Название: hell/dunkel
Автор: Julia Rothenburg
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783627022693
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Valerie fällt auf, dass sie nicht einmal weiß, in welches Krankenhaus Robert geht. Ins Urbankrankenhaus oder doch ins Westend? Sie muss sich entscheiden, sonst kippt die Szene.
Valerie und Robert steigen in die U-Bahn. Gemeinsam sitzen sie auf anderthalb Plätzen, weil neben ihnen wie ein gestrandetes Walross ein Mann liegt, die Augen geschlossen im dicken Gesicht. Robert erzählt von den vergangenen Wochen. Er macht seinen neuen Ausbilder nach, der jedes letzte Wort im Satz schreit. Dabei schauen sie immer wieder zum Walross hin, ob es aufwacht. Aber nur träge hebt sich die Brust, über der sich wie eine weiche Tierhaut ein grauer Pullover spannt. Valerie kichert.
Die andere Valerie steht hier wie bekloppt mit dieser Wolldecke, sieht sich selbst von der Seite im Spiegel, nur sich selbst, keinen Robert und keine auf die U-Bahn-Scheibe gedruckten Brandenburger Tore.
Einen Moment lang hat sie das Gefühl, dass beide Valeries gleich unwahrscheinlich sind, dass es weder die in der U-Bahn gibt noch die Valerie, die hier steht und nichts tut, die wütend ist und nicht weiß, wohin damit. Als klemmte die Entscheidung zwischen den beiden Valeries sie irgendwo in ihrer Mitte fest, im Nirgendwo. Aber das ist Unfug.
Sie wirft die Wolldecke aufs Bett, schließt die Tür.
Dann macht sie die Tür doch wieder auf. Geschlossene Türen haben so etwas Unheimliches.
Im Wohnzimmer setzt sie sich erneut auf das Sofa, greift zu dem Buch, das irgendwer auf den Couchtisch gelegt hat.
Heute Nacht hatte sie lange darin gelesen, ewig her ist das jetzt. Sie konnte nicht schlafen, die Dielen knarrten, wenn die Mutter jede halbe Stunde auf die Toilette ging. Aus dem Klo regelmäßig das Rauschen der Spülung, sonst nichts, aber Valerie brauchte das Würgen nicht zu hören. Sie hatte sich Stöpsel ganz tief in die Ohren gesteckt, aber die Geräusche waren in ihrem Kopf.
Irgendwann musste sie zu dringend aufs Klo. Sie war schnell gehuscht, die Mutter hatte sie trotzdem getroffen. Als hätte sie gelauert, auf irgendeine Regung von Valerie gewartet, um dann herauszukommen.
Das Schattenspiel im Flur schnitt eine Grimasse in ihr ohnehin schon mürrisches Gesicht. Geh wieder schlafen, sagte die Mutter, hier gibt es nichts zu gucken.
Valerie schaltet den Fernseher ein. Irgendeine Show, der Moderator grinst, die Gäste grinsen. Valerie sieht zu, wie sie sich die Hände schütteln, ein Clip wird eingeblendet. Danach wieder das Studio, einer der Gäste schaut grimmig drein, lächelt dann wieder wie angeknipst. Valerie muss lachen, sie kann es kaum unterdrücken. Wie sie dasitzt, in der leeren Wohnung, in die Leere hineinlacht, darüber muss sie erst recht lachen. Das Sofa wackelt.
Weil sie nicht will, dass Robert sie hier findet, geht sie in ihr Zimmer. Wartet im Bett, die Arme überkreuzt, in einem Ohr einen Stöpsel, um Musik zu hören, das andere Ohr zum Lauschen, horcht auf Schritte.
Aber da ist nichts, manchmal nur macht der Bass sie glauben, dass sich Schritte nähern.
In ihrem Zimmer ist es stockdunkel, aber wenn jemand den Hof betritt, blitzt Licht auf. Dann ist es so lange hell, wie derjenige braucht, um sein Fahrrad anzuschließen. Nur, wenn draußen jemand ist, hat ihr Zimmer wieder Wände.
Valerie wird unruhig, als es zehn wird, dann halb elf. Wieso lässt Robert sich so viel Zeit? Was treibt er so lange?
Aber sich jetzt Sorgen zu machen ist verlorene Zeit. Sie hat schon viel zu viel Zeit an so einen Scheiß verplempert.
