Название: hell/dunkel
Автор: Julia Rothenburg
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783627022693
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Irgendwo schrillt es, das Geräusch holt auch die anderen zurück, den Straßenlärm, das Keuchen, ihren eigenen viel zu lauten Atem.
Am Zaun stehen ein paar Grundschüler und stecken ihre Nase durch das Gitter, die Hände in den Fäustlingen hängen wie Tierköpfe in den Streben.
Sie hat gepfiffen, ruft Nathalie, als Valerie sie überholt. Nathalie geht nur noch, die Arme um ihre Mitte geschlungen, als müsste sie sich zusammenhalten. Ihr Gesicht sieht aus wie das eines Neugeborenen, runzelig und rot vom Rennen.
Erst als Valerie langsamer wird, bemerkt sie das Seitenstechen.
Sie bleibt stehen, genießt den Schmerz, genießt die Hitze. Ihre Haut ist eiskalt. Die Sportlehrerin winkt ihr zu, reckt den Daumen nach oben, nickt dazu. Valerie lächelt.
In der Umkleidekabine riecht es schon nach kaltem Schweiß, als sie hereinkommt. Nathalie und Ivana haben ihr einen Platz freigehalten. Beide keuchen noch immer, ihre Gesichter fleckig.
Und, was ist jetzt, fragt Ivana und atmet dabei laut, die Worte einzeln dazwischen. Treffen wir uns am Samstag, Lernkreis, du weißt schon.
Valerie merkt erst, dass sie gemeint ist, als die beiden sie anschauen. Aus ihrer Tasche blinkt es.
Ja, sagt sie, klar, wieso nicht.
Sie schaut auf ihr Handy. Drei Anrufe in Abwesenheit, alle von ihrer Mutter. Und zwei SMS.
Fahre jetzt doch ins Krankenhaus. Ruf zurück.
Das ist eine Fähigkeit, die allein ihre Mutter besitzt: in so wenige Worte so viel Vorwurf hineinzulegen. Oder woher sonst soll diese Walze aus Gefühlen kommen, die durch sie hindurchrollt? Ausgelöst von, sie zählt nach, nur sieben Worten.
Also um elf bei mir oder was?, fragt Ivana. Valerie, huhu.
Was?, fragt Valerie.
Die nächste SMS ist kurz, sie klingt trotzdem in ihren Ohren nach.
Bleibe über Nacht.
Wieso gehen wir nicht mal ins Café, sagt Nathalie.
Da ist es samstags zu voll, also bei mir, ja?
Valerie steckt das Handy zurück in die Tasche, zieht sich das T-Shirt über den Kopf und ist froh, dass man so wenigstens für eine Sekunde ihr Gesicht nicht sieht. Und dass sie so auch die anderen nicht sehen muss, wie sie jetzt bestimmt schon wieder zu ihr hinglotzen.
Ja, sagt sie. Klar.
Vor der Sporthalle hat sich schon eine Traube gebildet, hin- und herwankend, von weitem hört man es kreischen. Je näher man kommt, desto mehr einzelne Stimmen sind auszumachen, die da rufen.
Ivana steckt sich eine Zigarette an, hält sie Valerie hin. Nein, lass, sagt Valerie. Ich muss jetzt eh schon.
Alles klar, sagt Ivana, bläst den Rauch aus. Ich bereite dann schon mal die Übungsaufgaben vor.
Super, sagt Valerie und meint es nicht im mindesten. Ich guck auch mal, was ich machen kann.
Aber Nathalie und Ivana schauen sich schon um, als suchten sie irgendwas. Von hinten nähert sich der Jungskurs.
War ja klar, denkt Valerie. Wir sehen uns morgen, sagt sie in die Luft.
Sie ruft ihre Mutter zurück, sobald die anderen nicht mehr als eine Rauchwolke sind. Aber es tutet nur, ein leeres Tuten, dann die Stimme ihrer Mutter, eine Ansage, die sie schon tausendmal gehört hat. Und trotzdem klingt es jedes Mal so, als wäre ihre Mutter doch am Telefon.
Ganz wie von selbst läuft sie immer schneller. Die Kälte zischt ihr in den Ohren.
Die Tür ist nicht abgeschlossen. In der Wohnung riecht es nach ihrer Mutter, schwach noch nach ihrem Parfum, aber vor allem nach Camels.
Eigentlich riecht es in der Wohnung immer so, der Geruch haftet an den Tapeten, so oft man auch lüftet. Valerie hasst das, aber gegen so etwas kann man nichts machen. Da hilft auch das beste Raumspray nichts. Diesmal ist es allerdings frischer Rauch, das merkt man sofort. Valerie muss fast husten.
Irgendwo in der Wohnung knallt es. Als wäre etwas umgefallen.
Hallo, ruft Valerie.
Ihr Herz rast jetzt. Sie schleicht, aber die Dielen knarren unter ihrem Schritt.
Vor lauter Rauch kann man ihn kaum erkennen, aber es ist Robert, der da auf dem Sofa sitzt und mit dem Finger auf eine Zigarette klopft, als wäre nie etwas gewesen.
Spinnst du, sagt Valerie. Ihr Herzschlag beruhigt sich nur langsam.
Wie wär’s mit ’ner Begrüßung?
Valerie verschränkt die Arme.
Hallo.
Dann wedelt sie mit den Händen, bis sie wieder etwas sehen kann. Robert hat schon das Fenster geöffnet, es zieht zu ihr herüber.
Valerie steht in der Mitte des Zimmers, und erst allmählich wird ihr klar, dass Robert wirklich da ist, keine Fata Morgana, die mit dem Rauch verschwinden wird.
Ich hatte gar nicht mit dir gerechnet.
Sie weiß nicht, was sie sonst sagen soll. Was soll das, dass er hier auf einmal einfach so sitzt? Als wäre er nie weggewesen, als hätte er jedes Recht darauf, jetzt hier zu sein.
Katrin ist im Krankenhaus, sagt Robert und setzt sich wieder hin. Er schaut Valerie dabei von unten an, lauernd, als müsste sie darauf irgendwie reagieren. In Ohnmacht fallen vielleicht. Als wären sie in einem Mafiafilm, und er würde sie bedrohen. Hat schon darauf gewartet, dass sie nach Hause kommt, damit er sie überfallen kann. Manchmal sieht Robert tatsächlich aus wie ein Gangster, wenn er so die Augen zusammenkneift. Jedes Mal kippt sein Gesichtsausdruck dann aber, als könne er die Spannung nicht halten. Kippt ins Weiche, Dehnbare und am Ende hängen seine Schultern dann so traurig herunter.
Ich weiß, sagt Valerie. Erzähl mir was Neues.
Sie lässt ihre Tasche los, der Laut des Aufpralls knallt in die Stille.
Sie geht zu Robert, der sie noch immer anschaut. Dass es jetzt kälter wird im Raum, macht die Stimmung noch seltsamer, die da zwischen ihnen hängt.
Klar, dachte ich mir, sagt Robert, als hätte sie ihn gar nicht angefahren, als wäre gar nichts gewesen. Er lächelt sogar dazu.
Ich war in der Schule, sagt Valerie. Bin nicht ans Handy gegangen, aber sie hat mir eine SMS –
Sie weiß nicht, wieso sie ihm das so genau erklärt. Dass Robert lächelt wie ein gütiger Onkel, als wäre er viel älter als sie, irritiert sie.
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