Название: Wege zum Heiligen
Автор: Christian Probst
Издательство: Автор
Жанр: Религия: прочее
isbn: 9783865063953
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Mich faszinierten als Kind die uns unbekannten Bräuche und Riten, wenn wir als protestantische Kinder in katholische Schulgottesdienste gingen. Das Bekreuzigen mit Weihwasser und der Knicks beim Eintritt in die Kirche bewegten mein Kinderherz. Dieser würdevolle Umgang erzählte mir wortlos von der Heiligkeit dieses Ortes. Als ich dann eines Tages sah, wie auch der Bürgermeister unserer Stadt einen demütigen Knicks vor dem Altar machte, wusste ich: in diesem Haus musste eine ganz wichtige Person wohnen.
Ich kannte das Urvertrauen zu dieser unfassbaren Heiligkeit aus vielen Geschichten und Liedern. Ich fühlte mich tatsächlich geborgen und gut aufgehoben in den großen Armen dessen, der die Welt in seinen Händen hält. Diese mir in Kindertagen geschenkten und tief verwurzelten Bilder habe ich mit durch die Wirren meines Lebens genommen. In Stürmen und vor großen, Angst einflößenden Bergen wusste ich: „Der Wolken, Luft und Winden, gibt Wege, Lauf und Bahn. Der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann.“
Ich teile die Erfahrung der alten und neuen Psalmsänger. Ich fühle mich mit denen verbunden, die dankbar auf die Rettungsaktionen vergangener Tage zurückblicken und so eine tiefe Glaubensgewissheit für das ungewisse Morgen entfalten. Und doch ertappe ich mich dabei, Gott zu instrumentalisieren. Ich würde so gerne über seine Allmacht verfügen und festlegen, wie und wo und wann er zu handeln hat. Dabei rauschen seine Botschaften an mir wie auf einer Datenautobahn vorbei, und ich bleibe blind für seine schöpferische Kraft in meinem Leben. Heiliges bleibt fern und ungreifbar. Nicht wie ein sanft bewahrtes, heiliges Geheimnis, ein gut behüteter Schatz des Glaubens – sondern mehr wie ein unausgepacktes Geschenk, lieblos unterm Tannenbaum vergessen.
Mir geht es wie dem frommen Mann, der in einem Sumpf zu versinken droht. Aus tiefstem Herzen ruft er zu Gott: „Herr, hilf mir! Errette mich! Zieh mich aus dem Sumpf!“ Da kommt ein Feuerwehrwagen vorbeigefahren. Ein Feuerwehrmann bietet ihm seine Hilfe an, doch der Mann winkt dankend ab: „Nein, nein! Gott wird mir da schon heraushelfen!“ Die Feuerwehr fährt weiter, und der Mann beginnt wieder zu beten. Doch statt einer himmlischen Rettungsaktion versinkt er nur immer tiefer in dem Sumpf. Als er schon bis zum Bauch im Matsch steht, kommt erneut die Feuerwehr vorbeigefahren und bietet ihm an, ihn aus dem Schlamm zu ziehen. Wieder bedankt er sich für die angebotene Hilfe, verweist aber auf seinen himmlischen Vater, der ihm wohl schon noch rechtzeitig helfen wird. Wieder fährt die Feuerwehr weiter, wieder sinkt der Mann tiefer, und wieder geschieht nicht das erhoffte Wunder. Das Schauspiel wiederholt sich auch noch ein drittes Mal. Obwohl der fromme Mann nun schon bis zum Kinn im Sumpf versunken ist, nimmt er auch dieses Mal das Rettungsangebot nicht an. Und so ertrinkt der Mann und steht schon kurze Zeit später vor seinem Schöpfer. Wutentbrannt will er nun Gott zur Rechenschaft ziehen: „Wieso hast du mir nicht geholfen? Dreimal kam die Feuerwehr! Dreimal habe ich dich nicht verraten, wie Petrus damals deinen Sohn! Ich habe zu dir gehalten, habe meinen Glauben bekannt! Und du? Du hast mich sterben lassen!“ Da antwortete Gott: „Mein lieber Sohn! Ich kann deinen Ärger nicht verstehen, ich habe dir dreimal die Feuerwehr vorbeigeschickt, und du hast dir nicht helfen lassen!“
Bekennen
Es gibt ganz unterschiedliche Formen, wie Menschen ihren Glauben bekennen. Laut und leise, mehr oder weniger echt, mit viel und wenig Leidenschaft, nachvollziehbar und abgehoben, mit weitem Herzen oder dränglerisch. Ich erinnere mich gerne an das Gespräch zweier Damen, das ich einmal während eines gemeinsamen Essens miterlebte.13
Neben mir saßen zwei Frauen, deren Alter ich nur schätzen kann. Die eine Frau, vielleicht fünfzig – sehr missionarisch, wie man schnell merkte – konfrontierte ihr kauendes Gegenüber, vielleicht achtzig Jahre alt, mit der Frage: „Wann haben Sie sich denn für den Herrn Jesus entschieden?“ Das Kauen der alten Dame wurde plötzlich schneller, die Augen wurden größer, und die Stirn legte sich in Falten. Dann war die Frage wohl nicht richtig gestellt, dachte sich die Jüngere und wiederholte ihre Frage: „Wann haben Sie denn dem Herrn Jesus Ihr Leben übergeben?“ Ich wusste nicht, dass das Kauen noch schneller gehen konnte, die Augen noch größer werden konnten und die Stirn noch eine Falte mehr vertrug. Irgendwann hatte die Frau den Bissen runtergeschluckt und meinte: „Entschieden? Leben übergeben? Ich wusste gar nicht, dass man sich dafür entscheiden muss!“ „Nicht? Dann kommen Sie in die Hölle!“, war die klare Antwort, und als die jüngere Frau sie dann zu diesem „Schritt“ überreden wollte, fing die ältere Frau an zu erzählen. Nein, sie argumentierte nicht, stritt nicht, rechtfertigte oder verteidigte sich nicht. Sie zog keinen dicken dogmatischen Wälzer aus ihrer Handtasche und las daraus das Kapitel: „Warum ich so glaube, wie ich glaube“ vor. Ganz anders. Sie erzählte.