Sie versucht sich abzulenken, sucht in ihrem Kopf nach etwas anderem. Irgendwann taucht Alis Gesicht auf. Ja, Ali, den könnte sie mal wieder anrufen. Auf seine letzte SMS hat sie nicht geantwortet. Aber er ist bestimmt nicht sauer. So ist es immer zwischen ihnen. Er ist nicht so anstrengend wie die anderen.
Sie sieht Ali dabei zu, wie er in seinem Lieblingsplattenladen steht und durch die Platten kämmt. Sie steht daneben, tut so, als würde sie auch nach den Platten schauen. Sie hat keine Ahnung, wonach sie suchen soll. Ali lächelt, winkt sie näher.
Aber Alis Gesicht passt irgendwie nicht hierher, nicht in diese Dunkelheit, die in ihrem Zimmer liegt, wenn im Hof niemand ist. Nicht in dieses komische Gefühl in ihr, das sie hat, weil Robert einfach nicht nach Hause kommt. Und weil Robert einfach nach Hause gekommen ist. Stattdessen mischt sich Robert in ihre Gedanken hinein, sein Gesicht, seine Bewegungen.
Sich Robert vorzustellen war schon immer am einfachsten, vor alldem hier war er ihr Lieblingsschauspieler gewesen. In ihrer Vorstellung tut er alles mit einer Bestimmtheit, die die Handlung vorantreibt.
Ist er in eine Bar gegangen, trinkt dort, die Ellbogen auf die Theke gestützt? Redet er mit einem Fremden? Hat er eine Frau kennengelernt? Küsst er vielleicht in diesem Moment jemanden, irgendwo in einer schummrigen Ecke, gräbt einer Blondine seine Hände ins Haar? Oder sitzt er mit hängendem Kopf am Bett der Mutter, während sie schläft, mit offenem Mund, der ihre rote Zunge zeigt? Vielleicht ist das Zimmer aber auch dunkel, nur piepsende Apparate, blinkende Lämpchen und dazu von draußen das kalte Mondlicht?
Valerie kann nicht aufhören, daran zu denken, die Musik in ihrem Ohr der Soundtrack dazu.
Sie schaut auf ihr Handy, keine Nachricht. Es ist elf, und Valerie schließt die Augen.
Fast ist sie eingeschlafen, als es plötzlich rumst. Erst denkt sie, es ist die Musik, aber die ist schon längst verstummt, der MP3-Player ist ausgegangen und liegt hart und kalt auf ihrem Bauch.
Dann hört sie einen Schlüssel auf den Tisch klirren, feste Schritte, die nur zu Robert gehören können.
Einen Moment lang überlegt sie, aus ihrem Zimmer zu gehen, das Licht anzuschalten. Robert steht mit hängenden Schultern in der Wohnung. Robert schaut sie müde an, schüttelt den Kopf, als hätte sie etwas gefragt.
Valerie bleibt liegen, sieht zu, wie unter ihrer Tür das Licht hindurchkriecht, hört, wie Robert den Flur entlangstreunert, wie Türen knarren. Ist er unruhig? Ist er erschöpft?
Soll er doch, denkt sie.
Valerie schließt die Augen. Hinter ihren Lidern zuckt es. Aber es sind keine Träume, die da kommen. Alles bleibt schwarz.
2
Sie schläft schon, als er die Tür öffnet. Ob sie weiß, wie sie aussieht, wenn sie schläft?
Natürlich nicht, denkt Robert. Das weiß ja keiner von sich. Man kennt sich selbst doch nur als festgefrorenes Gesicht auf einem Foto, als Wackelbild im Spiegel. Es fehlt immer das Wesentliche.
Wie ruhig Valerie jetzt wirkt. Sie hat vergessen, sich abzuschminken. Mit dem dunklen Lidstrich und den hellrosa Wangen sieht sie aus wie eine bemalte Porzellanpuppe.
Ein Streifen Licht huscht über ihren Körper, als er die Tür noch ein Stückchen weiter öffnet und dann wieder schließt.
Sie wacht nicht auf. Er ist merkwürdig enttäuscht. Ein wenig rumpelt er absichtlich gegen die Wände. Er horcht immer wieder nach. Nichts regt sich. Armselig, das weiß er. Aber so leise, so ruhig kommt ihm die Wohnung irgendwie komisch vor, falsch. So ohne jeden Herzschlag.
Selbst im Wohnzimmer wirkt alles gespenstisch verlassen. Sie hat aufgeräumt, СКАЧАТЬ