Menschenversuch. Monika Landau
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Название: Menschenversuch

Автор: Monika Landau

Издательство: Автор

Жанр: Религия: прочее

Серия:

isbn: 9783960083221

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СКАЧАТЬ ein Blatt Papier und schreibt darauf das Wort ‚Szenenwechsel‘.

      Den vielleicht naiven Beschluss, von nun an subversiv – und, wo nötig, auch konspirativ – zu arbeiten, versucht er gleich am anderen Tag umzusetzen. Man hat ihn angewiesen, zur Steigerung des Fremdenverkehrs über eine Touristenenklave mit öden Zweckbauten und Hochhäusern positiv zu berichten und er greift dabei auf Gespräche zurück, die er ein paar Wochen vorher dort mit Gästen geführt hat. Da wurde Wassermangel zu bestimmten Tageszeiten (der Druck reichte für die Hochhäuser nicht aus) ebenso beklagt wie das unsaubere Meer; die Abwässer strömten ungeklärt hinein. Und es gab noch ganz andere Stimmen – zum Beispiel von einem Chemiearbeiter:

      »Sie haben mich hierher auf Urlaub abkommandiert; ich selber hätte mir das gar nicht leisten können. Die Häuser sind wohl nicht ausgebucht. Kaum war ich da, wurde mein Asthma schlimmer und der Hautausschlag auch. Der Arzt meinte bloß, ich soll nicht so zimperlich sein und verschrieb mir Salbe.«

      »Hat sich das dann gebessert?«

      »Nee. Einer, den ich beim Arzt traf, hat mir erzählt, das käme vom Asbest, den sie hier überall benutzt haben. Vielleicht auch vom Fleisch aus der Abdeckerei.« »Und? Habt ihr euch beschwert?«

      »Wo denn? Wer das dem Hauskontrolleur oder der Strandaufsicht sagt, fliegt sofort raus und sein Resturlaub wird gestrichen. Das ist schon ein paarmal passiert – also halten alle den Mund.«

      Oder eine Stenotypistin:

      »Es hieß, wir kriegen ein paar Tage Urlaub mehr, wenn wir herfahren und auch der Pfarrer meinte, das sei gut für unser Land, wenn wir so dem Tourismus helfen.«

      »Und warum mussten Sie allein fahren, ohne Ihren Mann?«

      »Mein Mann ist arbeitslos, deshalb durfte er nicht mit. Als wir den Pfarrer gebeten haben, uns zu helfen, hat er bloß gemeint, es sei wichtiger, sich Arbeit zu suchen, als faul am Strand zu liegen. Wichtiger für die ganze Nation. Aber er wusste auch nicht, wo mein Mann Arbeit findet.«

      Der Autor benutzt diese Aussagen vorsichtig, um so ein paar unschuldige Seitenhiebe auf Staatsreligion und Wirtschaftsmisere zu landen und lässt beiläufig den Mangel an Kultur spüren. Denn die nach gleichem Schema eingerichteten Restaurants beispielsweise haben alle den Charme von Industriekantinen und im einzigen Kino laufen die Filme, die jeder längst schon Zuhause gesehen hat. So kunstvoll er das auch konstruiert zu haben meint – der Bericht verschwindet in der Ablage. Kaminski lässt ihn nicht einmal mehr rufen, sondern verfügt Schreibverbot und Versetzung in den Korrektoren-Job. Und weil das Regime auf seine Dienste verzichtet, wird sein ohnehin dürftiges Gehalt halbiert.

      Der Autor träumt. Ein zerbrechlich aussehender Mond durchschneidet die Nacht, Vogelkonzerte verhallen. Aus dem Nichts erscheint eine feenähnliche Gestalt in rotem Kleid, das wie eine Fahne um sie gewickelt ist, vor leuchtender Ebene. Als er auf sie zugeht, sieht sie ihn an, wie ihn einst seine Schullehrerin ansah:

      »Du bist nur noch Gast in deinem Leben. Und deine ganzen Zweifel ändern sowieso nichts.«

      »Und was soll ich tun? Zum Märtyrer werden? Der Staat hat tausend Ohren.«

      »Du verlierst die Zukunft, wenn du sie nicht änderst.« In diesem Augenblick zieht eine Wolke vor den Mond – nein: es ist das Gebirge, das näher kommt und mit seinen Steilwänden das Mondlicht wegschiebt. Vor die Feengestalt sind schwarzgekleidete Soldaten gerückt: eine linkische Drohung. Noch im Fliehen sieht er, wie sich das strahlende Gesicht der Fee in Blitze verwandelt; die Soldaten taumeln zu Boden.

