Überleben – Was blieb von der Heimat Donauschwaben?. Barbara Kohout
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Überleben – Was blieb von der Heimat Donauschwaben? - Barbara Kohout страница 7

Название: Überleben – Was blieb von der Heimat Donauschwaben?

Автор: Barbara Kohout

Издательство: Автор

Жанр: Биографии и Мемуары

Серия:

isbn: 9783954889877

isbn:

СКАЧАТЬ Katastrophe

      Die Familie Englert war im Jahre 1913 wohl situiert. Beruflich und privat lief alles bestens. Großvaters ältere Schwester heiratete ihren Verlobten Nikolaus Bleilinger. Es war eine gute Partie. Entsprechend wurde eine standesgemäße, große Hochzeit im besten Gasthaus des Ortes gefeiert. Alle Honoratioren der Gemeinde waren geladen. Großvater leitete das Fest. Er hatte einige lustige Sketche einstudiert und spielte auch zusammen mit der Kapelle auf seiner Ziehharmonika zum Tanz auf. Man war ausgelassen und fröhlich, wie Menschen nur sein können, denen eine glückliche Zukunft in Aussicht steht. Dem Ansehen der Familie entsprechend wurden Speisen und Getränke serviert, dass sich die Tische bogen.

      Wenige Monate später, im Juli 1914, fielen in Sarajewo die verhängnisvollen Schüsse, die auch für Stanischitsch nicht ohne traumatische Folgen blieben.

      Der österreich-ungarische Thronfolger Erzherzog Franz-Ferdinand und dessen Frau, Herzogin Sophie von Hohenberg, wurden getötet.

      Am 28. Juli erklärte Österreich-Ungarn daraufhin Serbien den Krieg. Hunderttausende Soldaten und ebenso viele Zivilisten verloren in diesem Konflikt, der später den Namen Erster Weltkrieg bekommen sollte, ihr Leben. Ganz zu schweigen von dem immensen Verlust von materieller Habe und geistigen Werten. Es war eine Zeit, die die Welt nachhaltig verändern sollte.

      Nur ein unverbesserlicher Optimist dehnt in solchen Zeiten seine Geschäfte aus. Mein Großvater war einer von ihnen. Obwohl 1917 die meisten jungen Männer inzwischen im Krieg und an der Front waren, übernahm er einen weiteren Friseursalon. Zur Geschäftsführerin machte er die blutjunge Rosalia (kurz: Roschi). Sie war gerade 16 Jahre alt, aber unermüdlich fleißig, tüchtig und zuverlässig und ersetzte durchaus einen jungen Mann.

      Ein weiteres Interesse verband die beiden: Auch sie war mit Feuereifer dabei, wenn Theater gespielt wurde. Singen und Tanzen hatte sie als Ungarin quasi im Blut. Es dauerte nicht lange, und sie war in ihren attraktiven Chef bis über beide Ohren verliebt. Mein Großvater war diese Zuneigung durchaus recht. Aber an eine Heirat dachte er zunächst nicht. Es war Krieg. Wer konnte wissen, wie lange er die Läden noch selbst leiten konnte? Auch spürte man zunehmend die wirtschaftlichen Auswirkungen. Die Männer waren im Krieg. Das Geld der Kunden wurde knapp. Die Frauen hatten andere Sorgen, als zum Frisör zu gehen.

      Am 5. Juni 1918, kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs, heiratete Joseph Englert, der kleine Bruder meines Großvaters, Eva Martin. Sie war verwandt und verschwägert mit dem Ziegeleibesitzer, dem Mühlenbesitzer und dem reichen Schneidermeister – also eine wirklich gute Partie. An diesem Tag gab mein Großvater seine Verlobung mit Rosalia bekannt. Die betuchte Verwandtschaft war, wie zu erwarten, wenig erfreut darüber. Eine Horváth ohne Adel und ohne Vermögen – wie konnte er nur!? Die Stimmung war gereizt: „Du wirst doch nicht diese Schlawakin (die Ungarin) heiraten wollen!“ Die reichen Donauschwaben fühlten sich den einheimischen Ungarn und Serben weit überlegen.

      Rosalia hatte meinen Großvater auf das Fest begleitet. Es ist leicht nachzuvollziehen, dass sie tief verletzt war. Sie spürte die Verachtung der Familie. Wie mir später erzählt wurde, hielt sie sich die meiste Zeit abseits von den Gästen. Sie konnte sich nur schwer verständigen. Ihre Deutschkenntnisse waren mangelhaft. Aber es entging ihr trotzdem nicht, dass es offenbar um sie ging und dass die Kommentare ihr gegenüber wenig freundlich waren.

      Die Stimmung war aus einem weiteren Grund gedrückt: Mein Urgroßvater war gefallen. So kam diese Hochzeit auch aus rein praktischen Erwägungen zustande: Eva sollte ihre verwitwete Schwiegermutter im Geschäft entlasten. Das Leben musste irgendwie weitergehen. Nach der Hochzeit wurde das Geschäft auf das junge Paar überschrieben.

