Auf der anderen Seite der Schwelle. Raimund August
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Название: Auf der anderen Seite der Schwelle

Автор: Raimund August

Издательство: Автор

Жанр: Короткие любовные романы

Серия:

isbn: 9783957448019

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СКАЧАТЬ Und nun das hier.

      Doch ein Jahr wird auch vergehen, tröstete Wolfgang Mehring sich. Aber sieben Jahre wie sein Seminarfreund Totila oder gar zehn wie dieser Sebastian? Nee wirklich! Gar nicht auszudenken …

      Drei Uniformierte, die aus einer Tür in die Durchfahrt getreten waren, durchsuchten die Kleidung der drei Neuzugänge, klopften sie ab, griffen in alle Taschen, teilweise mussten die drei sich auch ausziehen. Die Nähte wurden gefilzt und die Schuhe untersucht … danach berieten die Posten sich kurz und blätterten dabei in mitgeschickten Papieren. „Langstrafer“, vernahmen die Freunde von den Wachtposten, die diesen Begriff unter sich gebrauchten, zum ersten Mal. So wurden sie dann auch gleich vorsortiert, indem Mehring als erster, die Hände auf dem Rücken, durchs Gittertor und über den Hof weggeführt wurde.

      Für die Verurteilten neigte sich ein langer Tag allmählich seinem Ende zu.

      Schließlich gingen auch Totila und Sebastian, die Hände auf dem Rücken und einen Wachtposten hinter sich, gemeinsam über diesen Hof. Die Sonne stand bereits schräg hinter den Gebäudekomplexen der Anstalt, die schon längere Schatten warfen. Wolkenflocken schwammen, in einem rosa Licht leuchtend, im dämmernden Blau eines weiten Abendhimmels.

      Gut, sagte Sebastian sich, dass man überhaupt wieder mal in die Weite eines Himmels blicken konnte, ganz gleich ob in einen blauen Frühlings- oder grauen Winterhimmel. Das schneeverhangene Grau oder dunkle Blau eines Himmels an eisig klaren Wintertagen hatte er monatelang nur durch die kleinen Rillenglasscheiben der vergitterten Fenster eines Stasiverlieses verschwommen wahrnehmen können. Wenigstens etwas hatte sich schon verbessert und eine Ungewissheit war der Gewissheit gewichen. Er kannte nun auch die Höhe seines Urteils und konnte in die Weite eines hohen Himmels blicken.

      Die beiden Freunde fanden sich schließlich von einem Wachtposten dirigiert vor der Tür einer Zelle wieder und betraten einen größeren Raum, der sich als bis unter die Decke mit vierstöckigen Metallbetten vollgestellt erwies. Die Türe fiel hinter ihnen ins Schloss und beide sahen sich um.

      Totila schüttelte den Kopf. „Lange bleiben wir hier nicht.“

      Sebastian lachte. „Betten hätten wir auf alle Fälle mehr als genug. Hast du schon mal auf ’nem Strohsack geschlafen?“

      „Auf Stroh schon, aber Strohsack? Nee.“ Totila schüttelte den Kopf.

      Sebastian trat an eines dieser Bettgestelle auf dem so ein Strohsack lag, betrachtete ihn und schlug mit der flachen Hand darauf. „Nur Staub und Häcksel“, erklärte er hustend in einer Staubwolke stehend.

      „Du musst ja auch nicht gleich so drauf herumdreschen. Ist immerhin Volkseigentum.“ Und über Totilas Gesicht huschte ein kurzes Lächeln. „Aber hier hat im Gegensatz zur Spreestraße“, fuhr er fort, „die Zivilisation bereits Einzug gehalten. Siehst du hier irgendwo so ’nen Scheißkübel?“

      Sebastian schüttelte den Kopf und wies auf einen in die Zelle hineinragenden Vorbau zwischen zwei Fenstern. „Ich seh’ dort aber eine Tür.“

      Beide gingen gespannt darauf zu und Totila öffnete. Dazu schob er einen kleinen Riegel zurück. Sie standen überrascht vor einem richtigen Porzellan-WC. In der Rückwand dieser kleinen Toilettenzelle gab es ein circa handtellergroßes Fensterchen, durch das man hinaus in den Hof sehen konnte.

