Название: Nichts ist verjährt
Автор: Horst Bosetzky
Издательство: Автор
Жанр: Зарубежные детективы
isbn: 9783955520717
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Mühsamer als sonst stieg Mannhardt die Treppen zu seinem Büro hinauf, sich dabei selber verspottend: Der alte Mann und das Gehtnichtmehr. Wie viele Morde mochte er in seinen mehr als vierzig Dienstjahren aufgeklärt haben? Schätzungsweise 250. Nicht er allein, die Mordkommissionen, in denen er gearbeitet hatte. Und der nächste würde vielleicht der letzte sein.
Yaiza Teetzmann lief vor ihm her, seine langjährige Kollegin und engste Vertraute. Stellte er sich die Frage, was er in seinem Leben am meisten bedauerte, dann war es die Tatsache, nie mit ihr geschlafen zu haben. Blieb ihm nur sein Fontane als Trost: Eigentlich ist es ein Glück, ein Leben lang an einer Sehnsucht zu lutschen.
Sie musste ihn hinter sich gespürt haben, denn sie blieb stehen und drehte sich um. «Danke für die Einladung zu deiner Abschiedsparty.»
«Bitte.» Mannhardt schnaufte ein wenig, als er sie eingeholt hatte. «Es wird ein Top-Event werden. Wie damals im alten Rom, als Petronius Abschied von allen und allem genommen hat.»
«Wer war Petronius?»
«Ein römischer Schriftsteller und Satiriker, ein Weltmann am Hofe Neros, der ‹Schiedsrichter des feinen Geschmacks›. Als Nero ihn bezichtigte, an einer Verschwörung gegen ihn teilgenommen zu haben, und ihm die Hinrichtung drohte, beging er vorher Selbstmord. Dazu lud er alle seine Freunde ein, schnitt sich in deren Gesellschaft die Pulsadern auf, tauchte die Arme in eine Schüssel mit warmem Wasser und dämmerte langsam dahin.»
Yaiza Teetzmann verstand die Zusammenhänge nicht ganz. «Hat dir denn der Polizeipräsident angedroht, dich verhaften und einsperren zu lassen?»
«Es geht darum, dass ich stilvoll von allem Abschied nehmen möchte.»
«Eine Pensionierung ist doch kein Todesurteil.»
«Für mich schon.»
Yaiza Teetzmann lachte. «Du kannst doch versuchen, wieder Lehrveranstaltungen an der Fachhochschule zu bekommen.»
«Ja, keine schlechte Idee: Opa erzählt euch mal, wie wir damals den Berliner S-Bahn-Mörder und die Bestie vom Schlesischen Bahnhof zur Strecke gebracht haben.»
«So alt bist du doch nun auch wieder nicht.» Mannhardt stöhnte auf. «Man ist immer so alt, wie man sich fühlt – und mein gefühltes Lebensalter liegt heute bei 110.»
«Genau das richtige für einen Polizeibeamten.» Mannhardt schwieg. Yaiza Teetzmann würde ihm fehlen. Nicht nur ihres Anblicks wegen.
Schönbier wartete schon in der Tür seines Büros. Mannhardt nannte das «Zimmerbesetzung», aber er hatte sie nicht verhindern können. Wie jedes Lebewesen reagierte er erbost darauf, ein anderes Männchen in seinem Revier zu sehen.
«Grüß Gott», murmelte Mannhardt, weil er wusste, dass sich Schönbier darüber ärgerte. «Was gibt es Neues?»
«Leichenfund in Schmöckwitz. Wir müssen raus.»
«Gut, fahren wir. Aber Yaiza soll mit.» Mannhardt grauste es davor, so lange mit Schönbier allein im Wagen zu sitzen.
Zu dritt machten sie sich auf den Weg in Berlins südöstlichsten Zipfel. Schon auf dem Parkplatz kam es zur ersten kollegialen Auseinandersetzung. Wer sollte am Steuer des geleasten Dienstwagens sitzen? Mannhardt wollte nicht. Als ehemaliger West-Berliner war er noch immer ein wenig traumatisiert, wenn es darum ging, im gewesenen Ost-Berlin am motorisierten Individualverkehr teilzunehmen. Nie vergaß er das barsche «Fahren Sie mal rechts ran!» und die Angst vor stundenlangen Verhören, an deren Ende Bautzen stehen konnte.
