gewissenhaft und ordentlich den Hausmüll und brauchten die Zukunft nicht fürchten. So sah die Welt aus, als ich laufen lernte und die Windeln hinter mir ließ. In meinen frühesten Kindheitserinnerungen sehe ich mich noch inmitten einer unübersichtlichen Menge Steckbausteine knien, mit denen ich höchst interessante Konstruktionen erschuf. Papa thronte in einiger Entfernung mit übereinandergeschlagenen Beinen auf dem Sessel der Couchgarnitur und las Zeitung, Mama hörte ich aus Richtung des in der offenen Küche platzierten und wegen seiner Lautstärke durchaus furchteinflößenden Kaffeeautomaten über die auf allen Kanälen ins Unendliche anwachsende Werbung schimpfen. Man hat wohl in dieser Zeit, in der Informationsüberschuss chic und zur Mode geworden war, die Welt mit Unwichtigem geflutet, um wichtiges - wo gewollt - gezielt untergehen lassen zu können. So war es offenbar auch Opa ergangen. Er hatte eine Berechnung angestellt, die die wichtigsten Faktoren berücksichtigte. Auf diese Art und Weise war er trotz der positiven Annahme, dass im Jahr 2100 mehr als die Hälfte aller Primärenergie aus CO2-neutralen Quellen stammen werde, zu einem wahrscheinlichen Temperaturanstieg von mehr als sieben Grad im Verhältnis zum Anfang des Jahrhunderts gekommen. Aber seine Botschaft hatte niemanden interessiert.

      Ich wurde zu einer Zeit eingeschult, in der nach Öffnung der türkischen Grenze Richtung Balkan die zweite größere Flüchtlingswelle Mitteleuropa erreichte. Uns Erstklässler betraf dies aber nur dadurch, dass eines Tages mehrere, eher fremdartig aussehende und aus dunklen Augen ängstlich um sich schauende Neulinge, einige Jungen und mehrere Mädchen die Klassengruppe verstärkten. Aber es machte Spaß, mit ihnen zu spielen und zu toben – nur sprechen wollten die mit uns nicht so viel. Erst als die Lehrerin allen erklärte, dass die Neuen einfach unsere Sprache nicht kannten, haben wir verstanden, warum die untereinander immer so ein komisches Kauderwelsch redeten. Erst viele Monate später, als sie schon ein bisschen Deutsch konnten, haben sie uns erklärt, dass sie aus einem Land kämen, wo Flugzeuge alle Häuser kaputt gebombt und fremde Männer mit schwarzen Tüchern um den Kopf und schwarzen Fahnen ihren Müttern, Vätern oder den Geschwistern die Köpfe abgeschnitten hätten. Ungläubig lachten wir, dann weinten ein paar von ihnen und andere fingen an, sich wütend mit uns zu prügeln. Nachdem die Klassenlehrerin, eine kleine zierliche, aber energische Frau, das mitbekam, zeigte sie uns im Unterricht ausgewählte Fotos von schier endlosen Trümmerlandschaften und erklärte: Das waren einmal bunte Städte, in denen Kinder wie ihr gespielt und gelernt haben. Die Väter und Mütter sind jetzt tot. Vielleicht erschien ihr selbst das im Nachhinein zu hart, aber diese Konfrontation erzeugte Gefühle. Und sie lehrte uns, dass es außerhalb der für uns so friedlichen СКАЧАТЬ