Leise Musik aus der Ferne. Manfred Eisner
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Название: Leise Musik aus der Ferne

Автор: Manfred Eisner

Издательство: Автор

Жанр: Исторические приключения

Серия:

isbn: 9783954885756

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СКАЧАТЬ was ist es, etwa ein Roman?“, fragte ich gespannt.

      Veríssimo nickte lächelnd. „Ja, genau! Ein Roman. Und für mich sogar ein ganz besonderer. Aber ich weiß nicht, ob Sie das überhaupt interessieren wird.“

      „Doch, doch, erzählen Sie, bitte!“, bedrängte ich ihn. Er hatte mich tatsächlich neugierig gemacht.

      „Also gut. Die Originalfassung dieses Romans habe ich schon vor vielen Jahren, genauer gesagt im Jahre 1934, in Brasilien geschrieben, um an einem Literaturwettbewerb teilzunehmen. Er wurde prämiert und das Buch wurde sogar ein Erfolg.“ Er machte eine Pause und setzte nachdenklich fort: „Vielleicht wissen Sie, wie es in der Gedankenwelt des Autors einer von ihm verfassten Geschichte geht. Mit der Zeit identifiziert er sich dermaßen mit den Personen seines Werkes, dass diese für ihn an Realität gewinnen, so als ob sie in Wirklichkeit existierten. Er beschäftigt sich mit ihnen derart intensiv, bis sie seine Gedanken vollkommen beherrschen. Er kommuniziert und lebt sozusagen Tag für Tag mit ihnen. So ging es auch mir mit meiner ‚Musica ao Longe‘. Vor etwa einem Jahr kam mir zunächst die Idee, dieses Buch ins Deutsche zu übersetzen. Aber dann fand ich, dass es für den hiesigen Leser wohl kaum besonders interessant sein würde. Die damalige Zeit liegt weit zurück und der Ort und die Hintergründe der Handlung würden hierzulande kaum Anklang finden. Daher ließ ich diesen Gedanken fallen.

      Dann geschah plötzlich in meiner Gedankenwelt eine eigenartige Metamorphose: Meine Hauptfiguren, Clarissa und Vasco, spukten immer heftiger in meiner Fantasie herum, und siehe da, eines Tages verwandelten sie sich in Clarissa und Heiko! Und so entstand nach und nach diese ‚Leise Musik aus der Ferne‘.“ Er blätterte in dem abgegriffenen Heft. „Aus dem kleinen Städtchen Jacarecangá im Staate Rio Grande wurde Oldenmoor, irgendwo im Nordwesten Schleswig-Holsteins zwischen Marsch und Geest. Die stolze Sippe der Albuquerques wandelte sich in die herrschaftliche Familie von Steinberg; Seu Locadio Santarem, mein liebenswerter und schalkhafter Pseudoweise, schlüpfte in die Hülle von ‚Onkel‘ Harald Suhl. Aus dem italienischen Bäckersohn ‚Pé de Cachimbo‘ Gamba wurde sein polnisches Konterfei ‚Klumpfuß‘ Rembowski. Den anderen Romanfiguren erging es ebenso.“

      Er trank einen Schluck und besann sich für einen Augenblick. Dann fuhr er fort: „Die geänderten Persönlichkeiten, der Umzug aus dem fernen Brasilien in die hiesige Umgebung, eine vollkommen anders geartete Welt, und, vor allem, der rundweg ungleiche zeitlichhistorische Hintergrund, der gerade in dem Deutschland der schicksalhaften neunzehnhundertdreißiger Jahre eine so bedeutende Rolle spielt, verliehen den Figuren und deren Rollen in meinem Roman eine besondere Eigendynamik, die allerdings, wie ich recht hoffen will, dem Charme meiner ursprünglichen Geschichte keineswegs geschadet hat.“

      Ich hatte ihm aufmerksam zugehört und war tief beeindruckt. „Könnte ich mir vielleicht das Buch einmal ansehen?“, fragte ich darauf.

