Название: Menschenversuch
Автор: Monika Landau
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783960083221
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»Das Schwein kommt ja zu sich,« hört er einen sagen, »da müssen wir wohl nachhelfen.«
Unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen und ohne Erinnerung daran, ob er trotz seiner feuertrockenen Kehle geredet hat, wird der Autor wieder in die Jauche getaucht. Atemlos geht er unter und verliert erneut das Bewusstsein. Doch vor seinen Augen geht plötzlich eine andere Wirklichkeit auf. In moosgrüner Landschaft sitzt er am Fluss und vor ihm zappelt ein einzelner, grobknochiger Fisch im Netz.
»Jetzt bist du einer von uns,« versteht er und erkennt die Stimme von Reinhart, »gefangen! Gefangen!« Aus dem Baum, unter dem er sitzt, tönt dies ‚gefangen‘ wie ein Echo. Er greift nach einem Ast, will ihn zu sich herabziehen, verliert dabei aber das Gleichgewicht und stürzt ins Unendliche.
Zeitlos später liegt er wieder in der Zelle. Kopf, Armgelenke und Beine schmerzen; die Hände sind blutverkrustet. Als er über den Kopf streicht, merkt er, dass man ihm die Haare abgeschnitten hat und dass Schorf die Wunden bedeckt. Er stößt auf einen Napf mit Flüssigkeit – Suppe? Schmutziges Wasser? Jedenfalls trinkt er gierig und fragt sich, was mit ihm geschah. Verhöre, Folter – hat er geredet? Vielleicht andere belastet? Nadia? Es ist alles wie ausgelöscht; hätte er nicht diese Schmerzen, das Wundfieber – er spürte sich selbst nicht mehr, wäre bloß noch die eigene Vergangenheit. So schläft er wieder ein, trotz der Versuche, wach zu bleiben: auf der Flucht vor den Träumen vom Untergang.
Inzwischen schiebt man ihm einmal am Tag einen Blechnapf mit fader Suppe oder ausgelaugtem Kohl in die Zelle und er fühlt sich immer schwächer. Verhöre und Torturen haben zwar aufgehört – weil man ihn nicht mehr ernst nimmt? Weil er unter der Folter alles gesagt hat, was er denkt? Doch als man ihn eines Tages durch die Gänge zerrt, ein paar Türen aufreißt und wortlos ins Freie stößt, bricht er vor dem Gefängnistor bewusstlos zusammen. In seinem Kopf taucht wieder der Baum am Fluss mit dem Lachs auf; diesmal redet der Baum:
»Dein altes Leben ist vorbei. Verlass die Stadt, geh in die Wälder. Hör unser Echo und bezeuge deinen Tod.« Der Autor sieht sich nach dem Lachs um, entdeckt Raubvögel über sich und fragt fast stimmlos:
»Wo ist Nadia? Wohin haben sie sie gebracht? Gebt mir ein Zeichen!«
»Du bist allein«, raunt die Baumstimme wie ein Windstoß, »komm zu uns, leg Zeugnis ab wie Sisyphos.« »Ich bin am Ende,« hört er sich sagen, »ich will nicht mehr. Lasst mich untergehen.«
Wie aus weiter Ferne hört er eine unbarmherzige, fast schneidende Antwort:
»Du bist uns deinen Kampf schuldig und keine Flucht. Wir brauchen deine Stimme.«
Als der Autor zu sich kommt, liegt er neben der Gefängnismauer; ein Hund schnuppert an seinen Füßen. Mühsam klopft er den Staub ab und sucht den Weg zur Stadt. Unter einer Brücke kniet er sich in den Schlamm, um aus dem Rinnsal zu trinken und schläft trotz des Verkehrslärms über seinem Kopf ein. Erst gegen Ende der Nacht macht er sich wieder auf.
Später, nun schon in den Ausläufern der Berge, ziehen die demütigenden Stationen dieses Wegs noch einmal an ihm vorbei: An Nadias Türschild steht ein fremder Name und niemand öffnet. Als er beim Hauskontrolleur nach einem Schlüssel für seine Mansarde fragen will, stößt er auf ein neues Gesicht in der Uniform der Partei und macht kehrt – auch sein Name ist verschwunden. Die alte Frau im Lebensmittelladen erkennt ihn, gibt ihm Brot und Wurst, obwohl er nicht bezahlen kann – doch in ihren verschreckten Augen spiegelt sich sein Zustand. Weit außerhalb des Zentrums fahren Lastwagen voll grölender, fahnenschwingender Anhänger des Regimes an ihm vorbei; in einem von ihnen sieht er Reinhart. Für eine Sekunde treffen sich ihre Augen, doch der Sohn blickt über ihn weg, als gäbe es ihn gar nicht.
