Abenddämmerung im Westen. Wieland Becker
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Название: Abenddämmerung im Westen

Автор: Wieland Becker

Издательство: Автор

Жанр: Философия

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isbn: 9783957448095

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      Es wird keine Heldensage erzählt, sondern eine bittere Geschichte von maßloser Gefolgschaftstreue und einer Ehrauffassung, die alles rechtfertigt, von Verrat und Hinterlist, von gnadenloser Rache, von eitler Geschwätzigkeit, die zu einer Eskalation rücksichtsloser Gewalt führt, die unaufhaltsam alle erfasst und erst mit dem hundertfachem Tod ein sinnloses Ende findet. Als mein Vater seine Lesart des Nibelungen- und des Hildebrandtliedes Anfang der 50er Jahre herausbrachte, wählte er „Warnlieder“ als gemeinsamen Titel. Gefolgt sind ihm nur wenige.

      Was in pseudohistorischen Werken, in Trivialliteratur und Kolportagen im Sinne von Lobpreisen von Krieg und Gewalt wie auch mit dem Ziel der Herabsetzung von Gegnern aus nationalistischen, rassistischen oder anderen niederen Beweggründen heraus geschrieben wurde und wird, hat mit Kunst nichts zu tun. Es dient ausschließlich der Manipulation und Instrumentalisierung der Menschen im Sinne von Krieg als patriotischem Heldentum. Wirkungsvoll war das zu allen Zeiten.

       III. Die Toten und die Überlebenden

      Es ist nur wenige Jahrzehnte her – man schrieb das Jahr 1942, als sich der polnische Widerstandskämpfer Jan Kozielewski unter seinem Tarnnamen Jan Karski vom besetzten Polen aus auf den Weg machte, der ihn bis in die USA führte. Seine Aufgabe: die polnische Exilregierung und die Regierungen Großbritanniens und der USA über die Hölle des Warschauer Ghettos und den Massenmord an Juden und der polnischen Intelligenzija in den Konzentrationslagern zu informieren. Beim Treffen mit dem amerikanischen Richter Felix Frankfurter, selbst Jude, fiel jener Satz, der Karski auf das schwerste traf. Nach seinem Bericht sagte Frankfurter: „Mr. Karski, jemand wie ich, der zu jemanden wie Ihnen spricht, muß ganz offen sein. So sage ich, ich kann nicht glauben, was Sie mir erzählt haben.“ Auf einen Einwand des anwesenden polnischen Botschafters, antwortete Frankfurter: „Herr Botschafter, ich habe nicht gesagt, dass dieser junge Mann lügt. Ich sagte, ich sei unfähig zu glauben, was er mir erzählt hat.“

      Jan Karski konnte damals aus verständlichen Gründen nicht ein einziges Foto oder Dokument vorlegen, das seinen Bericht belegen konnte, denn die unfassbare Wirklichkeit des Krieges und der Konzentrationslager konnte erst mit deren Befreiung und dem Ende des II. Weltkrieges durch Augenzeugen, Fotografien und filmische Dokumente öffentlich gemacht werden.

      Die nachfolgenden Kriege konnten dank Kriegsfotografen wie Robert Capa oder David Douglas Duncan u. v. a. zeitgleich dokumentiert werden, wie auch durch die zahlreichen Wochenschauen in Ost und West. Dokumentarfilmer gingen in die Krisenregionen, um wie die Fotografen unter Einsatz ihres Lebens authentisches Material zu schaffen.

      Schon damals wurde die Suche nach der dem wahren Gesicht des jeweiligen Krieges aus politischen Gründen diesseits und jenseits des „Eisernen Vorhangs“ nicht nur eingeschränkt, sondern zensiert und manipuliert. Ein Beispiel dafür findet sich bei David D. Duncan. Er zeigt eine Fünf-Cent-Briefmarke aus der Zeit des Koreakrieges, die eine Gruppe GI’s auf einer Straße auf dem Vormarsch abbildet Heldenhaft und edel sollten diese Soldaten wirken. Duncan stellt der Briefmarke sein Originalfoto gegenüber: darauf sind am Straßenrand neben den marschierenden „Helden“ die Leichen mehrerer Koreaner zu sehen.

      Mit Fernsehen und Internet wuchs die Bilderflut zu den Schauplätzen von Kriegen und Bürgerkriegen ins Unermessliche. Mit Handys aufgenommen oder gefilmt, dokumentieren sie nicht nur die Kämpfe sondern ebenso das Sterben von Soldaten, Frauen und Kindern in schrecklichen Momentaufnahmen.

