Название: Leise Musik aus der Ferne
Автор: Manfred Eisner
Издательство: Автор
Жанр: Исторические приключения
isbn: 9783954885756
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Die Söhne – Hans-Peter, Johann, Ewald und Christian – stehen rasch auf und begrüßen ihn voller Respekt.
Der mit brennenden Kerzen bestückte Lüster erhellt festlich den Raum. Auf der Anrichte leuchten neben der kaiserlichen Büste weitere Kerzen in einem silbernen Kandelaber. Der Spiegel vervielfältigt den Schein der Lichter.
Der Tisch ist für den späten Abendtee gedeckt. Der Hausherr liebt Blumen auf dem Tisch: In dessen Mitte steht eine hohe Kristallvase voller Osterglocken.
Oliver setzt sich und gibt seiner Schwester ein Handzeichen: „Nun, liebe Schwester, lass bitte den Tee auftragen.“
Tante Alexandra läutet mit der kleinen Silberglocke. Als das Lenchen mit dem Teeservice den Raum betritt, schlägt die große Uhr. Lenchen schenkt den Tee in die schönen Porzellantassen mit dem Goldrand ein. Am Kopf des Tisches blickt der Alte auf Christian und lächelt. Er ist sein Jüngster, dichtet Sonette; er hat die gleichen Augen wie seine geliebte, selige Frau.
„Na, mein Sohn, was machen denn deine Balladen?“ Für Oliver sind Balladen und Sonette das Gleiche.
Christian erwidert mit weicher Stimme: „Lieber Papa, ich dichte Sonette, keine Balladen.“
Der Alte gibt sein kurzatmiges Lachen von sich und streicht sich mit einer ihm eigenen Bewegung über den Schnurrbart. „Wer sagt es denn: ein wahrhaftiger Poet in unserer Familie.“
Die anderen lächeln.
Christian senkt verlegen die Augen. Tante Alexandra blickt liebevoll auf die jungen Neffen.
„Meine Selige dichtete ebenfalls Sonette, als sie noch ein junges Mädchen war …“ Der alte Oliver wendet seinen Blick auf das Bildnis an der Wand, auf seine geliebte Henriette, schon vierzigjährig heimgegangen. Der Maler besaß eine besonders glückliche Hand, hatte er doch den Ausdruck dieser blauen Augen, die wunderschön geformten Lippen und die gerade, noble Nase vorzüglich festgehalten.
Oliver blickt zurück auf die Söhne und fühlt sich von einer tiefen Traurigkeit ergriffen. Wenn nur seine Henriette die erwachsenen Söhne hätte erleben können … Ach, was soll’s, auch ich werde bald sterben, und wenn es einen Himmel gibt, dann werde ich sie dort wiedertreffen und zu ihr sagen: „Mein Liebling, unsere Söhne sind herangewachsen und wohlgeraten. Hans-Peter wird bald heiraten, Johann hat seine kaufmännische Lehre fast beendet. Ewald wird Wald- und Forstwirtschaft studieren, und stell dir vor, der Christian dichtet Sonette …“
Tante Alexandra ist erstaunt über das Schweigen des Bruders: „Fehlt dir etwas, lieber Bruder? Ist es etwa deine Leber?“
„Ach was, Leber!“ Hand an den Schnurrbart, Hüsteln. „Nichts, ich habe nur nachgedacht …“
Das Gespräch flackert wieder auf: die Schweinepreise, die Lokalpolitik, das zunehmende Wachstum der Gewerkschaften, die schon zwei Millionen Mitglieder zählen sollen. Draußen jagt ein Frühlingssturm die schwarzen Wolkenfetzen über das Firmament, die Fenster klirren ab und zu, wenn die heftigen Windböen dagegenprallen.
Während seine Hand über den Schnurrbart streicht und ab und zu von seinem Hüsteln unterbrochen wird, erzählt der alte Oliver von Steinberg wieder einmal die Geschichte des Kaiserbesuches in Oldenmoor.
