Название: Der Lustmörder
Автор: Horst Bosetzky
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783955520052
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Vera Orschel überlegte einen Augenblick. «Zuletzt hatte sie nur diesen Tischlermeister mit dem Haus draußen in Hermsdorf, diesen Kittlitz, aber vorher … Wenn die Männer von der Front gekommen sind, dann …»
Kappe hakte nach. «Es waren also auch Soldaten darunter?»
«Ja, das auch.»
«Nennen Sie doch mal bitte ein paar.»
Sie kam seiner Bitte nach, und tatsächlich fiel auch der Name Schluchti.
Kappes Blutdruck schnellte nach oben. «Hieß der so - oder war das ein Spitzname?»
«Das war sein Spitzname.»
«Und wie hieß er wirklich?»
«Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass er bei den Baltikumstruppen war und fürchterlich mit seinem Orden angegeben hat.»
Kappe hatte Mühe, sich seine Freude über diese Auskunft nicht anmerken zu lassen. «Ist er Ihnen dadurch aufgefallen, dass er besonders eifersüchtig war?»
Vera Orschel zuckte zurück. «Sie meinen, dass er Erna deswegen getötet hat?»
«Wie gesagt: Wir halten es nicht für ausgeschlossen.» Sie zögerte mit einer Antwort. «Ich weiß nicht …»
Kappe ahnte den Grund: Auch sie hatte ganz bestimmte Sympathien für diesen Schluchti gehegt und wollte ihn nicht ans Messer liefern. «Aber eine Photographie von Erna und ihm haben Sie doch ganz sicher.»
«Nein!»
«Fräulein Orschel, ich kann Sie auch der Mittäterschaft verdächtigen und mitnehmen zum Alexanderplatz, damit sich meine Kollegen mal ein bisschen mehr mit Ihnen beschäftigen.»
Das wirkte, und sie schien den Tränen nahe. «Ich kenne ihn doch gar nicht weiter.»
«Aber Sie haben eine Photographie von ihm?»
«Eine ganz kleine aber nur, darauf ist er kaum zu erkennen.»
«Und wo haben Sie die?», wollte Kappe wissen.
«Bei mir zu Hause.»
«Dann holen Sie sie bitte.»
Vera Orschel zeigte auf ihren Abteilungsleiter. «Ich kann hier nicht weg.»
«Dann komme ich heute Abend bei Ihnen vorbei. Wo ist das, bitte?»
«In der Barbarossastraße, gleich am Bayerischen Platz.»
Um sieben Uhr stand Hermann Kappe vor ihrer Wohnungstür, und als er eine Stunde später wieder ging, hatte er nicht nur die begehrte Photographie in der Brusttasche stecken, sondern auch einiges an amourösen Erfahrungen gesammelt. Nicht dass es zum Geschlechtsverkehr gekommen wäre - sie hatten sich nur heftig geküsst und umarmt und schließlich intime Berührungen sehr direkter Art ausgetauscht. Fremdgehen konnte man das seiner Meinung nach beim besten Willen nicht nennen, und so hielt sich sein schlechtes Gewissen Klara gegenüber auch in Grenzen. Gott, man war nun schon seit vier Jahren verheiratet - und es war ja nicht seine Schuld, denn Vera Orschel hatte ihn in klassischer Manier verführt.
In den nächsten Tagen kamen Kappe und Galgenberg nicht weiter, denn es begannen die «Tage der Säbelherrschaft», wie das Berliner Tageblatt titelte.
In der Abendausgabe von Freitag, dem 12. März 1920, war noch von der Vereitelung eines reaktionären Putschversuchs die Rede gewesen: In Berlin hat seit einiger Zeit das Treiben einer rechtsradikalen Clique eingesetzt, deren Bestrebungen auf gesetz- und verfassungswidrigen Umsturz hinauslaufen. Dem Ganzen wurde keine Chance eingeräumt, denn selbst weite Kreise altkonservativer Richtung lehnen die Desperadopolitik dieser rechtsspartacistischen Clique restlos ab. Dennoch werde die Reichsregierung Vorsicht walten lassen.