      „Ich hätte eigentlich nichts dagegen“, antwortete er mit dem ihm so eigenen Schmunzeln. „Doch leider ist meine Handschrift ziemlich unleserlich und dieses Manuskript steckt voller Korrekturen. So ergibt es wirklich keinen Sinn!“

      Während der folgenden Pause sah er mich an. Dabei musste er offensichtlich die Enttäuschung, die auf meinem Gesicht geschrieben stand, bemerkt haben, denn er fügte rasch hinzu: „Wenn Sie es aber wirklich möchten, kann ich Ihnen ein wenig daraus vorlesen.“

      „Das finde ich sogar noch viel besser!“, sagte ich.

      Der Schriftsteller klappte sein Manuskript auf und las mit melodischer Stimme vor.

      Clarissa zeichnet mit Kreide jene Landschaft auf die Tafel, die ihre Schüler später nachzeichnen sollen. Ein Häuschen mit Tür und Fenstern auf einem Hügel, daneben eine mächtige Esche. Wie bei uns zu Hause, denkt sie im gleichen Augenblick, in dem sie den mächtigen Stamm und die Äste zeichnet. Dazu einen Weg, der sich durch die Landschaft schlängelt, um sich am Horizont zu verlieren. Kreidewölkchen auf dem schwarzen Tafelhimmel, eine runde und fette Sonne mit funkelnden Strahlen, ein kleiner Teich, in dem Enten schwimmen …

      Clarissa geht einige Schritte zurück, um ihr Werk zu begutachten. Das Murmeln der Stimmen hinter ihr nimmt zu und ebbt wieder ab, wie Orgelmusik. Ein Stuhl fällt um. Explosives Lachen.

      „Ruhe!“, ruft die Lehrerin, indem sie sich den Schülern zuwendet. „Passt jetzt gut auf und seht euch das Bild, das ich auf die Tafel gezeichnet habe, genau an.“

      Alle Augen richten sich auf das schwarze Rechteck. Ein kleiner Finger zeigt zur Decke.

      „Fräulein von Steinberg!“

      „Was willst du, Hannes?“

      „Wie kommt es, dass das Dach von dem Haus bis in die Wolken hineingeht?“

      Gelächter. Clarissa unterdrückt ein Lächeln. „Pst! Ruhe!“, ruft sie streng. Und dann fährt sie mit einer weichen Stimme fort: „Nein, Hannes. Das Dach ragt nicht in die Wolken hinein. Wenn man ein Haus von Weitem ansieht, bekommt man zwar diesen Eindruck, und auch auf Bildern und Fotografien ist es immer auf diese Weise zu sehen. Es kann ja auch gar nicht anders sein.“

      Hannes gibt nicht auf. „Warum nicht?“

      „Weil es nicht anders geht.“

      Eine andere Hand schnellt hoch.

      „Was ist, Gisela?“

      „Hat das Haus nicht auch einen Schornstein?“

      Clarissa lächelt. „Möchtest du, dass ich einen Schornstein hinzufüge?“

      Gisela nickt eifrig mit dem Kopf.

      „Also zeichnen wir eben einen Schornstein hinzu.“ Sie baut einen Schornstein aus Kreidestrichen auf das Dach.

      Noch ein piepsiges Stimmchen: „Es feh’t noch was, Fräu’ein ’ehrerin!“

      „Also sag schon!“

      „Der Rauch.“

      „Ach so. Ja, du hast recht!“ Und bald steigt Rauch aus dem Kamin in die Wolken empor. „Fehlt noch irgendetwas?“

      „Es fehlt!“

      „Was denn?“

      „Eine Kuh.“

      Lachen.

      Die Lehrerin wirft einen hilflosen Blick auf ihre Schüler.

      „Um Gottes willen, Wiebke! Warum willst du denn ausgerechnet eine Kuh auf diesem Bild haben?“

      „Weil mir Kühe so gut gefallen.“

      „Na gut. Wir zeichnen also noch deine Kuh hinein …“

      Sie wendet sich wieder der Tafel zu und fängt an, die Kuh zu skizzieren. Die Schnauze, die Hörner, den Nacken, den Körper, den Schwanz …

      „Da fehlt noch etwas, Fräulein von Steinberg!“

      „Sag, Jochen, was fehlt?“

      „Der Titt!“

      Lautes Lachen, Aufruhr.

      Clarissa schreit: „Ruuuhe! СКАЧАТЬ