Название: Das Mitternachtsschiff
Автор: Wilfried Schneider
Издательство: Автор
Жанр: Исторические любовные романы
isbn: 9783957440839
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Der sanfte Fluss zieht an dem Stein vorbei, auf dem meine Liebste sitzt.
Sie hat die Frage gefragt, wann ich von meiner Reise wiederkehre.
Zähle die Wassertropfen, die Gott Hapi schuf.
Zähle die Blätter an den Weinstöcken deines Vaters.
Zähle die Vögel im Wind, wenn sie das Südliche Haus suchen.
Kennst du die Zahlen, weißt du …
Das Lied starb im Zorn des Zweiten Admirals. Einer der Steuerleute hatte sein Ruder zu locker gefasst, sein Ellbogen traf Abdi-ashirta an der Brust.
»Herr, verzeih!«, rief der erschrockene Mann. »Er hat so schön gesungen, so schön. Ich habe geweint, weil ich an mein Mädchen gedacht habe.«
»Zimri-da!«, rief der Admiral. Es war zu spät. Sein Vertreter riss dem Sänger die Laute aus den Fingern und zerschlug sie auf dessen Kopf.
»Ruderer rudern! Sie singen keine Gesänge!« Die Worte verrieten Zimri-das Erregung.
»Pabener! Bist doch kein Blinder! Singst, als hättest du die Tränen von hundert heulenden Weibern getrunken!«
»Zupfst auf dem Ding wie ein Günstling!«
»Bist was Besseres, was, du Hofmusikant!«
»Stopf dir die Laute in den Arsch, dann spielt der die Lieder!«
Die Männer johlten und riefen dem Sänger ihre Spottworte über das Schiff. Abdi-ashirta ging zu dem Ruderer. In den Augen Pabeners stand Wasser, er hockte auf dem Boden, die zerstörte Laute neben sich.
»Sie ist aus Babylon, ein letztes Geschenk meines Vaters.« Abdi-ashirta strich mit den Fingern über den Resonanzkörper aus Schildkrötenpanzer und den Gänsekopf, der das Griffende zierte. Pabener drückte seine Lippen auf das Instrument und warf es über Bord.
»Ich singe nun meine Lieder ohne sie. Ich war doch zu dieser Stunde frei vom Ruder.« Er sah zu Zimri-da und schüttelte den Kopf. Abdi-ashirta versuchte ihn zu trösten und die Tat seines Vertreters zu erklären, doch die Worte gingen nicht in die Ohren des Sängers.
»Eines Tages hören sie zu. Zweimal habe ich auf einem Boot gesungen, das der Hapi in die Lotosblüte trug. Fünf Schiffe drehten heran, damit man mich besser verstehen konnte.« Er sang erneut, dieses Mal in alten kemetischen Worten, die er sehr leise sprach, dass kaum der Mann neben ihn in der Bank sie zu hören vermochte. Mit Mühe verstand der Admiral die schweren Verse über eine Seereise nach Punt. Er beugte den Kopf zu Pabener und konnte den Sinn nicht glauben, der aus dem Lied sprach. Es war die Klage von Männern, die Bauteile eines Schiffes vom Hapi in das Lazurwasser trugen, um Weihrauch aus diesem Land zu holen.
Wund sind unsere Füße vom Weg, den du uns schickst.
Noch sehen wir nicht die Stadt am Meer, doch wir dienen dir gern,
schöne Göttin Hatschepsut.
»Pabener!« Zimri-da ließ die Peitsche im Gürtel. Pabener war ein Freier, und der Admiral stand neben ihm. Das Lied brach ab. Der Ruderer bückte sich und nahm seinem Nebenmann die Arbeit, obwohl die Zeit dafür noch nicht gekommen war. Abdi-ashirta stieg zum Heck zurück und blickte über das im Lichte Res gleißende Wasser zum Ufer der Abendseite, das an diesem Tag nichts weiter war als eine sanft geschwungene, kaum wahrnehmbare Silhouette aus Sand und Fels.
Sie machten gute Fahrt, so hatten es Hir-Rectars Erdkundige voraus gesagt, die Strömung und Wind bis zum Ende der bekannten Welt als günstig schätzten. Er maß den Sonnenstand, wie Kerifer-Neith es gewünscht hatte, rollte einen Papyrus auf die Planken und schrieb seinen ersten Eintrag. An welcher Küste mochte die Kemet wohl fahren, wenn seine Zeichen den unteren Rand erreicht hatten? Die Bauern am Hapi schnitten bereits den Emmer, die Gelehrten in Zor hatten ihn mitteilen lassen, dass diese Zeit des Beginns zu spät sei, doch fehlte im Frühsommer noch ein Drittel der Ruderer.
»Pabener, weißt du mehr über Punt?«
»Ich weiß nur, was ich singe, Herr.«
Im Lied war von dem geweihten Tal gesprochen, das die toten Könige aufnahm. War Ueset der Ort, an dem die alten Seefahrer den Hapi verließen und ihr Schiff zum Lazurwasser trugen? Die Fahrten nach Punt um Weihrauch, dem Nebel der Götter! Hatten auch damals die Sidoner den Kemeten geholfen, wie Hir-Rectar es wusste? Der Gedanke entglitt, die Zeiten stimmten nicht. Als König Hiram Sidoner nach Punt schickte, war Hatschepsut längst in der westlichen Welt. Warum lebten die Fahrten nach dem Süden nicht in der Erinnerung weiter wie in Pabeners Lied? Oder lagen sie vergessen in den Gräbern des Wissens unter Zors Berghängen, geschützt vor den Augen der Feinde? Vor acht Königsgeschlechtern waren Kemeten nach Punt gefahren! Vor vielhundert Sonnenläufen! Der Admiral sah erneut zur Abendseite, seine Fantasie ließ ihn durch das karge Land zum Hapi ziehen, dessen Wasser zwischen grünen Ufern zum Inneren Meer flossen. Er versuchte sich Inu vorzustellen, die Siedlung im Süden, deren Namen das Lied erwähnte.
Und sie brachen auf,
das Schiff auf den Schultern,
die Hoffnung im Herzen.
Vier Tage Marsch zum Lazurwasser. Er wusste, dass dort einst Siedlungen lagen, die als Stützpunkte noch heute unwegsame Küstenregionen bewachten. Seine Hände pressten den Leib. Die Erregung hatte zu einem Krampf geführt. Paros, der Arzt, stolperte mit den Bewegungen der Kemet zwischen den Bänken hin und her, redete auf die Ruderer ein, gleich ob Freier oder Sklave.
»Herr, bitte antworte uns!« Die Steuerleute hatten das dritte Mal gefragt, ob sie wegen der starken Strömung näher zum Ufer halten sollten. Abdi-ashirta befahl dem Rudermeister, die Schlagzahl zu halbieren. Die Männer in den Bänken wechselten die Plätze. Die Schläfer, wie die Abgelösten von den Kameraden genannt wurden, starrten reglos vor sich hin, nahmen einen Schluck Wasser aus den Tageskrügen und lehnten sich stumm gegen das Holz.
Abdi-ashirta blickte in die Gesichter der Männer, die bei vielen schmal waren, mit den gebogenen Nasen von Sidonern. Zeitsklaven aus Gebal saßen neben Unfreien, die ihr erwachsenes Leben fast ausschließlich auf Schiffen verbracht hatten. Die fehlende Hoffnung prägte sie, wurden sie angesprochen, brauchten sie zwei oder СКАЧАТЬ