Название: Gefundenes Fressen
Автор: Stephan Hähnel
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783955522063
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Lucatelo war so erstaunt, dass sie erst einmal schwieg. Was immer der Kerl in der Tüte hatte, ihr Interesse war geweckt.
Die Journalistin zeigte auf den freien Küchenstuhl, nachdem sie sich selbst auf den anderen gesetzt hatte.
»Wat issen dir dit wert?«, fragte der Punk, nun nicht mehr eingeschüchtert, und schaute Lucatelo dabei mit gierigen Augen an.
»Du bist dir schon im Klaren darüber, dass das Entwenden von Beweismaterial strafrechtliche Relevanz hat?«, antwortete die mit Nachdruck und nahm sich eine Zigarette aus ihrer Packung.
»Rele … watt? Dit hab ick jefunden. Finden is doch nich strafrechtlich.«
Neugierig betrachtete Sigrid Lucatelo die Tüte, in der sich ein Gegenstand in der Größe einer Bonbontüte befand. »Okay! Ich gebe dir fünfzig Euro. Und wenn dein Fund wirklich was wert ist, gibt es noch Nachschlag.«
»Unterm Hunni mach ick’s nich. Verstehste?«
Lucatelo lehnte sich zurück und beobachtete den Punk. Bisher hatte er sie nie enttäuscht, und alle Informationen, die er geliefert hatte, waren stets wahr gewesen. Einmal hatte er ihr sogar verraten, wann die nächsten Luxuswagen abgefackelt werden würden. Der Brandstifter stand auf BMWs, 7er Reihe, bevorzugter Jahrgang 2013. »Bei denen züngeln die Flammen so schön in Blautönen«, hatte er geschwärmt, als sie ihn nach dem Grund für seine Vorliebe gefragt hatte. Die Fotos, die sie damals hatte schießen können, waren spektakulär gewesen, und die Bezahlung der Zeitungen hatte ihrem Konto ausgesprochen gutgetan. Aber noch wichtiger war, dass ihr die Szene seitdem einen Riecher nachsagte. Die Fotos hatten ihr sogar die Türen zu jenen Zeitungsredaktionen geöffnet, die bis dahin auf ihre Einsendungen nicht einmal geantwortet hatten.
»Einverstanden! Du bekommst das Geld. Zuerst will ich aber hören, was du liefern kannst.«
Der Punk rutschte aufgeregt auf seinem Stuhl hin und her, dann beugte er sich wichtig über den Tisch. Er flüsterte, als gebe es noch andere Ohren, die neugierig lauschten: »Der Junge is verjiftet worden. Ick weeß nich, warum, aber der hat garantiert von dit Hundefutter jenascht. Hab ick ooch schon mal versucht, is aber nich so meen Ding.«
Lucatelo rieb sich mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand über die Augen. Mit den Fingern der linken Hand klopfte sie auf dem Küchentisch einen bedrohlichen Rhythmus. »Das ist alles?«
»Dit Hundefutter is verjiftet! Kannste globen! Meene Theorie is: So een Scheißhundehasser hat det Zeug verteilt, und der Kleene hat einfach nur Hunger jehabt. Na, wat sachste? Is dit een Hunni wert oder nich?«
Augenblicklich arbeitete es im Kopf der Journalistin. Der Tipp war mehr wert als die einhundert Euro, aber das konnte ihr Informant nicht wissen. Es kam oft vor, dass genervte Bürger sich über Hunde und deren Hinterlassenschaften aufregten. Auch die Selbstverständlichkeit, mit der so mancher Besitzer seinen Liebling frei durch den Park spazieren ließ, stieß nicht bei allen auf Gegenliebe. Selten ging aber jemand so weit, Giftköder auszulegen, um seiner Abneigung gegen die vierbeinigen Plagen Ausdruck zu verleihen. Lucatelo wusste, dass als Köder gerne mit Rattengift versetzte Fleischklößchen benutzt wurden. Fraßen die Tiere davon, starben sie elend. Ihr waren auch Fälle bekannt, in denen Köder Stecknadeln oder Teile von Rasierklingen enthalten hatten. Für die Boulevardpresse war das stets ein dankbares Thema. Natürlich endete jeder der vor Mitleid triefenden Artikel immer mit der gleichen Spekulation: Was wäre, wenn ein Kleinkind einen präparierten Köder finden und verspeisen würde? Bei der Vorstellung, wie Tausende von gepamperten Babys durch die Berliner Parks robbten, auf der Suche nach der manipulierten Bulette, hatte Sigrid laut lachen müssen. Angst war immer ein guter Berater, wenn man die Meinungsbildung beeinflussen wollte.
