Überleben – Was blieb von der Heimat Donauschwaben?. Barbara Kohout
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Überleben – Was blieb von der Heimat Donauschwaben? - Barbara Kohout страница 9

Название: Überleben – Was blieb von der Heimat Donauschwaben?

Автор: Barbara Kohout

Издательство: Автор

Жанр: Биографии и Мемуары

Серия:

isbn: 9783954889877

isbn:

СКАЧАТЬ feste Tarife. Die Zahlung bestand in einer bestimmten Menge Zucker, Mehl, Eiern oder anderen Erträgen aus der Landwirtschaft und was er der Jahreszeit entsprechend aushandeln konnte. Geld bekam er nur für das Schneiden der Haare. Auf diese Weise hatte die Familie wenigstens etwas zu essen. Wenn meine Großmutter Brot backen wollte, brauchte sie für 5 Para Hefe, die sie oft nicht hatte. 100 Para waren 1 Dinar. Das ist vergleichbar damit, dass eine Hausfrau heute keine 5 Eurocent besitzt, um etwas Hefe zu kaufen.

      Meine Großeltern waren der Verwandtschaft als Ausgleich für die Hilfe selbstverständlich verpflichtet. Großmutter musste im Kolonialwarengeschäft ihres Schwagers einkaufen. Aber um Kredit oder Zahlungsaufschub zu bitten, verbot ihr der Stolz. Andererseits bedrängte sie Großvater mit Tränen oder Vorwürfen, weil sie Geldsorgen so unglücklich machten. Dies half beiden auch nicht weiter. Es war eine harte Zeit.

      Von Großvater erwarteten seine Brüder, dass er zum Haareschneiden oder zum Rasieren ins Haus kam. “Der arme Michl bekam dann als besondere Gunsterweisung eine Tasse Kaffee“, lese ich auf einer hellblauen Serviette, die ich offensichtlich bei einem Familientreffen aus Mangel an Notizpapier beschrieben hatte. Das Motto meiner Vorfahren hieß: „Sich regen bringt Segen.“ Das zahlte sich auch bei meinen Großeltern aus und es wurde nach und nach leichter für sie. Meine Großmutter schaffte sich ein paar Hühner, Enten und Gänse an. Besonders die Enten und Gänse nutzten im Frühjahr den Teich vor dem Haus. Im Garten wuchsen Gemüse und Salat. Im zweiten Jahr wurde zum Winter bereits ein Schwein geschlachtet. Die Versorgung wurde zunehmend besser. Der Großvater war bald wieder bei seiner Kundschaft beliebt. Seine Frohnatur setzte sich durch, und er erzählte wieder leutselig als lebendes Tagblatt alles, was es an Tratsch und Neuigkeiten zu verbreiten gab. Aber es blieb schwierig. Vor allem belastete meine Großeltern die Hypothek, die auf dem Haus lag.

      Als es im Herbst 1924 kühl wurde, wollte Ama für ihre beiden Mädchen Strümpfe stricken. Um Wolle zu kaufen, war kein Geld da. Also besorgte sie Zuckersäcke, die aus feinem, weißem Hanf gewebt waren. Diese Fäden wickelte sie auf Knäuel und strickte damit Strümpfe. Am Tag hatte sie dafür aber keine Zeit. Um Petroleum für die Lampe zu sparen, saß sie in mondhellen Nächten ohne Licht im Bett und strickte nach Gefühl. Dann schlief sie 3 – 4 Stunden bis Ata wieder aufstehen musste, um zur Arbeit zu fahren. In dieser Zeit war sie wieder schwanger. Im Dezember wurde dann meine Tante Susanna geboren, die Susitante, wie ich sie nach donauschwäbischem Brauch nenne. Ata nutzte die Gelegenheit zu einem kleinen Nebenerwerb und begann im Winter, in Gasthäusern zum Tanz aufzuspielen. Auch bei Hochzeiten ließ er sich engagieren.

      Wegen des kalten Winters waren die Mädchen oft erkältet. Elisabeth war besonders anfällig. Doch es fehlte das Geld für ausreichend Medizin. Als es endlich Frühling wurde, war Elisabeth abgemagert, blass und hatte kaum Appetit. Ende Mai wurde sie wieder schwer krank. Sie bekam hohes Fieber. Die Familie und auch die Verwandten machten sich große Sorgen um sie.

      Als Elis im Juni 1925 starb, fühlte sich meine Mutter entsetzlich schuldig. Sie dachte, Elis sei gestorben, weil sie sich das gewünscht hatte, um auch ein Stückchen von der Schokolade zu bekommen, die ihr die Tante Eva gebracht hatte. Wie grausam sind Zeiten, in denen Eltern so mit Sorgen beladen sind, dass sie die emotionalen Bedürfnisse und Nöte ihrer Kinder nicht mehr wahrnehmen. Solche Wunden heilen nie. Meine Mutter hat mir diese Geschichte erzählt, als sie bereits 80 Jahre alt war!

      Das Haus meiner Großeltern war damals recht einsam am Dorfrand gelegen. Deshalb haben sie sich einen Bernhardiner Hund zugelegt. Im Juni hatte es sehr viel geregnet und der Teich vor dem Haus war vollgelaufen. Meine Mutter spielte dort in der Nähe unbeaufsichtigt, während die Familie in ihrer Trauer um den Tod des kleinen Mädchens im eigenen Kummer gefangen war. Das Ufer des Teiches war schlammig und glitschig. Plötzlich rutschte Katharina aus und fiel in den Teich. Der Hund hat das beobachtet und sprang ihr nach. Er packte sie bei ihrem Hemdchen und fing laut an zu winseln. Er konnte sie nicht mit eigener Kraft ans Ufer ziehen. Zum großen Glück hörte Ama schließlich sein Winseln und schaute nach. Wie froh war sie, dass es nicht noch eine Beerdigung geben musste.

