Название: Überleben – Was blieb von der Heimat Donauschwaben?
Автор: Barbara Kohout
Издательство: Автор
Жанр: Биографии и Мемуары
isbn: 9783954889877
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Mitten in dieser Zeit wurde meine Großmutter schwanger. Sie erwartete ihr erstes Kind – meine Mutter Katharina. Das war eine Sorge mehr für die junge Familie.
In Stanischitsch, das nur 28 km südlich von Baja lag, war die Situation völlig anders. Die serbische Regierung verordnete zunächst die Beschriftung aller öffentlichen Gebäude, Straßenschilder und Firmenschilder in serbokroatischer Sprache und kyrillischer Schrift. Deutsch und Ungarisch blieben jedoch als Zusatzsprache erlaubt. Auch in den Gemeindeverwaltungen änderte sich nur wenig. So funktionierte der Umbruch in Stanischitsch relativ reibungslos. Ausschreitungen und Willkür gegenüber einzelnen Bevölkerungsgruppen gab es nicht.
Stanischitsch hatte von jeher eine gemischte Bevölkerung. Vielleicht gewöhnte man sich deshalb schneller an die neue Situation? Doch der wirtschaftliche Einbruch war auch hier schmerzlich spürbar. Vor der Trennung wurden jährlich allein 100 bis 150 Waggons gemästete Schweine nach Zagreb, Wien und Prag verladen. Nun war der Weg nach Norden versperrt und die Handelsbeziehungen fast unmöglich. Die Einnahmen von Petervetter gingen schlagartig zurück. Wenn er überhaupt Abnehmer für die Tiere fand, deckte der Ertrag kaum die Ausgaben.
Ab Januar 1920 wurde ausschließlich der serbische Dinar als Währung anerkannt. Die ungarische Krone galt als Inflationsgeld. Man konnte sie zu einem Kurs von 4 Kronen zu 1 Dinar umtauschen. Zusätzlich wurde dabei eine Staatsanleihe von 20 % einbehalten.
Die turbulenten Ereignisse und die neu entstandenen Grenzen bewirkten, dass sich die Menschen diesseits und jenseits plötzlich als Feinde wahrnahmen. Es wurde wichtig, welcher Nationalität der Einzelne zugehörte.
Ich will die Geschichte meiner Familie erzählen, die von den Ereignissen geprägt ist, wie sie in unseren Wohnorten passierte. Das kann nicht als objektive Aussage über das Geschehen gewertet werden.
Bereits in einem Nachbarort, wie Gakowo, Siwatz, Sombor oder anderen, gab es zum Teil völlig andere Geschehnisse, teilweise geschahen schreckliche Gräueltaten. Es gab aber auch viele Zeugnisse menschlicher Güte und Hilfsbereitschaft – unabhängig von politischen, religiösen oder nationalen Zwängen.
Ein Poker um die richtige Staatsbürgerschaft, – der Not gehorchend Auswanderung
Mein Großvater war kein ungarischer Staatsbürger. Als „Serbe“ deutscher Abstammung sollte er sich innerhalb kürzester Zeit entscheiden, ob er die ungarische Staatsbürgerschaft annehmen wollte. Er litt aber unter der Ablehnung und den absichtlichen Kränkungen durch seine früheren ungarischen Freunde. Zudem war die finanzielle Absicherung der Familie mehr als ungewiss. Für ihn war es unter diesen Umständen undenkbar, die ungarische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Es stellte sich die Frage, ob die Familie nicht nach Stanischitsch übersiedeln sollte. Dort wären die Bedingungen für meinen Großvater besser. Aber meine Großmutter konnte kaum Deutsch. Das Wenige, das sie im deutschen Unterricht gelernt hatte, konnte die Umgangssprache Ungarisch nicht ersetzen. Wie sollte sie in Stanischitsch zurechtkommen?
In Serbien handhabte man die Frage der Staatsbürgerschaft großzügiger. Die Minderheitengruppen hatten eine mehrjährige Bedenkzeit, ob sie serbische Staatsbürger werden wollten. Einige wollten es, weil damit Privilegien verbunden waren. Auch stand ihnen der Staatsdienst offen. Doch viele wollten es nicht. Sie behielten ihre deutsche oder ungarische Staatsbürgerschaft bei.
Meine Großmutter war ein lebensfroher Mensch, der sich gern mit anderen unterhielt. Sie interessierte sich weniger für ihre rechtliche Situation in Serbien. Weit wichtiger war für sie die Möglichkeit, mit Menschen zu reden. Und sie hatte die offene Verachtung nicht vergessen, mit der die deutsche Verwandtschaft die Bekanntgabe ihrer Verlobung aufgenommen hatte. Sie wehrte sich zunächst verzweifelt gegen den Vorschlag ihres Mannes, nach Serbien auszuwandern. Sie war fest entschlossen, niemals ihre ungarische Staatsbürgerschaft aufzugeben.