Die Möglichkeit, dass ein Kind Opfer eines Hundehassers geworden war, hatte alles, was eine gute Story brauchte. Prenzelberger Kind durch Hundehasser ermordet, formulierte Sigrid Lucatelo in ihrem Kopf eine erste Schlagzeile. In Gedanken sah sie die vereinte Front der Hundeliebhaber und Kollwitzplatz-Mütter die Revolution ausrufen.
»Ein bisschen dünn, deine Geschichte«, presste sie schließlich durch die Lippen und blies den Rauch über den Tisch. Gekonnt legte sie jenes bedauerliche Lächeln auf, das jeden weiteren Verhandlungsversuch im Keim erstickte. »Hat die Polizei dich vernommen?«
»Keen Wort hab ick jesagt. Jedenfalls nich darüber. Der von den Bullen war een komischer Vogel. Wollt mir glatt zum Frühstück einladen, wenn ick wat Zweckdienliches beitragen könnte.«
»Hatte der Mann auch einen Namen?«
»Morjenstern oder so. Is so een Oberkriminaler.«
Der Punk merkte nicht, wie Sigrid Lucatelo sich versteifte. Ihre Augen wurden schmal. Die Wangenknochen traten hervor, und sie atmete langsam aus. Der Name Morgenstern war ihr ein Begriff.
»Wat is’n nu mit Jeld? Ick hab och noch een Joker. Du wirst ma lieben.« Der Punk fingerte in seiner Hosentasche herum und zog einen Zettel heraus. Er legte ihn stolz auf den Tisch. Auf dem Stück Papier stand die Adresse der Familie Eichner. Er hatte den Absender von jenem Brief abgeschrieben, der neben dem Jungen gelegen hatte.
»Hundert! Weil du mein Lieblingspunk bist. Aber die nächste Leiche meldest du zuerst mir! Danach kannst du von mir aus deinen Freund und Helfer anrufen.«
° ° °
Die Frau, die die Tür öffnete, mochte Mitte dreißig sein. Die Sorgen der letzten Nacht hatten Spuren in ihrem Gesicht hinterlassen.
Die beiden Kriminalbeamten zeigten schweigend ihren Ausweis. »Frau Eichner? Dürfen wir …«
Hinter ihr trat ihr Mann in die Tür. Auch ihm stand die Sorge um den Sohn ins Gesicht geschrieben. Zitternd legte er die Hände auf ihre Schultern. Die Frau nickte den beiden Beamten statt einer Antwort zu. Hans Morgenstern und Linda Mörike gingen langsam den Flur entlang. Sie wurden in die Küche geführt, einen kleinen, gemütlichen Raum, an dessen Wänden Urlaubsfotos und Zeichnungen hingen. Am Türrahmen konnte Morgenstern Striche erkennen, an denen jeweils ein Datum stand. Danach war Sebastian das letzte Mal vor drei Tagen gemessen worden. Morgenstern hätte gern ein Glas Wasser getrunken, aber das war jetzt unwichtig.
»Ich denke, es ist besser, wenn wir uns setzen«, begann er vorsichtig. Im selben Moment wurde ihm bewusst, dass auch jahrelange Erfahrung in einer solchen Situation nicht helfen konnte.
»Haben Sie ihn gefunden?« Die Stimme der Frau sollte fest klingen, was aber nicht gelang.
»Setzen Sie sich bitte!«
Die Frau überhörte seine Aufforderung. »Was ist mit Sebastian?« Ihre Hände umklammerten die Tischplatte. Sie schwankte.
Linda Mörike sah es und trat sicherheitshalber einen Schritt vor. Morgenstern wünschte sich weit weg. Er zögerte, als könnte sich doch noch alles als Irrtum erweisen.
Sebastians Mutter starrte ihn an. Sie wusste es. Ohne dass ein Wort über seine Lippen gekommen war. Nur glauben konnte sie es nicht. Wollte sie es nicht. Jede Faser ihres Körpers weigerte sich, das Unvorstellbare zu akzeptieren.
Morgenstern СКАЧАТЬ