      1925 war für meine Großmutter ein unendlich schweres Jahr. Neben den Geldsorgen drückten die Sorgen um das kranke Kind und sein Tod. Sie wusste nicht, wie sie die tiefe Trauer darüber abschütteln sollte. Die kleine Susanne war bei Elises Tod erst 6 Monate alt und vielleicht war sie die Lebensretterin von Ama, denn das Baby brauchte seine Mutter. Doch nicht genug damit, litt Ama auch unter der Isolation. Einmal suchte sie Trost beim Pfarrer. Doch dieser konnte sie nur nach dem Weltbild der damaligen Zeit „trösten“. Unglück, das den Menschen widerfuhr, konnte nur eine Strafe Gottes für heimliche Sünden sein. Die sollte sie bekennen und bereuen, dann würde ihr Gott vergeben. Aber noch mehr Schuldgefühle konnte meine Großmutter nicht gebrauchen. Nach diesem Gespräch betrachtete sie Pfarrer als persönliche Unglücksboten. Wenn ihr einer begegnete, unternahm sie an dem Tag nichts mehr. Sie sagte, er sei so gefährlich wie eine schwarze Katze. Außerdem glaubte sie an den Spruch: „Wer einen Vetter im Himmel hat, kommt auch hinein.“

      Langsam drohte sie in Schwermut zu versinken. Ata schimpfte sie aus. Sie sollte doch an ihr eigenes Zuhause denken, dann wüsste sie, wohin es führt, wenn sie sich nicht zusammenreißt. Ata erinnerte sie an die psychisch Kranken, die von seinem Schwiegervater zu Hause mit einer „Beschäftigungstherapie“ betreut wurden. Die Kranken mussten zum Beispiel Besteck polieren – den ganzen Tag. Wenn sie einmal damit fertig waren, mussten sie wieder von vorne anfangen. Da man mit dem medizinischen Wissen von damals Depression noch teilweise als Schwachsinn oder Geisteskrankheit oder Irrsinn bezeichnete, gab man sich zwar alle Mühe, die Betroffenen zu verwahren und vielleicht zu beschäftigen, aber verstanden hat man diese bedauernswerten Menschen gewiss nicht.

      So wollte Ama natürlich nicht enden. Sie war eine Kämpferin. Schließlich entdeckte sie ihre ganz persönliche Lösung: den Wochenmarkt in Stanischitsch. Er fand zweimal wöchentlich statt. Es gab dort alles zu kaufen, was man im täglichen Leben so brauchte: Stoffe, Wolle, Schuhe, Werkzeuge, Besen, Saatgut, Obst, Gemüse, Getreide, Fleisch usw. Dieser „Supermarkt unter freiem Himmel“ beflügelte die Fantasie meiner Großmutter. Sie wollte etwas verkaufen, um an selbst verdientes Geld zu kommen, mit dem sie für die Kinder Kleidung, Schuhe, Medizin und vieles mehr kaufen konnte. Kurz entschlossen bot sie zunächst an, was sie in ihrem Garten erntete und nicht für den Eigenbedarf brauchte: Gurken, Tomaten, Paprika, Salat. Der Erlös dafür war sehr mager, nur wenige Para. Bald hatte sie begriffen, dass sie ihren Gewinn mit ihrer Geflügelzucht erheblich steigern konnte. Gänse, Enten und Hühner brachten Eier, Fleisch und vor allem Gänsedaunen und -federn. Das entwickelte sich sehr schnell zu einem willkommenen zweiten Standbein für das Familieneinkommen. Doch der sehr erfreuliche Nebeneffekt war, dass Ama wieder unter Leute kam und reden musste. Sie war nicht auf den Mund gefallen, aber sie musste auch lernen, Deutsch und Serbisch zu reden. Zuerst war es nur Kauderwelsch. Aber mit der Zeit konnte sie sich in drei Sprachen mit allen Menschen unterhalten – wer eben gerade kam. Da sie keinen Nationalstolz oder Rassenhass kannte, hatte sie bald vor allem mit den serbischen Bewohnern von Stanischitsch ein gutes, freundschaftliches Verhältnis. Meine Mutter und ihre Geschwister wuchsen ganz selbstverständlich zweisprachig auf. Mit der Mutter redeten sie ungarisch und mit dem Vater deutsch, dem diese Sprache mehr lag.

      Ata hatte inzwischen einen festen Stamm von ca. 50 Kunden, die sich zweimal wöchentlich balbieren (rasieren) ließen. Für diese Dienstleistung bekam er 50 kg Weizen pro Kunde und Jahr, immerhin ca. 2.500 kg pro Jahr. Das war eine gute Basis für den Eigenbedarf an Futter für das Geflügel und Mehl zum Backen von Brot und Kuchen. Auch die Nudeln stellte Ama selbstverständlich selbst her. Was sie nicht verbrauchten, tauschten sie gegen andere Bedarfsgüter oder Futtergetreide ein. Zum Beispiel gegen Kukuruz (Mais). Die Schweine wurden bei uns vorwiegend mit Mais gemästet. Wer das Fleisch und den Speck von diesen Tieren einmal gekostet hat, wird den köstlichen Geschmack nie mehr vergessen.

      Durch ihren Zusatzverdienst konnte sich Ama nun auch mal einen größeren Kochtopf kaufen – die Familie wuchs ja СКАЧАТЬ