1922 wurde meinen Großeltern ein zweites Mädchen geboren. Die wirtschaftliche Situation meiner Großeltern war weiterhin problematisch. Oft gab es nicht ausreichend Essen. Deshalb war Elisabeth zart und kränklich. Immer wieder stellte sich die Frage, wie es weitergehen sollte. Es musste eine Entscheidung getroffen werden. Schließlich stimmte meine Großmutter schweren Herzens und der Not gehorchend der Auswanderung zu. Sie erschien als das kleinere Übel. Meine Großeltern verkauften ihr Geschäft in Baja – unter diesen Umständen zu einem Schleuderpreis – und wanderten nach Stanischitsch aus. Vorübergehend konnten sie im Elternhaus meines Großvaters ein kleines Zimmer bewohnen. Das ungeschriebene Gesetz der Gastfreundschaft musste auch die Schwägerin Eva zähneknirschend einhalten.
Meine Großmutter war eine Kämpfernatur. Sie wollte sich nichts schenken lassen. So schnell wie möglich wollte sie wieder einen eigenen Hausstand haben. Der Schwägerin ging sie aus dem Weg so gut es ihr möglich war. Die verächtlichen Blicke und kritischen Bemerkungen zu ihrer fatalen Situation kränkten sie, was natürlich auch die Absicht der Schwägerin war. Nach dem Umtausch des Verkaufserlöses für ihren Besitz in Baja hatten meine Großeltern die Mittel, um ein kleines Grundstück in Stanischitsch in der Wassergasse zu kaufen. Gemessen an dem, was mein Großvater einmal besessen hatte, an seinen beruflichen Aussichten in der Zeit vor dem Krieg und den finanziellen Möglichkeiten der Verwandtschaft, war es ein winziger Besitz. Er lag neben einem Graben, der sich im Herbst und im Frühjahr mit Wasser füllte und einen Teich bildete. Im Sommer war der Graben zwar ausgetrocknet. Aber die feuchte, sumpfige Umgebung war Brutstatt für Millionen Mücken.
Doch mit viel Mut und Hoffnung starteten meine Großeltern ihr neues Leben. Das Haus errichteten sie überwiegend in Eigenleistung. Trotzig und unermüdlich arbeitete auch meine Großmutter jede freie Minute auf der Baustelle. Natürlich wurden sie von der Familie unterstützt. Dies galt als selbstverständlich. Die Verwandtschaft war jedoch nicht übereifrig. Das geplante Haus war, entsprechend der finanziellen Mittel, klein. Es wurde nach der Tradition der ersten Siedlerhäuser errichtet: Die Giebelseite des Hauses hatte jeweils ein Fenster, das „Gassenfenster“, und rechts daneben befand sich die Eingangstüre. Diese führte aber nicht direkt ins Haus, sondern zu einem Säulengang, von dem man in die einzelnen Zimmer gelangte. (Inzwischen sind alle Häuser, die ich während meiner Serbienreise besucht habe, erweitert worden, indem dieser Gang zugemauert wurde, wodurch sich die Räumlichkeiten um diesen Platz vergrößern. Das ist an den Fassaden sowie an der Dachstruktur noch deutlich zu erkennen.) Die erste Tür war der Eingang zur „Gassenstube“, dem Paradezimmer. Es wurde nur zu besonderen Anlässen genutzt. Daneben lag die Schlafkammer. Begrenzt wurde der Flur durch den Eingang zur Sommerküche. Sie war der Arbeits- und Wirtschaftsraum. Meine Großmutter pflanzte an jede der fünf Säulen einen Weinstock. Sie ließ ihn unverschnitten ranken. An heißen Sommertagen genossen wir den Schatten, zu Beginn des Herbstes die köstlichen, süßen Trauben. Der Zugang von der Straße zum Hof wurde durch ein großes hölzernes Tor versperrt.
Hinter jedem Siedlungshaus war der Wirtschaftshof mit den Schweine- und Hühnerställen und Geräteschuppen sowie der Lagerraum für Brennholz. Daran anschließend kam der Gemüse- und Nutzgarten. Ich erinnere mich vor allem an einen Quittenbaum in Großmutters Garten. Er war für unsere Familie geradezu legendär, weil er so reichliche Früchte trug. Nach relativ kurzer Bauzeit konnten sie ihr Haus beziehen, auch wenn es noch längst nicht fertig war. Was machte das schon? Sie waren wieder ihr eigener Herr im Haus.
Mein Großvater begann erneut als “Balbier“ zu arbeiten. Er fuhr mit dem Fahrrad auf die Dörfer und warb um Kundschaft. СКАЧАТЬ