Am nächsten Tag musste das Berliner Tageblatt dann zugeben, die Lage falsch eingeschätzt zu haben: Die im gestrigen Abendblatt von uns mitgeteilten Vorgänge über einen reaktionären Putschversuch bleiben weit hinter bereits vollzogenen Tatsachen zurück. In der Nacht vom 12. auf den 13. März waren die in Döberitz untergebrachten Truppenteile der Brigaden Ehrhardt und Löwenfeld in Berlin einmarschiert, ohne dass die Reichswehr Widerstand geleistet hätte. Der Generallandschaftsdirektor Dr. Wolfgang Kapp übernahm als Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident die gesamte Staatsgewalt. Der General der Infanterie Walther Freiherr von Lüttwitz wurde militärischer Oberbefehlshaber und Reichswehrminister.
Das Erste, was die Kapp-Regierung tat, war, die Zeitungsredaktionen Berlins militärisch zu besetzen, um das Erscheinen der Blätter unmöglich zu machen. Auch das Berliner Tageblatt war betroffen und musste bereits am Sonnabendvormittag sein Erscheinen einstellen, einerseits weil die Kapp-Leute dies untersagten, andererseits weil die Arbeiter in den Streik getreten waren.
So waren sowohl die Kapp-Regierung als auch die legale Reichsregierung gezwungen, auf Flugblätter auszuweichen, wenn sie dem Volke etwas mitteilen wollten.
Als Hermann Kappe am Sonnabend, dem 13. März, zum Polizeipräsidium fuhr, wehten ihm von den amtlichen Gebäuden die alten Reichsfahnen, die Kriegsflagge der Marinebrigade und schwarz-weiß-rote Fahnen entgegen. Stacheldrahtverhaue, Maschinengewehre, Feldgeschütze, starke Militärpatrouillen, umherjagende Automobile und kampfbereite Offiziere und Soldaten machten ihm bewusst, dass der befürchtete Militärputsch Wirklichkeit geworden war.
Der Krieg hatte bei der Polizei weder die patriotische Begeisterung der Frontsoldaten noch ein besonderes Gefühl der Verbundenheit mit Hindenburg und Ludendorff hervorrufen können, und auch den Kapp-Putschisten stand man gleichgültig gegenüber.
«Unsam Kappe ham se det E hinten jeklaut, und jetz issa Reichskanzla!», rief Galgenberg. «Hut ab, meine Herren!»
Kappe war die weitgehende Gleichheit der Namen geradezu peinlich. «Soll ich mich umtaufen lassen?»
«Ja, in Lüttwitz!»
Noch stärker als Kappe war Ernst Gennat betroffen, denn wie viele andere Betriebe und Geschäfte hatte auch die Konditorei, in der er seine Torte kaufte, schon geschlossen, und das Gerücht machte die Runde, dass die beiden sozialdemokratischen Gruppierungen, die SPD und die USPD, im Einvernehmen mit den Führern der Deutschen Demokratischen Partei und den Gewerkschaften den Generalstreik proklamiert hätten.
«Dann streike ick ooch», sagte Galgenberg.
«Beamte dürfen nicht streiken», erklärte Dr. Kniehase.
«Beim Generalstreik schon», belehrte ihn Galgenberg. «Det heißt ja deswegen so, weil da ooch ’n General in Streik treten darf - und dann darf ick det ooch.»
«Ein richtiger Kriminaler ist immer im Dienst», sagte Ernst Gennat. «Aber nachdenken über seine Fälle kann man auch zu Hause. Also: Auf Wiedersehen, meine Herren!»
Kappe schwankte. Einerseits war es ihm ein Herzensbedürfnis, sich in die Front gegen die Putschisten einzureihen, andererseits trieb es ihn, die Jagd nach dem Mörder aus dem Landkreis Niederbarnim fortzusetzen. Jeder Tag, der ihnen verlorenging, konnte das Todesurteil für ein sechstes Liebespaar bedeuten.
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