„In diesem Raum speiste Kaiser Wilhelm I., Gott sei seiner Seele gnädig. Ich erinnere mich daran noch ganz genau, so als ob es gestern gewesen wäre. Ich war damals ein sehr kleiner Junge und habe die Bedeutung nicht begriffen … Der Papa zog seine Generalsuniform an, um den Kaiser zu empfangen. Als Seine Majestät dort durch diese Tür schritt, hatte ich ein unbeschreiblich schönes Gefühl. Die Begrüßungsworte, die ich aufsagen sollte und so oft geübt hatte, blieben mir einfach im Halse stecken. Ich kniete vor dem Kaiser nieder und küsste seine Hand. Er sah mich nur an und lächelte mir nickend zu.“
Alle schmunzeln schweigend.
* * *
Ein Sommernachmittag im Jahre 1911.
Tadeusz Rembowski, der Pole, der eine kleine Bäckerei im angrenzenden Haus betreibt, klopft an die Haustür der Familie von Steinberg und bittet um Einlass, um den „hohen Herrn“ zu sprechen.
Man führt ihn ins Esszimmer. Da steht er, unbeholfen und unruhig, blickt mit angsterfüllten Augen auf sein Spiegelbild. Er hat einen verzweifelten Ausdruck in seinen braunen Augen. Schweißperlen glänzen auf Nase und Stirn. Das gerötete Gesicht ist eine Maske voller Beklommenheit. Er wartet voller Ungeduld und mit krampfhaft verschlungenen Händen.
Schritte nähern sich. Der Bäcker dreht sich um: Der Hausherr betritt den Raum.
„Wie geht es Ihnen, Herr Rembowski?“
„Danke, Herr Oberst, danke …“
Sie geben sich die Hände.
„Nehmen Sie doch Platz.“
Tadeusz setzt sich. Unbeholfen wagt er sich kaum auf den Sessel. Er sitzt gerade, knapp auf der Vorderkante des Polsters. Oliver von Steinberg lehnt sich gemütlich in den gegenüberstehenden Sessel zurück und fragt mit gönnerhaften Stimme: „Und wie geht es Ihrer Frau Gemahlin?“
Anfänglich scheint Tadeusz Rembowski die Frage nicht verstanden zu haben. Danach, plötzlich, als ob er von einem Traum erwacht, gibt er ein „gut“ von sich, das in seinem Weinen erstickt.
Oliver von Steinberg blickt ihn verwundert an: „Aber, um Gottes willen, was haben Sie denn, Herr Rembowski?“
Der Bäcker zieht ein zerknülltes Taschentuch hervor und wischt sich die Tränen aus den Augen.
„Ist jemand gestorben?“
Tadeusz schüttelt den Kopf. Oliver steht auf und legt seine Hand auf die Schulter des Nachbarn. „Verdammt noch mal, Mann, erzählen Sie schon, was Sie derart bedrückt!“
Hüsteln, Hand an den Schnurrbart.
„Was hat man denn Ihnen angetan?“
Das Gesicht im Taschentuch verborgen, schluchzt der Bäcker: „Die Bank, die verwünschte Bank …“
„Potz Teufel! Erzählen Sie mir doch die ganze Geschichte geradeheraus, Herr Rembowski.“ Er gibt seiner Stimme einen beleidigten Unterton, den er gar nicht so meint. „Weinen Sie nicht, ein Mann darf doch nie weinen!“
Tadeusz Rembowski hebt das Gesicht. Die Tränen kullern ihm über die Wangen und tropfen auf den Kragen seines grauen Hemdes. Und dann erzählt er in seinem Kauderwelsch, dass die Bank ihm angedroht habe, einen von ihm unterschriebenen und überfälligen Wechsel zu protestieren, weil er nicht bezahlen könne. Es werde ein Unglück geschehen, seine Kreditwürdigkeit gehe verloren, niemand mehr werde in der Bäckerei Rembowski einkaufen wollen. Seine Frau werde vor Kummer an Herzversagen sterben, eine Katastrophe!
Sein Gesicht versinkt abermals im Taschentuch und er setzt sein Weinen noch lauter fort.
Der alte Oliver hüstelt und streicht sich über den Schnurrbart. Er geht im Esszimmer schweigend auf und СКАЧАТЬ