      Der Dritte der Brüder, Peter, heiratete die Tochter eines Viehhändlers und übernahm das Geschäft seiner Schwiegereltern. Auch er war nun gut situiert. Umso mehr glaubte sich die Familie im Recht, wenn sie den Michl wegen seiner scheinbaren Torheit kritisierten.

      Aber die politische Lage änderte sich und verschlechterte die Situation der Donauschwaben. Ihr Ansehen schwand. Das deutsche Heer war dabei, den Krieg zu verlieren. Die Grenzen wurden neu definiert.

      Am 29. Oktober 1918 erklärte der kroatische Landtag die staatsrechtliche Bindung mit Ungarn und Österreich als aufgelöst. Am 3. November wurden die Bedingungen des Waffenstillstandes seitens Österreich-Ungarns angenommen. Am 9. November verließen die auf dem Rückzug befindlichen deutschen Truppen die Batschka. Am 13. November erreichten die serbischen die Nordgrenze der Batschka. So gesehen ist der 13. November ein Schicksalstag. Die Machtverhältnisse waren plötzlich auf den Kopf gestellt. Die Bevölkerung wurde ungefragt und ungewollt ein Spielball der politischen Entscheidungen.

      Bereits am 25. November 1918 beschloss die Volksversammlung der in der Batschka und im Banat lebenden Serben, Bunjewazen, Russinen und Slowaken einstimmig, dass die Vojvodina (die Batschka und das westliche Banat) unmittelbar mit Serbien vereinigt werden soll. Die ungarischen Beamten blieben noch im Dienst, aber Mitte Dezember verlangte man von ihnen den Treueeid auf das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen. Wer sich weigerte, wurde fristlos entlassen. In manchen Fällen schob man die ehemaligen Beamten über die Demarkationslinie nach Ungarn ab.

      Von den Folgen dieser politischen Ereignisse war meine Familie unmittelbar betroffen. Plötzlich gab es eine Staatsgrenze zwischen Ungarn und Serbien. Stanischitsch, das bis dahin ein ungarisches Dorf mit deutschen und serbischen Bewohnern war, wurde nun zum serbischen Stanìsić. Nur 10 km nördlich verlief die Grenze zu Ungarn. Man errichtete einen Befestigungswall mit Bunkeranlagen und Grenzgarnison. Eine in 130 Jahren gewachsene und durch verwandtschaftliche Bande gefestigte Bindung zu den im Norden gelegenen deutschsprachigen Dörfern war brutal zerschnitten. Das sogenannte Bajaer Dreieck mit den Bezirken Baja und Almasch blieb bei Ungarn.

      Zudem wurde Ungarn von einer Inflationswelle heimgesucht. Die Folgen des Krieges und die Entwicklungen in der weltweiten Wirtschaft lasteten auf der Region. Mein Großvater war gezwungen, zunächst die Filiale seines Geschäftes aufzugeben.

      Anfang 1919, mitten in der Zeit des Umbruchs, beschlossen meine Großeltern zu heiraten. Sie feierten eine bescheidene Hochzeit im kleinen Kreis. Die Verwandten aus „Serbien“ wollten nicht ins Ausland reisen. Die Familie Horváth sah die Hochzeit ebenfalls kritisch. Vor allem konnte Roschi keine Mitgift erwarten. Aber die beiden waren entschlossen, ihren Weg zu gehen. Das Leben gab ihnen recht: Ihre Liebe hielt mehr als 50 Jahre. Doch sie wurde immer wieder auf eine harte Bewährungsprobe gestellt.

      Die politische Veränderung wurde zu einem schier unüberwindlichen Hindernis. Meine Großeltern standen zwischen zwei Welten. Wenige Monate zuvor waren sie Angehörige eines Staates, und es spielte keine Rolle, dass sie verschiedener Nationalität waren. Plötzlich war alles anders.

      Der sogenannte „Rote Graf“ Mihaly Karolyi war gezwungen, sich mit den Auswirkungen der Herrschaft der Habsburger auseinanderzusetzen. Wie überall in Europa schlug der lange Zeit schwelende Nationalismus plötzlich in Fanatismus um. Für eine wirkliche Übereinkunft zwischen den verschiedenen Interessengruppen und Völkerschaften war es im Grunde zu spät. Bei vielen steigerte sich die Ablehnung der „Anderen“ in Hass. Dieser traf besonders die eingewanderten Deutschen. Man sah sie als Feinde an. Sie waren plötzlich unerwünscht.

      Wirtschaftliche Schwierigkeiten hatten eine hohe Arbeitslosigkeit zur Folge. Viele waren gezwungen, zu sparen. In Verbindung mit nationalistischen Vorurteilen hatte dies für meinen Großvater verheerende Folgen. Er bekam immer weniger Arbeit. Zum Theater hatte er keinen Zugang mehr. Private Kunden fürchteten die Meinung der Nachbarn. Bald wusste meine Großmutter, meine Ama, kaum noch, wie sie die Lebensmittel für die Familie beschaffen СКАЧАТЬ