Yaiza Teetzmann als Mädchen aus Marzahn kannte diese Ängste nicht, hatte aber eine instinktive Abneigung gegen alle Westautos. Ihr Vater, SED-Funktionär und ein sogenannter Zweihundertprozentiger, hatte sie in diesem Sinne erzogen. BMW und Mercedes fuhren die Bonner Ultras, die Kapitalisten, die Ausbeuter, die Kriegstreiber.
Für Schönbier war ein Auto ein Auto und eine Straße in Köpenick (ehemals Ost-Berlin) nicht anders als eine in Neukölln (ehemals West-Berlin), und fahren sollte der, der das am besten konnte, also er. Generell hasste er es, wenn die Wessis wie auch die Ossis «diesen ganzen alten Scheiß« immer wieder aufwärmten. Seine Mutter war eine Russlanddeutsche, und von seinem Vater hieß es, er sei Deutschtürke gewesen, so genau wusste das keiner, denn der Gute hatte sich nach der Zeugung seines Sohnes schnell in die Emirate abgesetzt. «Wo ist da das Problem?», fragte Schönbier, wenn ihn jemand mitleidig ansah, und er hatte wirklich keines damit. Im Gegenteil. Bedingt durch die Gene seines Vaters, sah er immer so braungebrannt aus, dass er sich das Sonnenstudio und den Hautkrebs sparen konnte.
«Dann mal her mit den Schlüsseln», sagte Schönbier und streckte die Hand aus, um sie sich von Mannhardt geben zu lassen.
Der hielt sie aber fest umschlossen. «Moment mal! Ist denn schon klar, wer fahren soll?» Am Steuer saß im Regelfall das Alphamännchen, und diese Rolle wollte er Schönbier nicht so ohne weiteres überlassen.
«Wer fahren soll?», wiederholte Schönbier. «Ich natürlich, ich bin schon viele Rallyes gefahren.»
«Das hier ist aber keine Rallye, sondern eine Dienstfahrt», sagte Mannhardt. «Und wenn sich einer in Berlin auskennt, dann bin ich es.»
Schönbier freute sich über dieses Eigentor. «Na prima, der Kartenleser hockt immer auf dem Beifahrersitz.»
«Ich bin auch noch da», sagte Yaiza Teetzmann. «Vielleicht will ich ja fahren.»
«Bitte.» Seit Jutta Kleinschmidt bei der Rallye Paris— Dakar Furore gemacht hatte, akzeptierte Schönbier Frauen als Autofahrerinnen.
«Nein danke, aber …» Damit hatte sie klargemacht, dass sie ihr Veto gegen Schönbier am Steuer einlegen würde.
Schönbier nickte. «Dann du! Du bist der Älteste.» Mannhardt ärgerte sich nun doppelt und dreifach.
Zum einen über das Du, das er noch immer nicht verdaut hatte, zum Zweiten über seine Zuweisung zum alten Eisen und zum Dritten darüber, dass er sich über das Du wie auch über den Hinweis auf sein Alter ärgerte.
«Wenn wir so weitermachen, kommen wir nie nach Schmöckwitz», stellte Yaiza Teetzmann fest.
«Dann fahren wir eben mit der Bahn», sagte Mannhardt.
«Das darf doch nicht wahr sein!», rief Schönbier.
«Doch. Die Leiche kann warten, und wir tun was gegen die Umweltverschmutzung.» Mannhardt freute sich über seine Idee, mit der er die Kuh vom Eis bekommen hatte. «Stimmen wir ab: Wer für die Bahn ist, der hebe die Hand.»
Er und Yaiza Teetzmann taten es, Schönbier nicht. Damit war die Sache entschieden, und nachdem sie im Internet die optimale Verbindung herausgesucht hatten, liefen sie zum Wittenbergplatz.
«Mit dem Bus zum Bahnhof Schöneberg, dann mit der S-Bahn nach Grünau und von da mit der Straßenbahn nach Schmöckwitz.»
DREI
2007
SIEGFRIED SCHWELLNUSS СКАЧАТЬ