      Für die im Folgenden dokumentierten Kriege brauchte ich kein Nachschlagewerk. Sie alle gehören zu meinen Erinnerungen, zu denen neben aktuellen Berichten, Büchern, Filmen auch fotografische Dokumente gehören: Die Aufnahmen, die den gefesselten Lumumba mit zwei Gefährten zeigen, die von einer Soldateska auf einen Lastwagen gestoßen werden; die kaum oder gar nicht bekleideten vietnamesischen Kinder, die versuchen, sich nach einem Napalmangriff in Sicherheit zu bringen, verfolgt von einer Meute US-amerikanischer Fotografen und Kameramänner; eine Aufnahme aus der Zeit des Bürgerkrieges in Bangladesch – ein Flussbett, wahrscheinlich der Ganges, voller nackter Leichen, die von ihren Mördern ins Wasser geworfen wurden, auch hier Männer, Frauen und Kinder... und unzählige andere Dokumente von Krieg und Tod.

      Als am 10. Dezember 2012 der Friedensnobelpreis an die EU für ihren „Einsatz für Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechte in Europa“ überreicht bekam, wurde gern und häufig von einer 60jährigen Friedensperiode des europäischen Kontinents gesprochen und geschrieben. Geschichtskundige waren ob der Begründung des norwegischen Nobelkomitees mehr als erstaunt, da es die genannten Verdienste um den angeblich 60jährigen Frieden so nicht gegeben hat. Dafür waren aber wenigstens Politiker und Apologeten des Neoliberalismus beglückt über das, was ihnen da attestiert wurde…

      Die Legende von der 60jährigen Friedensperiode klingt ja sehr schön; einer sachlichen Überprüfung hält sie nicht stand, weil sie ein unfrommer Selbstbetrug ist.

      Zum ersten deshalb, weil zwischen dem (tatsächlichen!) Ende des II. Weltkrieges auf europäischem Boden und dem Ausbruch des Bürgerkrieges in Jugoslawien 1991 eben nur 41 Jahre liegen – denn erst 1950 endete der griechische Bürgerkrieg zwischen dem bürgerlichen Widerstand, ELAM, und der Organisation des kommunistischen Widerstandes, ELAS, mit dem Sieg der von britischen und US-amerikanischen Streitkräften unterstützten ELAM.

      Blutige Bürgerkriege gab es nach Kriegsende in Polen (hier siegten die Kommunisten), in der Ukraine und in den baltischen Staaten, als nationalistischen Gruppierungen wie auch Kollaborateure, die den deutschen Eroberern auch als Mordgehilfen zur Seite gestanden hatten, einen Partisanenkrieg gegen die Rote Armee führten, bis sie vernichtet worden waren.

      Zum zweiten deshalb, weil Frankreich bis 1962 zwei blutige Kolonialkriege führte: Bis 1954 in Indochina, bis zum Fall der letzten französischen Festung von Dien Bien Phu, und bis 1962 in Algerien, als Frankreich seine letzte große Kolonie in die Unabhängigkeit entlassen musste. Ein Krieg, der die französische Nation spaltete. Gegner dieses Krieges, nicht zuletzt Wissenschaftler und Künstler, wurden verfolgt, hunderte von Büchern, Filmen und publizistischen Arbeiten fielen der Zensur zu Opfer. Es waren zwei Kriege, die, formal gesehen, nicht in Europa ausgetragen wurden, aber trotzdem – alles andere wäre zynisch – die Legende von der 60jährigen Friedensperiode widerlegen.

      Auch der Nordirlandkonflikt, der 1969 wieder aufflammte und erst 1998 beendet werden konnte, führte zu einem permanenten Kriegszustand. Von den so hoch gepriesenen 60 Jahren bleiben letztlich ganze sieben Jahre ohne militärische Konflikte. (Eigentlich nur sechs, weil 1968 die Armeen der Warschauer Vertragsstaaten in die ČSSR einmarschierten. Aber wenn man es formal betrachtet, geschah das außerhalb der EU.)

      Zum dritten deshalb, weil die Mitgliedsstaaten der EU keine eigenen Verdienste an dieser Friedensperiode hatten. Dass Europa nach 1945 keinen neuen Krieg auf seinem Territorium erleben musste, lag ausschließlich daran, dass die beiden Großmächte USA und UdSSR im Zeichen des „Kalten Krieges“ und der „Nuklearen Abschreckung“ eine direkte Konfrontation nicht riskierten; dafür gab es einige der so genannten „Stellvertreter-Kriege“, wie in Vietnam.

      Dass Europa vom großen Krieg mit einem nuklearen Inferno verschont blieb – schließlich wären die Armeen aller NATO-Staaten und der „Warschauer Vertrags“-Staaten in diesen gezogen – verdankt der Kontinent auch zwei Offizieren, die viel riskierten, aber letztlich – glücklicher Zufall – als die richtigen Militärs in entscheidenden Momenten am richtigen Platz waren.

      Dass es sich um zwei Offiziere der sowjetischen Armee handelt, mag einerseits dem Zufall geschuldet sein, kann aber andererseits in weitem Sinne damit in Verbindung gebracht werden, dass die USA um vieles häufiger direkte und СКАЧАТЬ