Название: Auf Wiedersehen, Bastard! (Proshchay, ublyudok!) 2 - Die Stimmen von Moskau
Автор: Tino Hemmann
Издательство: Автор
Жанр: Триллеры
isbn: 9783954888993
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Der Junge stand vom Rechner auf, zog die Ohrstöpsel aus den Ohren und warf sich aufs Bett. Er lauschte dem hässlichen Aprilwetter. Regen trommelte gegen das Fenster, Sturmschauer änderten die Luftdruckverhältnisse im neuen Haus, das recht einsam und außerhalb der sächsischen Stadt Leipzig gelegen war. Der Vater hatte es bauen lassen, nachdem das alte Haus an gleicher Stelle vor einem knappen Jahr von Lauras Vater zerstört worden war. Während der Planung und der Bauphase hatte Fedor beharrlich seine Forderungen und Wünsche durchgesetzt. So war ein einstöckiges Haus mit einem großzügigen Grundriss, mit Türen ohne Schwellen und unzähligen kleinen und großen Hilfen für einen blinden Jungen entstanden. Fedors Zimmer war praktisch und ohne Kanten eingerichtet, sein Weg zu den Sanitärräumen kurz und ohne Hindernisse.
Selbstverständlich hatte Fedor in der Schule den einen oder anderen Freund, doch keiner – und schon gar kein Mädchen – kam mit seiner Behinderung so zurecht wie einst Laura. Keiner der jetzigen Freunde war mit dem blonden Mädchen vergleichbar. Laura schrieb ihm über die elektronischen Medien, rief manchmal auch an, doch ihr damals erfühltes Gesicht verblasste mehr und mehr in Fedors Erinnerungen. Zudem wurden die Kontakte seltener, die Beziehungskurve neigte sich abwärts. Lauras Mutter hatte der Tochter den Kontakt in die Bundesrepublik verboten, das wusste Fedor längst.
Im neuen Haus gab es zwei kleine Gästezimmer und ein Gästebad. Dieser Bereich wurde extrem selten bewohnt und genutzt, denn Fedors Vater war seit vierzehn Jahren mehr oder minder solo.
Für eine gewisse Zeit war er mit Katie liiert gewesen, der Kriminalassistentin von Hans Rattner, einem Hauptkommissar der Mordkommission in Leipzig und dem besten Freund von Anatolij Sorokin. Doch irgendwie war die Beziehung mit Katie nach den Ereignissen des vergangenen Sommers in die Brüche gegangen. Hin und wieder war Katie anfangs im neuen Haus zugegen gewesen, Fedor erlauschte jedoch, dass sie mit seinem Vater definitiv keinen Sex mehr hatte. Dann war die Weihnachtszeit gekommen, sie hatte sich plötzlich zu einem anderen Mann hingezogen gefühlt und kam seitdem nicht mehr vorbei. Im Januar hatte sie sich versetzen lassen und war weggezogen.
Manchmal tauchte Hans Rattner auf. Er sorgte sich sehr um Fedors Befinden, gab dem Jungen gut gemeinte Ratschläge und beschäftigte sich mit ihm.
Da gab es aber noch diese zweite Frau, deren Kosename obskurerweise ebenfalls Katie war, obwohl sie Jekaterina Ruslanowna Wolkowa hieß. Sie wohnte mit ihren zwei kleinen Nervensägen Anton und Natascha in Moskau. Fedor wusste mit großer Sicherheit, dass der Vater diese Frau geliebt hatte und wahrscheinlich noch immer innig liebte. Und er war verwundert, dass Katie keinen Kontakt mit dem Sorokin-Zweiergespann in Leipzig pflegte. Vielleicht lag es ganz einfach an den in der Moskauer Wohnung fehlenden technischen Mitteln. Doch das konnte lediglich eine schlechte Ausrede sein. Jekaterina Wolkowa war einer der wenigen Menschen, dessen Gesichtszüge und -form sich in Fedors Gehirn fest eingeprägt hatten. Sie war ihm aus dem Stegreif sympathisch gewesen.
Die Einsamkeit außerhalb der Schule und seiner Integrationsklasse machte Fedor zu schaffen. Das Haus lag abseits der Stadt und der Vater war oft nicht da. Fedors beste Freunde wurden ein Android-Tablet und ein Computer, seine medialen Kontaktstellen zur Außenwelt.
Anatolij Sorokin erhielt im SEK neue Aufgaben, da sein Sohn nun selbstständiger und älter geworden war. Während er bislang meist irgendwelche unbedeutenden Aufgaben im Personenschutz zu lösen gehabt hatte, erhielt er mittlerweile komplexere Aufträge. Rattner riet ihm, sich beim MEK – dem Mobilen Einsatzkommando – zu bewerben, das, im Gegenteil zum SEK, direkt der Kriminalpolizei unterstellt war. Das passte aber den Vorgesetzten Sorokins vom SEK nicht, das in Sachsen der Landespolizeidirektion Zentrale Dienste unterstellt war. Die wollten einen guten Mann wie Sorokin nicht so einfach abgeben. Die Ameise war in der internen Hierarchie des SEK aufgestiegen und hatte bereits einige brisante Einsätze geleitet, zum Beispiel einen gefährlichen Einsatz während eines Bankraubs mit Geiselnahme in einer sächsischen Kleinstadt. Ironischerweise hatte ihn dabei auch eine MEK-Einheit unterstützt. Letztendlich lebte Sorokin häufiger mit verstecktem Gesicht als mit offenem.