Ihre Geschichte begann vor vielen Jahren, mitten im Leben. Normal und völlig gewöhnlich. Sie erzählte von ihrem Konfirmandenunterricht und von ihrem Pfarrer, der ihr beigebracht hatte, dass „glauben“ nichts anderes als „mit Gottes Versprechen leben“ heißt. Sie zitierte ihren Konfirmationsspruch aus Psalm 121: „... der dich behütet, schläft und schlummert nicht!“ „Dieser Spruch“, erzählte sie weiter, „hat mich ein ganzes Leben lang getragen.“ Und dann erzählte sie vom Krieg und den Bomben und den Sirenen, die nachts anfingen. Alle mussten in den Keller laufen und hatten große Angst. Wird unser Haus getroffen? Überleben wir die Nacht? Trotz dieser großen Angst wusste die Frau: „... der mich behütet, schläft und schlummert nicht“. Dann erzählte sie von dem schrecklichen Autounfall, bei dem ihre Eltern umkamen. Beide an einem Tag. „Meine Eltern hatten mir so viel ermöglicht und gezeigt, wie man mit festen Schritten den Weg ins Leben findet. Und plötzlich waren sie weg – beide. Und ich stand am Grab und weinte. Ich habe mich so allein, so verlassen gefühlt. Aber eines wusste ich: Der mich behütet, schläft und schlummert nicht!“ Sie lernte einen Mann kennen. „Ein toller Kerl! Er konnte Dinge, die ich nicht konnte, und ich konnte Dinge, die er nicht konnte! Es gab eine Zeit, da konnten wir uns gar nicht vorstellen, dass wir uns einmal nicht gekannt haben!“ Doch dann stirbt der Mann an einer schrecklichen Krankheit, und wieder ist die Frau auf sich allein gestellt. Ihr Sohn besucht sie kaum. Vor ein paar Monaten hat er seine Arbeitsstelle verloren. Sein Chef hatte ihn so oft abgemahnt und ihm den Rausschmiss angedroht, wenn er noch einmal betrunken zur Arbeit kommen würde. „Nur wenn er Geld braucht, dann taucht er auf!“ Resigniert schaute sie in die Ferne. „Und heute“, sagte sie tapfer, „heute habe ich einen müden Körper. Ich bin ganz ehrlich, ich merke, ich bin alt und einsam geworden. Manchmal liege ich auf meinem Bett und weine. Aber eines weiß ich mein ganzes Leben lang: Gott hat mir versprochen, mich immer zu begleiten! Denn der mich behütet, schläft nicht! Das steht fest!“
Am Ende dieser Erzählung ist es an unserem Tisch still geworden. Die alte Frau hat mit ihrer Geschichte, mit ihrem Leben, so manchen zum Schweigen, zum Nach-Denken gebracht – auch mich.
Dietrich Bonhoeffer schreibt: „Wenn man völlig darauf verzichtet hat, aus sich selbst etwas zu machen – sei es einen Heiligen oder einen bekehrten Sünder oder einen Kirchenmann, einen Gerechten oder Ungerechten, einen Kranken oder Gesunden – und dies nenne ich Diesseitigkeit, nämlich in der Fülle der Aufgaben, Fragen, Erfolge und Misserfolge, Erfahrungen und Ratlosigkeiten leben –, dann wirft man sich Gott ganz in die Arme, dann nimmt man nicht mehr die eigenen Leiden, sondern das Leiden Gottes in der Welt ernst, dann wacht man mit Christus in Gethsemane, und ich denke, das ist Glaube, das ist ,Umkehr‘; und so wird man ein Mensch, ein Christ!“14
Mich bewegt dieser unerschütterliche Glaube der alten Dame. Das Vertrauen darauf, dass Gott es gut mit mir meint, auch wenn die Erlebnisse meines Lebens scheinbar dagegen sprechen. Gott ist für mich, auch wenn er – aus meiner Sicht –nicht alle meine Gebete erhört. Das ist auch mein Glaube, meine Gewissheit: „Der mich behütet, schläft und schlummert nicht.“ Ich erzähle diese Geschichte sehr gerne bei meinen Konzerten und singe dazu mein Lied „Glauben“15.
Bewahren
In Psalm 121,7 heißt es: „Der Herr behüte dich vor allem Übel, er behüte deine Seele. Der Herr behüte СКАЧАТЬ