Название: hell/dunkel
Автор: Julia Rothenburg
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783627022693
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Valerie geht schneller.
Robert sitzt noch immer am Küchentisch, schaut auf, als sie hereinkommt.
Oh, hallo, sagt er, runzelt die Stirn.
Ihr Rucksack rumst zu Boden. Schule war langweilig, sagt sie.
Robert mustert sie, nickt dann aber. Willst du dich erst ausruhen, oder wollen wir gleich los?
Lieber gleich, sagt sie. Dann haben wir es hinter uns.
Okay, sagt er. Ich schreib ihr nur kurz, dass wir kommen.
Gemeinsam U-Bahn zu fahren ist komisch. Jetzt, wo sie sich gegenübersitzen, die Knie berühren sich beinahe, weil Robert so lange Beine hat, ist da wieder diese Peinlichkeit. Robert räuspert sich, es geht fast unter im dröhnenden Schnurren des Wagens.
Das Abitur, was?, sagt er, und Valerie nickt, beide nicken sie.
Manchmal denke ich, es war dumm, dass ich das einfach geschmissen habe. Das eine Jahr hätte ich ja eigentlich auch noch durchhalten können. Vor allem nach der Extrarunde vorher.
Valerie nickt weiter. Was soll sie auch sonst tun.
Aber du ziehst es echt durch, oder? Trotz allem?
Valerie hört auf zu nicken. Roberts Gesicht ist in diesem U-Bahn-Licht seltsam offen. Obwohl es so grell ist, sind seine Augen fast schwarz. Wie sie solche Gespräche hasst. Dieses furchtbar eintönige Protokoll, dessen Ergebnis nichts als Langeweile ist.
Wie läuft es denn bei dir? Mit der Ausbildung, fragt sie.
Robert schaut aus dem Fenster, wo man die anderen Fahrgäste sieht, weil das Draußen hier nur das Innere spiegelt.
Geht so, sagt er. Wir dürfen die Station zum Umsteigen nicht verpassen.
Ja, sagt Valerie, stimmt.
Der Weg zum Krankenhaus Westend ist so windig, dass es sie beinahe von den Beinen reißt. Sie reden kein Wort, trotzdem kommt Valerie alles ungeheuer laut vor. Der Wind heult, dazwischen das Rauschen der Autos, Schleifgeräusche im Ohr.
Die Klinik muss man fast übersehen, weil neben dieser Straße alle Häuser klein und unbedeutend sind, weil die Häuser keine Geräusche machen, sondern einfach nur dastehen, ewig gleich, egal wie laut der Wind ihnen um die Ohren zischt.
Sie gehen durch einen Torbogen, in dem drei Menschen an den Wänden kauern. Ein Kind steht am Eingang und schaut ihnen ganz ängstlich entgegen.
Wie immer, sagt Robert, und Valerie nickt, sie biegen nach links.
Man muss durch einen Flur laufen, der eher an das Foyer eines Museums erinnert, vorne sogar ein paar Schaukästen, der Boden ist voller ausgeblichener Teppiche, dazwischen braune Fliesen, grau gehen hinten die Fahrstuhltüren auf. Jemand im Rollstuhl fährt an ihnen vorbei. Der Fahrstuhl schließt sich, gerade als sie davorstehen.
Na toll, sagt Robert.
Im ersten Stock steht ein Bett im Gang, dahinter schließt und öffnet sich die Glastür. Ein Arzt kommt ihnen entgegen, nickt, schaut sie an und wieder weg, schaut sie noch mal an, ist dann verschwunden.
Komisch, sagt Valerie.
Robert zuckt mit den Schultern. Gestern hat mich auch schon keiner beachtet.
Ich hasse Krankenhäuser, sagt Valerie. Aber das stimmt nicht ganz. Es gibt keinen Ort, der Valerie unnahbarer vorkommt. Die Eiskönigin unter den Gebäuden. Wie könnte man etwas hassen, das man nicht einmal zu greifen kriegt?