      Schweißgebadet wacht er auf. Er liegt auf dem Bett seiner Mansarde und kommt erst langsam zu sich. Auf dem Boden findet er ein Stück Zeitung, in dem vom Überfall auf ein Munitionslager der Armee die Rede ist. Zwar wurde der Angriff natürlich abgewehrt; zugleich warnt man aber vor Terrorakten mit Beute-Sprengstoff. Wenig später geht er zwischen anderen durch den Staub der Militärlaster, die in Kolonnen vorbeidonnern. Er sieht fahrige Bewegungen, spürt die sinnlose Eile und merkt, dass er davon angesteckt wird. Trotz des nationalen Feiertags ist das kleine Theater geschlossen, auch der Bühneneingang, und jemand hat den Spielplan heruntergerissen. An der schrägen Ecke sieht er unbewegliche Gestalten im einzigen dort geparkten Auto. Der Autor macht kehrt; sein Schritt wird schneller.

      Als er das Haus in der Heldengasse (früher hieß sie Gershom-Weg) erreicht, zuckt er zusammen, denn da marschiert gerade eine Polizeistreife vorbei. Nadia, die Freundin und Regisseurin, ist allein und wirkt deprimiert; ihr Haar mit den grauen Strähnen hängt ins Gesicht. Als er sie umarmen will, wehrt sie ab und sagt: »Sie haben verlangt, das Stück abzusetzen, weil es das ‚Nationalbewusstsein untergräbt.‘ Sie wollen es nicht verbieten, um den ausländischen Beobachtern kein neues Beispiel für Zensur zu geben. Aber sie haben damit gedroht, uns alle Gelder zu streichen und uns ‚einer nützlicheren Arbeit zuzuführen‘, wie sie das nennen.«

      Nach einer langen Pause und zwischen zwei tiefen Zügen an seiner Zigarette sagt der Autor müde: »Was können wir überhaupt noch machen? Mich haben sie aus der Redaktion geschmissen und zu den sowieso überzähligen Korrektoren abgeschoben; was anderes fiel ihnen nicht ein. Außerdem stehen wir wohl schon unter Beobachtung.«

      »Wir haben keine andere Wahl«, antwortet sie, »und keine Partei und keinen Radiosender und keine Zeitung. Uns bleiben vielleicht noch Flugblätter.« »Und wer sollte die verteilen?«

      »Wir.«

      Er grübelt. Ist das der Untergang auf Raten, wie er ihn schon lange kommen sah? Das Ende seiner Arbeit als Zeitzeuge? Jedenfalls gibt es nur die Alternative, den Kopf wegzustecken und dahinzuleben wie die meisten. Schließlich zwingt er sich zum Schreiben, die Feengestalt immer noch vor Augen.

      Das Flugblatt wird zu einer Anklageschrift, die nichts mehr verschleiert; auch auf seinen sonst immer gegenwärtigen Spott verzichtet der Autor. Nationalismus, der Kultur ebenso zerstört wie jedes offene Miteinander, ist eine Form gewaltsamen Untergangs, und über diesen Tod kann man nicht spotten. Mit grauen Augen zündet er sich eine Zigarette an der anderen an. Weil das Theater geschlossen ist und überdies bewacht wird, haben Nadia und er keinen Zugang zum Kopierer und müssen den Text immer neu mit Durchschlägen auf der alten Schreibmaschine schreiben. Das dauert bis zum Morgengrauen und lässt keinen Raum für Zärtlichkeit.

      Im Trubel des Mittagsverkehrs und unterm Schutz der weißglühenden Sonne werfen sie das Flugblatt in die Briefkästen von Zeitungsredaktionen, Radiosendern, der Journalistenvereine und Theater, von Museen und Konzertdirektionen. Zunächst scheint alles gut zu gehen. Aber als sie sich in ein Café setzen, um auszuruhen, erscheint eine Streife der Sonderpolizei, verlangt ihre Ausweise und fordert sie auf, mitzukommen. Nadias Wunsch, auf die Toilette zu gehen, wird barsch abgelehnt.

      Schon im Auto werden sie getrennt, durch Gänge geschleift, die das Grauen kanalisieren und finden sich in schmutzstarrenden Einzelzellen ohne Fenster wieder. Dem Autor wird alles außer der Unterhose abgenommen und er schweigt, ebenso wie seine Wärter. Er glaubt in fernen, langgezogenen Schreien die Stimme von Nadia zu erkennen und verliert jedes Zeitgefühl. Zwar hört er Schritte und den Mechanismus der Sichtklappen an der Tür, doch er bleibt allein, kann im grellen Licht der Neonröhren und immer wieder vom Lautsprecher aufgescheucht nicht schlafen. So hockt er in einer Ecke, versucht Gedankenspiele, Zahlenkombinationen, um nicht durchzudrehen. Als er wieder die mit Zahnprothesen oder Fingernägeln in die Wand gekratzten Inschriften zu entziffern versucht – man hat ihm auch die Brille gestohlen – reißt ein Wächter die Tür auf und brüllt: »Mitkommen!« Der Autor schwankt vor Schwäche, sein Hals wie geschwollen vor Trockenheit. Und weil er haltsuchend den Uniformierten berührt, wird er zurückgestoßen, schlägt mit dem Kopf auf den schmutzübersäten Steinboden und verliert die Besinnung.

      Beim СКАЧАТЬ