Название: Nichts ist verjährt
Автор: Horst Bosetzky
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783955520717
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Mannhardt war geradezu entsetzt über diesen Wutausbruch des Intellektuellen. «Wer bitte ist Oybin?»
«Bernhard Oybin ist ein gänzlich unbedeutender, aber vom DDR-Regime hochgejubelter Schriftsteller, der dafür, dass er Honecker und Co. in den Arsch gekrochen ist, mit dem Grundstück am Imkerweg belohnt worden war. Er soll ein fürchterlicher Blaubart gewesen sein. Kein Wunder, dass da auch eine Leiche zurückgeblieben ist.»
VIER
2007
HANS-JÜRGEN MANNHARDT hatte zwar das Abitur gemacht, dann aber nicht studiert, sondern es vorgezogen, die Kommissarslaufbahn einzuschlagen und Beamter des gehobenen Dienstes zu werden. Lilo, seine Ex-Ehefrau, hatte ihm das immer wieder vorgehalten: «Was hätte aus dir nicht alles werden können, wenn du Volljurist geworden wärst!» In der Tat, dann würde er jetzt als Polizeidirektor in den Ruhestand gehen und nicht als Erster Kriminalhauptkommissar.
«Aber ob du damit glücklicher sein würdest?», wurde er immer wieder gefragt.
«Ja, sicher.»
Je höher jemand in einer Hierarchie nach oben stieg, desto näher war er dem Himmel.
Zu wissen, dass er aus seinem Leben nicht das gemacht hatte, was möglich gewesen wäre, schmerzte umso mehr, je älter er wurde. Am besten verstanden alte Skatspieler, was er meinte: «Da hast du das Blatt für einen Grand in der Hand und spielst aus lauter Angst nur Karo.» Das brachte achtzehn Punkte ein, ein gewonnener Grand aber sechzig.
Was seine Allgemeinbildung anging, da konnte er es mit Leuten aufnehmen, die ein Prof. Dr. vor dem Namen stehen hatten, und beim Trivial Pursuit galt er als unschlagbar. Das lag daran, dass man sich als Kriminalkommissar pausenlos in andere Lebens- und Wissensbereiche hineinfinden musste, wenn man Erfolg haben wollte. Diesmal war es die Literatur der DDR. Als West-Berliner hatte er von Anna Seghers Das siebte Kreuz gelesen, von Hermann Kant Die Aula, ebenso ein, zwei Werke von Stefan Heym, und auch die Namen Christa Wolf, Christoph Hein und Jurek Becker kannte er, aber damit hörte es auch schon auf. Wer um Himmels willen war nur Bernhard Oybin?
Bevor sie sich näher mit ihm befassten, gab er den Namen bei Google ein und erfuhr immerhin einiges.
Bernhard Oybin war 1929 in Rathenow als Sohn eines Anstreichers geboren worden und in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. Sein Vater hatte der KPD angehört und mehrere Jahre im KZ gesessen. Das bewog den jungen Bernhard Oybin dazu, in die SED einzutreten. Nachdem man ihm ermöglicht hatte, das Abitur an der ABF, der Arbeiter- und Bauernfakultät, in Greifswald nachzuholen, studierte er Germanistik an der Humboldt-Universität zu Berlin und promovierte mit einer Arbeit zum Thema Der Erste Weltkrieg im Spiegel deutscher Romane. Schon während seiner Studienzeit hatte er zu schreiben begonnen und mit seinem ersten Roman Der Fährmann von Ketzin einiges an Aufsehen erregt. Sein größter Erfolg aber sei Der Dispatcher gewesen, der von der DEFA auch verfilmt wurde. Neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit hatte Oybin als Redakteur bei verschiedenen Zeitschriften gearbeitet, gefürchtete Kritiken geschrieben und der Volkskammer der DDR angehört. Die Liste seiner Preise war lang. Bei der Ausbürgerung Wolf Biermanns und dem Ausschluss von Jurek Becker, Erich Loest und Stefan Heym aus dem Schriftstellerverband der DDR hatte er auf der Seite der Herrschenden gestanden. Laut Unterlagen der Gauck-Behörde hatte er als IM, also Inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, Berliner Schriftsteller ausgeforscht.