Schließlich landet er im Herbstsommerwald, in dem die Bäche ausgetrocknet sind und das Wild ihn beäugt. Melancholisch zieht er sein Fazit: »Die Sprache ist mein einziger Anzug.« Er schläft im Dickicht, Ameisen laufen über sein Gesicht, die Hände, und er filtert seinen Hunger durch Reste von Waldbeeren. Wozu das alles noch, fragt er sich müde. Nach Tagen und am Ende seiner Kräfte findet er den einsam gelegenen Bergbauernhof; das altersschwache Holzhaus widersteht kaum noch den Jahreszeiten. Die beiden Alten nehmen ihn freundlich auf und geben ihm die kleine Kammer unter dem Dach. Wie ein Toter schläft er ein.
Am anderen Morgen holt ihn der Bauer zur Heuernte; ein Wettersturz kündigt sich an. Zwar fühlt sich der Autor noch schwach, doch eine unerklärliche Energie scheint in ihm zu wachsen. Sein Land, die politische Welt, Unterdrückung und Folter verschwimmen vor der bewegungslos drückenden Hitze, die das Atmen erschwert. In großen Kiepen muss das getrocknete Gras der Berghänge zum Haus getragen und dort im Dachboden verstaut werden. Dabei sieht er, dass in dem kleinen Anbau eine magere Kuh und zwei Ziegen leben. Mit äußerster Anstrengung steigt er die Hänge auf und ab; nicht selten zucken Sterne vor seinen Augen und er muss sich hinsetzten, um wieder Kraft zu sammeln.
So vergeht der Tag und am Abend, als schon das Gewittergrollen zu hören ist, zwingt er sich zum Essen – trotz Übelkeit und Kopfschmerzen vor Schwäche. Die Gastgeber bleiben wortkarg, fragen ihn nicht aus und scheinen zufrieden. Beim Löffeln aus dem Suppentopf in der Tischmitte tropfen dem alten Bauern die Reste aus dem Bart, seine rechte Hand hat nur noch drei Finger. Und seine Frau – das müde gewordene Gesicht noch faltiger als der Rock und die Schürze – schlürft so laut, dass beide sein Angebot, gegen Kost und Logis eine Weile zu helfen, zunächst nicht verstehen. Doch dann stimmen sie zu. Seinen ohnmächtigen Schlaf können dann selbst Donnerschläge nicht aufbrechen und auch die Träume vergehen spurlos. Als er im Frühdämmern erwacht, rauscht draußen der Regen und so schläft er weiter, unendlich lange, wie es ihm vorkommt.
Aber mit der Rückkehr seiner Kraft erwachen auch wieder die Gedanken an das Andere: Zensur, Unterdrückung in der Redaktion, Überwachung. Was dann folgte: die vergebliche Flugblattaktion, Nadias Schreie und die Folter im Gefängnis scheint ihm so konsequent wie bitter als Zerstörung seines früheren Lebens. Denn obwohl er an der Quelle saß und genug Informationen über das Regime und die Dialektik seiner Vernichtungsstrategien hatte, machte er sich Illusionen über Möglichkeiten des individuellen Widerstands. Doch diese Einsicht ändert nun nichts mehr. Unter allerhand Gerümpel findet der Autor Packpapier und bittet den Bauern um Bleistift und Kerze. So hockt er – kein Nachtmensch zwar, aber irgendwie zeitlos diesmal – auf der alten Matratze und skizziert seinen ausweglosen Dialog mit der Realität.
Dabei rechnet er auch mit der Staatskirche ab. Vermutlich könnte sich ja das Regime ohne die religiösen Bauchredner nicht lange halten: sie machen dem Volk weis, von den Göttern auserwählt zu sein und schon deshalb über das Pack der Ausländer und Andersgläubigen zu triumphieren. Ist Glauben an Gott, an Götter überhaupt ein Ausweg? Oder die weltabgewandte Lyrik des Eremiten? Soll er das Schreiben, vielleicht sogar das Denken aufgeben, um irgendwo unbehelligt zu leben – und sei es in dieser Kate im Gebirge? Soll er in ein anderes Land gehen, dessen Sprache er nicht beherrscht? Auch das wäre gleichbedeutend mit dem Verzicht auf Schreiben.
Vor seinen Augen flimmern die Utopien einer besseren Welt, wie sie Philosophen, Theologen, Dichter und manchmal auch Sozialwissenschaftler ausgemalt haben – Bilder, die keine grausame Praxis zu ändern vermochten. Und es erscheinen Revolutionäre, die solche Änderungen erzwingen wollten und sich – wie die Tupamaros – in jahrelangen Kämpfen aufgerieben haben. Denn auch sie konnten weder kollektiven Egoismus, noch die – von Machthabern aller Schattierungen gezüchtete – Dummheit der Massen aufbrechen; wie im antiken Bild des Sisyphos fielen diese Bewegungen schließlich immer wieder in sich zusammen. Soll man also resignieren?
Der Autor fasst einen Entschluss. Noch in dieser Nacht beginnt er mit dem Erzählen einer Geschichte wie der eigenen: von Illusionen, Erfolgen, Niederlagen – und von der so unerklärlichen СКАЧАТЬ