Fedor bekam die Mehrarbeit des Vaters zu spüren. Normalerweise ersetzte ihm der körperliche Kontakt jeden Blickkontakt sehender Menschen. Er genoss es, wenn seine Hand von der des Vaters gehalten wurde, während er dessen Gesicht erfühlen durfte, wenn der Vater abends am Bett seinen Kopf streichelte. Außerdem fehlte dem Jungen die Kommunikation. Er liebte es, Fragen zu stellen und schaffte es, auf jede Antwort eine neue Frage zu finden, vor allem dann, wenn er etwas nicht gänzlich verstand. Der Junge lauschte oft den Nachrichten oder populärwissenschaftlichen Sendungen im Fernsehen und im Radio, ließ sich von einer computergenerierten Stimme seitenweise Informatives aus Wikipedia vorlesen und fand stets und ständig fragwürdige Dinge, die einer weiteren Erklärung bedurften. Der Drang, seine dunkle, graue Welt vollends zu erfassen, war immens. Und nebenbei schwang stets und ständig ein wenig Angst um den Vater in Fedors Gedanken mit, die sich mit der Dauer der Abwesenheit Sorokins deutlich steigern konnte.
Dieser Donnerstag vor dem Osterfest war einer jener Wartetage. Die Schule war frühzeitig beendet, der Bus brachte ihn schnell nach Hause und das Wetter sperrte Fedor ein. Zudem war er angespannt, denn sein Vater hatte versprochen, in der Ferienwoche nach Ostern Urlaub zu nehmen und mit Fedor zu verreisen. Wohin es gehen sollte, hatte er allerdings noch nicht verraten.
Der Junge angelte ein zweites Paar Ohrhörer aus einer Halterung neben dem Bett, berührte die Knöpfe seines Android-Tablets und lauschte den Worten eines Sprechers, der einen weltbekannten Thriller vorlas. Dem Sprecher gelang es allerdings nicht, die Spannung hochzuhalten, so dass Fedors lange schwarze Wimpern mit den Augenlidern allmählich die dunklen Pupillen seiner defekten Augen verdeckten. Er schlief nur so lange ruhig, bis ihn die Träume in eine Welt der Erinnerungen schickten, die für unablässige Bewegungen seiner Mimik und für das Zucken seiner Gliedmaßen sorgten.
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Artjom, der Riese, packte ihn, trug ihn unterm Arm wie ein Plüschtier und rannte in den engen Duschraum. Er zerrte ein Gitter aus der Halterung. »Geh da hinein! Kriech, so weit es geht! Und sei ganz still!« Fedor kroch in den engen Schacht, der aufwärts führte, erfühlte die breiten Fugen und stemmte Rücken und Füße gegen die Wände. Stück um Stück kroch er aufwärts, hielt sich irgendwo an einem rostigen Eisen fest. Und wenn die Kräfte nachließen, zog er sich mit Klimmzügen höher und kroch weiter. Fedor hatte das Ende des Schachtes und das seiner Kräfte erreicht. Schüsse krachten! Der Schacht endete in einem Blechaufsatz auf dem Dach des Hauses, der ein letztes Mal abbog und dann von einem Gitter verschlossen war. Der Junge quetschte sich in dieses Ende und lauschte. Wind pfiff in den Schacht, doch zwischendurch hörte Fedor deutliche Stimmen, denn auf dem Dach waren mindestens zwei Männer! Schritte trampelten auf dem Dach herum. Fedor hielt die Luft an. Er zuckte zusammen, als erneut mehrere Maschinenpistolen gleichzeitig ratterten. Unzählige Salven steigerten Fedors Angst. Eine Pistole knallte und Fedor brüllte innerlich. Tränen liefen über seine Wangen, sein Herz raste. Dann herrschte plötzlich Ruhe, Stimmen und Schritte auf dem Dach vor Fedor waren nicht mehr zu hören. Die Zeit verging, viel Zeit. Der Junge wagte noch keine Regung. Doch dann krochen erste Rauchgase durch seine Nase, drangen in die Lunge vor, drohten ihn zu ersticken. Sirenen von Rettungswagen erklangen. Schweiß ertränkte Fedor im engen Schacht, er verspürte die beklemmende Atemnot, hustete und prustete. Der Schacht saugte heißen Qualm aus der brennenden Wohnung weit unter ihm. Mit aller Kraft trat Fedor gegen das Gitter, das endlich nachgab und über das Dach davonflog. Er kroch hastig aus dem Schacht, eingehüllt in eine Wolke Qualm, Hustenanfälle zerrissen fast seinen Brustkorb. Fedor erhob sich auf die Knie. Er wagte es nicht, sich auf dem Dach zu bewegen. Dann aber hörte er eine Stimme: »Komm her, Junge! Schnell!« Flammen loderten, die Luft kochte. »Ich kann doch nichts sehen!«, brüllte Fedor mit letzter Kraft. Er klickte hektisch, setzte die Echoortung ein, um den Abgrund des Flachdaches zu finden, kroch über das flache Dach in Richtung der fremden Stimme. Schließlich griff er ins Leere und stürzte СКАЧАТЬ