Название: Die Ratten
Автор: Gerhart Hauptmann
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Reclams Universal-Bibliothek
isbn: 9783159612058
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Denken Sie … denken Sie, heute mittag bei Tisch – mußten wir … mußten wir plötzlich Wein trinken. Wein! wo Leitungswasser in den letzten Jahren … Karaffen mit Leitungswasser – unser einziges … einziges Getränk bei Tische ist. Liebe Kinder, sagte mein Mann. – Er ist, wie Sie wissen, elf oder zwölf Tage in den Elsaß verreist gewesen! … Also ich trinke, sagte mein Mann, auf meine gute, brave Frau John, weil … rief er mit seiner schönen Stimme! … weil sie sichtbares Zeichen dafür ist, daß unserem Herrgott … Herrgott der Schrei eines Mutterherzens nicht gleichgültig ist. – Und da haben wir auf Sie [45]angestoßen! – So! – Und nun bringe ich … bringe ich Ihnen hier im ganz besonderen … ganz besonderen Auftrage meines Mannes einen sogenannten Soxhlet-Kinder-Milchapparat. – Walburga, du magst den Kessel mal auspacken.
(Direktor Hassenreuter tritt ohne Umstände durch die nur angelehnte Flurtür herein. Er trägt Zylinder, Sommerpaletot, Handschuhe, spanisches Rohr mit Silbergriff, im ganzen die etwas abgeschabte Garnitur des Wochentags. Er spricht hastig und fast ohne Pausen.)
DIREKTOR HASSENREUTER
(sich den Schweiß von der Stirn wischend). Heiß! Berlin macht heiß, meine Herrschaften! In Petersburg ist die Cholera! Sie haben meinen Schülern Spitta und Käferstein gegenüber geklagt, daß Ihr Kindchen nicht zunehmen will, Frau John. Eigentlich ist es ja ein Verfallssymptom unserer Zeit, daß die meisten Mütter ihre Kinder selber zu nähren nicht mehr fähig oder nicht willens sind. Sie haben schon einmal einen Jungen am Brechdurchfall eingebüßt, Mutter John. Hilft alles nichts: wir müssen hier deutsch reden! Damit Sie nun diesmal nicht wieder Pech haben und nicht etwa gar in die Scheren von allerlei alten Basen fallen, deren gute Ratschläge meistens für Säuglinge tödlich sind, hat Ihnen meine Frau auf meine Veranlassung diesen Milchkochapparat mitgebracht. Ich habe damit meine ganze kleine Gesellschaft, auch die Walburga, großgezogen … Sapristi! da sieht man ja auch mal wieder den Herrn John! Bravo! der Kaiser braucht Soldaten! und Sie hatten einen Stammhalter nötig, Herr John! Gratuliere Ihnen von ganzem Herzen. (Er schüttelt John kräftig die Hand.)
[46]FRAU DIREKTOR HASSENREUTER
(am Kinderwagen). Wieviel … wieviel hat es gewogen bei der Geburt?
FRAU JOHN.
Et hat jenau acht Pfund und zehn Jramm jewogen.
DIREKTOR HASSENREUTER
(jovial, laut und lärmig). Ha ha ha, strammes Produkt! Acht Pfund zehn Gramm frisches deutschnationales Menschenfleisch.
FRAU DIREKTOR HASSENREUTER.
Die Augen! das Näschen! der ganze Vater! – Das Kerlchen ist Ihnen wirklich … wirklich wie aus dem Gesicht geschnitten, Herr John.
DIREKTOR HASSENREUTER.
Sie werden den Bengel doch hoffentlich in die Gemeinschaft der christlichen Kirche aufnehmen lassen.
FRAU JOHN
(glücklich und gewichtig). Det wird richtig in de Parochialkirche, richtig am Taufstein, richtig von Jeistlichen wird et jetauft.
DIREKTOR HASSENREUTER.
Sessa! Und welche sind seine Taufnamen?
FRAU JOHN.
