Название: Nichts ist verjährt
Автор: Horst Bosetzky
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783955520717
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Es war nun viel zu planen und zu bedenken, so dass er sich zur Durchsicht zweier Hausarbeiten zum Thema Abnabelung von der Familie in den Zeiten des Nesthockers geradezu zwingen musste. «Und zwar mit der Pistole an der Schläfe», wie er Ulrike gegenüber betont hatte, denn er hasste es, wenn ihm junge Leute in umständlicher Art und Weise, in diesem Falle auch noch ziemlich unbeholfen, das mitzuteilen versuchten, was er schon lange wusste.
… ob die Abnabelung nach der Geburt wirklich zur Traumatisierung eines Menschen führt, wissen wir nicht so genau, weil man ja ein Baby nicht danach befragen kann, was es fühlt. Vielleicht ist es ja auch froh darüber, nun ein eigenständiger Mensch zu sein. Noch immer an der Nabelschnur hängend, könnte ja ein Mann kaum zum Torschützenkönig der Bundesliga werden.
Schwellnuss musste nun doch ein wenig schmunzeln, obwohl das Geschriebene mit Wissenschaft nicht viel zu tun hatte. An den Rand schrieb er: Sehr originell, aber ich bin nicht Mephistopheles, siehe Faust (Zeile 2009). Dort stand: Ich bin des trocknen Tons nun satt …
Die zweite Hausarbeit war ernsthafter angelegt, aber auch hier konnte er mitunter nur laut aufstöhnen und den Kopf schütteln.
Das Bestreben nach Neubelebung der kindlichen Einheit mit der Mutter in meinem Fallbeispiel kann man auch als Sucht verstehen. Er sucht/die Sucht – mit der Gleichheit der Worte ist schon alles gesagt. Der Volksmund sieht das auch so: Eifersucht ist, wenn man mit Eifer sucht. Einer meiner Freunde, 23 Jahre alt, verhält sich, wenn er betrunken ist, immer wie ein Baby und möchte sogar gewindelt werden, was voll in die Argumentationskette von Kernberg und anderen Autoren passt, dass Menschen nämlich mit pathologischer Mutterbindung dazu neigen, auf die Stufe eines Säuglings zu regredieren, um dadurch wieder mit der Mutter zu verschmelzen.
Fast hätte Schwellnuss an den Rand geschrieben: Ich hole meine Mutter auch zu mir ins Haus, ohne dass ich mich windeln lasse!
Was sollte er den beiden für Noten geben? Dieses Ringen um Gerechtigkeit war noch stressiger als die bloße Lektüre. Einerseits war er gern der milde Vater, andererseits mussten auch gewisse Standards der Profession beachtet werden. Am liebsten hätte er gewürfelt, aber Würfel ohne die Zahlen drei bis sechs gab es nun einmal nicht.
Sein Telefon sonderte die seltsamen Klingeltöne ab, die Ulrike so schön fand. Froh über die Störung, nahm er das schnurlose Gerät aus der Empfangsstation und meldete sich mit einem anonymen «Ja, bitte …?»
«Hier Grauen.»
«Hier auch …»
«Wie?»
«Nein, Schwellnuss, aber ich habe nur an meine Hausarbeiten gedacht.»
«Ah, Sie sind gerade beim Putzen?», fragte Günther Grauen.
«Hausarbeiten, nicht Hausarbeit», erklärte ihm Schwellnuss. «Was gibt es denn Neues?»
«Eher was Altes …», druckste Grauen.
«Wie?» Nun war es an Schwellnuss, nicht folgen zu können.
«In Schmöckwitz ist etwas Schreckliches passiert.»
«Was!? Sind die beiden jungen Leute beim Buddeln auf eine Bombe gestoßen und …?»
«Eine Bombe schon, aber keine, wie Sie denken. Machen wir es kurz: An der Außenwand Ihres Hauses ist eine Leiche gefunden worden, das heißt ein Skelett, und es sieht ganz nach Mord aus.»
«Na, wunderbar!», rief Schwellnuss. «Das steigert ja den Wert der Immobilie ungemein, vor allem wenn die Tat auch noch im Haus geschehen ist.»
«Das weiß die Kripo noch nicht, man wird sich aber bald bei Ihnen melden.»
Schwellnuss variierte seine Ausrufe. «Wie schön!»
Günther Grauen wurde langsam ungehalten. «Was kann ich denn dafür?»
«Nichts, aber … Die weiteren Pläne für Schmöckwitz können wir ja dann besprechen, wenn Sie mich mal im Knast besuchen.»
Als er wieder aufgelegt hatte, stürzte Schwellnuss ins Bad, wo Ulrike in einem irgendwie indisch anmutenden Kräutersud lag und auf eine wohltuende Wirkung für Leib und Seele hoffte. Nichts liebte sie mehr als diese exotischen Düfte und die göttliche Stille ringsum.
«Ist das alles eine Scheiße!», schrie Schwellnuss.
«Bitte», bat Ulrike ganz sanft, «nimm dich bitte etwas zurück, Siegfried.»
«Na, ist doch wahr! Da kämpfe ich nun fünfzehn Jahre, um endlich an dieses Haus zu kommen, und nun stellt sich heraus, dass da drin jemand ermordet worden ist! Die Leiche liegt im Garten, die haben sie vorhin gefunden.»
«Ich fürchte, es liegt ein Fluch auf diesem Haus. Ob es wirklich gut ist, dort einzuziehen?»
Schwellnuss knallte die Badezimmertür hinter sich zu.
«Ich kann jeden verstehen, der ab und zu mal einen kleinen Mord begeht!»
Die Spezialisten hatten sich inzwischen die Leiche vom Imkerweg genauer angesehen und Mannhardt ihre ersten Erkenntnisse mitgeteilt. Er fasste die Nachricht mit eigenen Worten für Schönbier zusammen.
«Die erste Inaugenscheinnahme lässt die Annahme zu, dass wir es mit einer Frau zu tun haben. Das Skelett ist vergleichsweise grazil, die Muskelansatzpunkte sind geringer ausgeprägt als bei einem Mann, das Becken typisch. Alles muss aber noch mit den entsprechenden Tabellenwerten verglichen werden. Ein vorläufiges Messen der Röhrenknochen lässt auf eine Körpergröße von 1,65 bis 1,70 Meter schließen. Eine genau Altersschätzung der Person ist noch nicht möglich, aber der Schmelzabschliff der Zähne, die Randzackenbildungen an den Wirbelkörpern und die Verknöcherung des knorpeligen Kehlkopfgerüstes lassen eine erste Schätzung zu: um die zwanzig Jahre herum, vielleicht auch etwas älter. Zur Todesursache können noch keine Angaben gemacht werden. In Anbetracht der Bodenbeschaffenheit, des Pflanzenwuchses, der Verwitterung der Knochen und der Zerstörung der Kleidungsstücke kann eine erste Liegezeitschätzung vorgenommen werden: dreißig Jahre plus/minus fünf. DNA-Material konnte sichergestellt werden. Ebenso Reste der Bekleidung. Der skelettierte Schädel ist so gut erhalten, dass eine Gesichtsrekonstruktion über Computersuperpositionen gute Ergebnisse bringen müsste.»
«Das ist ja eine ganze Menge», sagte Schönbier.
«Dreißig Jahre plus/minus fünf», murmelte Mannhardt. «Dann läge der Tatzeitraum zwischen 1962 und 1972.»
«1972 und 1982», verbesserte СКАЧАТЬ