      „Geht das ebenso von innen?“ Sebastian sah sich die Türe an und fand auch eine Innenverriegelung.

      „Tatsächlich“, sagte er grinsend, „ein zivilisatorischer Fortschritt. Der ‚Humane Strafvollzug’, von dem mein Vernehmer mir immer erzählt hat.“

      Totila schloss die Toilettentüre, drehte sich um und winkte ab. „Diese kleinen Scheißhäuser haben wir nicht der DDR zu verdanken, die gab’s mit dem Knast hier schon vor hundert Jahren.“

      „Weiß ich nicht. Wahrscheinlicher ist, die haben sie erst später eingebaut.“

      „Dann aber bestimmt nicht in der DDR.“

      „Du nimmst mir auch jede Illusion“, erklärte Sebastian und ging die wenigen Schritte zu einem halboffenen Fenster, lehnte sich eng gegen die Gitterstäbe und konnte dabei in ein ebenso offenstehendes Fenster der Nebenzelle blicken.

      „Komm mal her“, winkte er Totila heran. „Das sind dort richtige Gefangene“, sagte er und beide betrachteten die Gefangenen in ihren bläulich gestreiften Hemden, unter verwaschenen hellblauen Jacken mit breiten gelben Streifen längs der Ärmel und des Rückens, die dort an den Fenstern standen. „So sehen wir selber bald aus.“

      Auch die von drüben sahen dann interessiert herüber und winkten. „Wo kommt ihr denn her?“

      „Von der Stasi, Spreestraße …“, antwortete Sebastian.

      „Na woher schon? Vom Gericht“, ergänzte Totila.

      Die nebenan am Fenster lachten. „Worüber lachen die denn?“, fragte Sebastian den Freund.

      Totila hob die Schultern: „Was weiß ich?“

      Doch da kam von dort auch schon die Frage nach der Höhe der Verurteilung.

      „Zehn und sieben Jahre Artikel 6“, antwortete Sebastian.

      Unverständnis am anderen Fenster und dann auch prompt die Frage: „Was’n das?“

      „Na, Staatsverleumdung, Spionage, Boykotthetze und so weiter …“

      Am Fenster nebenan wieder Verwirrung. „Mordhetze?“, fragte schließlich einer zögerlich.

      „Ja, ja, auch das“, winkte Sebastian ab, als er begriff, dass die mit solchen Anklagen nichts anzufangen wussten. Mordhetze schon, das konnten sie verstehen, aber Boykotthetze?

      „Was habt denn ihr?“, fragte Totila zurück.

      „Acht Monate“, sagte einer, „anderthalb Jahre“, ein anderer. „Sechs Monate, zweieinhalb Jahre“, die nächsten beiden.

      „Und wofür?“

      Die nebenan lachten wieder. „Körperverletzung, Taschendiebstahl, Einbruch“, sagte einer. „Unterschlagung“, ergänzte ein anderer.

      „Lohnt sich denn das überhaupt noch, also Unterschlagung, Diebstahl und so …?“

      „Warum fragst du?“

      „Ich meine bei dem Ostgeld hier“, antwortete Sebastian. „Was wollt ihr denn damit? Dafür kriegt man doch nichts.“

      „Was ich mit Geld will?“, fragte einer. „Ne doofe Frage. Ich brauch dann nicht malochen geh’n. Ist doch schon was, oder?“

      „Na gut, aber Arbeitsbummelei fällt auf und ist strafbar. Es gibt schließlich die gesetzliche Arbeitspflicht.“

      Die nebenan lachten nur wieder.

      „Spionage?“, fragte schließlich einer.

      „Ja“, sagte Sebastian, „das auch. Organisation Gehlen.“

      „Wer?“, kam etwas ratlos die Frage zurück.

      „Westdeutscher Nachrichtendienst“, vereinfachte СКАЧАТЬ