Det hat natierlich, wie Männer nu eemal sind, ’n langet Jerede abjesetzt. Ick dachte: Bruno! Det will er nich.
DIREKTOR HASSENREUTER.
Aber Bruno ist doch kein übler Name.
JOHN.
Det mag immer sind, det Bruno weiter keen iebler Name is. Da will ick mir weiter drieber nich ausdricken.
FRAU JOHN.
Wat sachste nich, det ick’n Bruder habe, wo Bruno heeßt und wo zwölf Jahre jinger is: und jeht manchmal’n bißken uff leichte Weje. Det is bloß de Verführung! Der Junge is jut! Det jloobste nich!
[47]JOHN
(bekommt einen roten Kopf). Jette … du weeßt, wat det mit Brunon for’n Kreuz jewesen is! – Wat wiste?! Soll unser Jungeken so’n Patron kriejen? – Et is’n Patron! Aber eener, ick kann et nich ändern … eener, wo unter polizeiliche Uffsicht is.
DIREKTOR HASSENREUTER
(lachend). Um’s Himmels willen, dann suchen Sie ihm einen anderen Patron!
JOHN.
Jott soll mir bewahren … ick ha mir bei Brunon anjenommen, in de Maschinschlosserei Stellung verschafft, nischt davon jehat als Ärjer un Schande! Jott soll bewahren, det er womeechlich kommt un mein Jungeken anfassen dut! (Er krampft die Faust.) Denn, Jette … denn kennt’ ick nich for mir jutsachen.
FRAU JOHN.
Immerzu doch, Paul. Bruno kommt ja nich! – Soviel kann ick dir aber jewißlich sachen, det mein Bruder mich in die schweren Stunden redlich bei Seite jewesen is.
JOHN.
Warum haste mir nich lassen kommen, Jette?
FRAU JOHN.
So’n Mann, wo Angst hat, mocht’ ick nich.
DIREKTOR HASSENREUTER.
Sind Sie nicht Bismarckverehrer, John?
JOHN
(kratzt sich hinter den Ohren). Det kann ick nu so jenau nich sachen: aber, wat meine Jenossen in’t Mauerjewerbe sind, die sind et nich.
DIREKTOR HASSENREUTER.
Dann habt ihr kein deutsches Herz im Leibe! Ich habe meinen ältesten Sohn, der bei der Kaiserlichen Marine ist, Otto genannt! Und glauben Sie mir, – (er weist auf das Kindchen) – diese neue künftige Generation wird wissen, was sie dem Schmiede der deutschen Einheit, dem gewaltigen Heros schuldig ist. (Er nimmt den Blechkessel des Milchapparates, den [48]Walburga ausgepackt hat, in die Hände und hebt ihn hoch.) Also, die ganze Geschichte mit diesem Milchapparat ist kinderleicht: das ganze Gestell mit sämtlichen Flaschen – jede Flasche zunächst ein Drittel mit Milch und zwei Drittel mit Wasser gefüllt! – wird in diesen Kessel mit kochendem Wasser gestellt. Auf diese Weise, wenn man das Wasser im Kessel anderthalb Stunden lang auf dem Siedegrade hält, wird der Inhalt der Flaschen keimfrei gemacht: die Chemiker nennen das sterilisieren.
JOHN.
Jette, bei de Frau Mauermeester ihre Milch, womit sie die Zwillinge uffziehen dut, wird et ooch sterilililililisiert.
(Die Schüler des Direktors Hassenreuter, Käferstein und Dr. Kegel, zwei junge Leute im Alter zwischen zwanzig und fünfundzwanzig, haben angeklopft und die Tür geöffnet.)
DIREKTOR HASSENREUTER
(der seine Schüler bemerkt hat). Geduld, meine Herren, ich komme gleich. Ich arbeite hier einstweilen noch im Fache der Säuglingsernährung und Kinderfürsorge.
KÄFERSTEIN
(ausgesprochener Kopf, große Nase, bleich, ernster СКАЧАТЬ