Na komm, wir machen schnell, sagt Robert.
Sie laufen nebeneinander den Gang entlang. Irgendwie erinnert Valerie das an früher, aber an nichts Konkretes, eher so ein allgemeines Früher. Er war schon immer größer als sie, und wenn sie nebeneinander gingen, machte sie seit jeher größere Schritte, ganz automatisch. Ihre Arme berühren sich beim Laufen, es ist das einzige Geräusch hier. Sie drückt ihre Jacke versuchsweise etwas enger an ihn. Ratsch ratsch. Wieso muss in Krankenhäusern eigentlich alles so dröhnen?
Robert klopft an, Valerie wartet. Diesen Moment, wenn die Tür noch geschlossen ist, hasst sie. Immer dann erst fällt ihr auf, dass sie eigentlich gar nicht weiß, was sie sagen soll. Und dass es jetzt zu spät ist, wieder wegzugehen.
Die Mutter sitzt schon aufrecht im Bett, schaut zu ihnen herüber, blinzelt dabei, als glaube sie gar nicht so recht, was sie da sieht.
Robert bleibt einfach in der Tür stehen, tut so, als ließe er Valerie den Vortritt. Wie er da plötzlich wie ein Schluck Wasser steht. Das ist das Problem mit Familie, jedes einzelne Bild beschwört eine Kaskade von anderen herauf. Nichts steht jemals allein, immer ist da sie selbst, wie sie vor Robert ins Zimmer tritt, dabei ist er doch der Ältere, dabei spricht am Ende er doch meistens und kriegt er den Ärger, und trotzdem ist Valerie immer schon zuerst eingetreten, kriegt als Erste den Gesichtsausdruck ab, welcher da auch kommen mag. Bitte, geh schon, Valle, du kannst so lieb gucken, frag doch mal, ob wir –
Hallo Mama, sagt sie.
Meine Lieben, sagt die Mutter. Na, jetzt kommt doch schon näher.
Valerie findet, dass man hier in diesem Raum erst richtig sieht, wie krank sie ist. Dabei hat sich gar nichts verändert: Das Haar war auch gestern Morgen schon so dünn und flusig, wie aufgescheucht auf dem Kopf, die Wangen eingefallen, der Hals voller Falten. Sie trägt keine Krankenhauskleidung. Valerie ist froh darüber. Das ist etwas, an dem man sich festhalten kann. Das letzte Mal, dass die Mutter Krankenhauskleidung anhatte, ist drei Monate her. Der plötzliche Darmdurchbruch. Die schlimmsten Tage ihres Lebens, eingewickelt mit dieser beschissenen grünen Krankenhauskleidung. Dazu das Wissen, dass alles vorbei ist. Und dann das Wissen, dass es doch nicht vorbei ist, wieder einmal. Viel zu viel Geheule wegen nichts.
Die Mutter trägt ihre übliche Kleidung, ausgewaschenes T-Shirt, dazu die Strickjacke. Die Hose sieht man nicht, da liegt die Decke drüber.
Schön, dass du auch mitgekommen bist, Valerie.
Ja, sagt Valerie. Der Vorwurf ist ihr nicht entgangen.
In ihren Augenwinkeln zuckt es, weil Robert sich immerzu über die Arme fährt. Noch immer hat er keinen Ton von sich gegeben, noch immer steht er in der Tür.
Habt ihr mir neue Anziehsachen mitgebracht?, fragt die Mutter, setzt sich zurecht.
Oh, entschuldige, nein, sagt Robert hinter ihr. Er hat schnell geredet, dazu ist er einen Schritt nach vorne gekommen, hastig, aber das Gesicht der Mutter hat sich ohnehin schon verzogen. So schnell geht es manchmal, dass man gar nicht sagen kann, was sich da zuerst zusammenzieht, die Augen oder der Mund, am Ende sind da nur Wutfalten.
Meine Güte, sagt die Mutter, das kann doch nicht wahr sein. Da habt ihr mal eine Aufgabe, und dann –
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