Nachfragen bei den verschiedenen Berliner Behörden ergaben, dass Oybin in einem Altenheim in Friedrichshagen untergebracht war. Sein Sohn lebte auf Kuba, seine Ex-Ehefrau, die Schauspielerin Katja Koschlick, in Karolinenhof. Mannhardt hielt es für besser, erst mit ihr zu sprechen, denn je mehr Informationen er im Vorfeld bekam, desto größere Chancen hatte er, Oybins Aussagen kritisch zu durchleuchten und ihn gegebenenfalls zu Fehlern zu verleiten. Der Sohn wäre auch nicht schlecht gewesen, aber … Mannhardt rief seinen Vorgesetzten an und fragte, ob der ihm eine kleine Dienstreise nach Havanna genehmigen würde.
«Nicht mal eine Havanna!»
«Aber einen Dienstfahrschein nach Karolinenhof bekommen wir doch bewilligt?»
«Dafür sperrt der Finanzsenator mich ein. Lasst die Dame doch zu euch kommen, das spart uns Kosten.» Mannhardt murrte. «Ich bin ein altmodischer Mensch, ich sehe mir gerne das Ambiente an, in dem die Leute leben.»
«Na schön, fahrt hin, seht aber zu, dass ihr einen Billigflug bekommt.»
«Einen Billigflug nach Kuba?», fragte Mannhardt, denn Hartnäckigkeit war ja eine große Tugend seines Berufsstandes.
«Einen Stehplatz in der Straßenbahn nach Karolinenhof. Bei unserem ausgeknautschten Etat sind keine Platzkarten mehr drin.»
«Soll ich allein zu der Koschlick fahren oder Rico mitnehmen?», fragte Mannhardt.
«Nimm ihn mit, er soll sich schließlich einarbeiten. Und euch beide wird ja die Diva nicht vernaschen, bei einem alleine aber hätte ich da größte Bedenken, nach allem, was man so hört. Sie soll ja noch immer ein ziemlicher Vulkan sein.»
Und das war sie tatsächlich, denn kaum war sie auf das Klingeln der Beamten hin nach vorn an den Gartenzaun gekommen und hatte gehört, dass die Herren von der Kripo kamen und etwas über Bernhard Oybin in Erfahrung bringen wollten, da schrie sie auch schon los.
«Darauf habe ich dreißig Jahre lang gewartet, dass endlich einer kommt und dieses Schwein hinter Schloss und Riegel bringt!»
Mannhardt fühlte sich bei solchen Entgleisungen immer peinlich berührt und im Umgang mit Furien wie dieser schlichtweg überfordert, Schönbier aber registrierte den Ausbruch cool und ziemlich amüsiert und holte sein Handy hervor.
«Soll ich noch schnell beim rbb anrufen, damit die ein Kamerateam herschicken?»
Sie sah ihn böse an und konterte mit einem Filmzitat. « Junge, so, wie du aussiehst, brauchst du keinen Strafzettel mehr. Du bist gestraft genug. Polizist in Mit Vollgas nach San Fernando, USA 1980, Regie: Buddy Van Horn. Ich kenne Tausende von Filmen.»
«Haben Sie eigentlich im Dispatcher selber mitgespielt?», fragte Mannhardt.
Katja Koschlick riss die Augen auf. «Sie sind ja bestens informiert!»
«Wenn es um Mord geht, kann man nie genug wissen.»
«Nichts ist verjährt!», rief Katja Koschlick. «Und ein Mord schon gar nicht. Kommen Sie rein, meine Herren, setzen wir uns auf die Terrasse. In diesem April ist es ja wärmer als manchmal im August. Da können wir stundenlang über dieses Arschloch reden.»
«Ich bitte Sie, gnädige Frau», sagte Mannhardt, um sie ein wenig zu bremsen.
Katja Koschlick sah ihn scharf an. « Ich möchte nicht gerne unterbrochen werden, wenn ich jemanden anpöbel. Charles Laughton als Richter Horfield in Der Fall Paradin, USA 1947, Regie: Alfred Hitchcock.»
«Hitchcock passt immer», merkte Schönbier an, während er die leeren Bier-, Wein- und Schnapsflaschen musterte, die neben der Mülltonne aufgereiht waren.
Katja Koschlick hatte seinen Blick verfolgt. «Der Rest ist Saufen, wenn man keine richtigen Rollen mehr kriegt. Mal ein bisschen Synchron, mal ein bisschen Werbung, wer soll das aushalten können. Aber wer nimmt heute noch eine Schauspielerin, die einen IQ von 160 und ein abgeschlossenes Hochschulstudium hat?»
Damit waren СКАЧАТЬ